Laura Weyrich interessiert sich für Zahnstein, genauer gesagt für darin enthaltene DNA-Reste, die sich an den Zähnen früher Menschen nachweisen lassen. Zahnstein ist eine Art Archiv, das verrät, was unsere Vorfahren und entfernten Verwandten einst im Mund hatten.
"Wir haben uns die Fossilien von Neandertalern angeschaut und konnten tatsächlich sehen, was sie damals gegessen haben. Zudem konnten wir rekonstruieren, in welcher Gegend die lebten, wie gesund sie waren oder welche Krankheiten sie hatten, kurz: was sie tagtäglich gemacht haben."
Die Paläo-Mikrobiologin von der Universität von Adelaide hat für ihre Studie den Zahnstein von fünf Neandertalern untersucht: Zwei stammen aus Spanien, zwei aus Belgien, die fünfte Probe kam aus Italien. Laura Weyrich sequenzierte zunächst aus allen Zahnsteinproben die darin noch enthaltene DNA. Die gewonnenen Erbgutschnipsel konnte sie mithilfe bestimmter Algorithmen am PC sortieren und dann mit Datenbanken abgleichen, um zu sehen, woher das Erbgut stammt, das im Neandertaler-Zahnstein enthalten ist: Von Bakterien, Tieren, Pflanzen oder Pilzen.
"Die Neandertaler aus der Spy-Höhle in Belgien haben sehr viel Fleisch gegessen. Unseren Daten zufolge standen Wollnashörner und Mufflons, also Wildschafe, auf dem Speiseplan, zudem Pilze. Diese Neandertaler aus Belgien zeigen also jene Fleisch-lastige Ernährung, die auch typisch für Eisbären ist."
Pinienkerne und Moos statt Mufflon und Wollnashorn
Ob der italienische Neandertaler ebenso häufig Fleisch wie seine belgischen Artgenossen verspeiste, konnte die Wissenschaftlerin nicht rekonstruieren, dort waren die Daten unklar. Die Neandertaler aus der El Sidron-Höhle in Spanien jedoch waren definitiv keine Fleischesser.
"Diese Neandertaler waren Vegetarier. Da standen also Pinienkerne, Moos und Pilze auf dem Speiseplan und sogar Baumrinde. Sie haben also gegessen, was es in ihrer Umgebung gab, die damals hauptsächlich aus Waldgebieten bestand."
Während man unter Paläo-Diät heute eine mitunter sehr Fleisch-lastige Ernährung versteht, war die wahre Paläo-Diät in Spanien also fleischlos. Besonders bekommen hat sie den dortigen Neandertalern aber offenbar nicht. Das Skelett El Sidron 1 zeigt einen Abszess im Kiefer. Dieser junge Mann muss zu Lebzeiten vor rund 48.000 Jahren heftige Schmerzen gehabt haben. Und damit nicht genug.
"Dieser Neandertaler litt auch an einem Parasiten, der Durchfall verursacht. Das muss sehr schmerzhaft gewesen sein, und zwar so sehr, dass er sich einer medizinischen Behandlung unterzog. Wir haben nämlich auch zeigen können, dass er Salizylsäure aus Baumrinde zu sich genommen hatte, die als natürliches Schmerzmittel bekannt ist. Außerdem konnten wir den Schimmelpilz Penicillin nachweisen, also ein natürliches Antibiotikum. "
Von wegen keulenschwingender Dummkopf
Natürlich hätten die Neandertaler noch nichts von der antibakteriellen Wirkung gewusst, betont Laura Weyrich, aber das Wissen um die Natur, wo es Schmerzstiller gibt, welche Pflanzen entzündungshemmend wirken und so weiter, muss damals schon existiert haben. Das Bild vom keulenschwingenden Dummkopf sollte spätestens mit den neuen Daten der Vergangenheit angehören.
"Neandertaler haben ihre Umgebung wirklich verstanden und zu nutzen gewusst, etwa um Krankheiten zu behandeln. Wir müssen Neandertaler also wirklich in einem anderen Licht betrachten, und zwar in einem, in dem wir auch unsere Vorfahren sehen. Denn Neandertaler waren viel intelligenter und sozialer als lange gedacht."