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Die Mafia lässt grüßen

Nachdem die Staatsanwaltschaft in Los Angeles ihr Verfahren gegen Lance Armstrong vor einigen Monaten ohne Angabe von näheren Gründen eingestellt hat, steht für Armstrong nun viel auf dem Spiel: Wird er überführt, drohen Schadensersatzklagen in Millionenhöhe.

Von Jürgen Kalwa | 16.06.2012
    Vor einiger Zeit hat Lance Armstrong eine alte Liebe wiederentdeckt: Triathlon und den Ironman auf Hawaii. Um sich auf die Herausforderung vorzubereiten, ging er vor zwei Wochen in Kona in einem Rennen über die halbe Distanz an den Start und gewann.

    "Today was tough. The wind was tough on the bike. And the run was much harder than I expected. I was stressing pretty bad. And I was trying to hold him off."

    Triathleten auf Abstand zu halten ist das eine. Seiner eigenen Vergangenheit davon zu laufen etwas ganz anderes. Sie holte den siebenfachen Tour de France-Sieger ein paar Tage später ein. In Form von einem 15 Seiten langen Brief der amerikanischen Anti-Doping Agentur USADA. Das Schriftstück ist der Auftakt zu einem Schiedsgerichtsverfahren, das das letzte Kapitel einer von illegaler Leistungsmanipulation überschatteten Karriere einleitet.
    Zwar hatte vier Monate zuvor die Staatsanwaltschaft in Los Angeles ihre zwei Jahre währenden Ermittlungen gegen Armstrong eingestellt. Ohne Angabe von Gründen, was den Verdacht auslöste, dass der bestens vernetzte und durch sein karitatives Wirken in der Krebsbekämpfung sehr beliebte Radrennfahrer keine weiteren Probleme zu befürchten habe. Doch die Dopingfahnder scherten sich nicht um Optik, sondern konzentrierten sich auf das Belastungsmaterial an, um das jahrelang gesponnene Netz aus lauter Lügen zu entwirren. Eine "Verschwörung” – ein Begriff aus der Bandenkriminalität – zu der in Armstrongs Team eine mafiaähnliche Schweigepflicht gehört haben soll.
    Armstrong stritt erneut alles ab. Sein Anwalt Robert Luskin probierte sogar, die Mafia-Analogie umzudrehen, als er am Freitagmorgen im amerikanischen Fernsehen die Arbeit der Dopingfahnder kritisierte:

    ""They went to these riders like Don Corleone. And they gave him an offer that they could not refuse.”"

    Don Corleone ist die Hauptfigur in "Der Pate”. Im Film gespielt von Marlon Brando, dessen Satz – "Ich mache ihm ein Angebot, das er nicht ablehnen kann" – zu einem populären geflügelten Wort geworden ist. Zu einem Synonym für Erpressung.
    Das klingt herbe, aber ist Sinnbild dafür, um was es für Armstrong geht: Um alles oder nichts. Verliert er das Verfahren drohen Schadensersatzklagen nicht nur von ehemaligen Sponsoren wie der amerikanischen Post, sondern auch von anderen Unternehmen.
    Luskin ist taktisch im Nachteil. Schon die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ließen ihn und seinen Mandanten über die Massivität des Belastungsmaterials im Dunkeln. Auch der Brief der Usada enthält nur wenig markante Details. So fehlen die Namen der Radrennfahrer, die abgesehen von den geständigen Floyd Landis und Tyler Hamilton ihr Schweigen gebrochen haben. Ebensowenig wird klar, welche Laboruntersuchungen während Armstrongs Comeback 2009 und 2010 jene Daten produzierten, die eine laut USADA "Blutmanipulation einschließlich EPO” nahelegen. Sie wären die wissenschaftliche Basis für eine Verurteilung im jetzt anstehenden Schiedsgerichtsverfahren gegen den Texaner und seine Mitbeschuldigten - Johan Bruyneel, der Sportliche Direktor und Drahtzieher, drei Ärzte und einen Masseur.
    Die Anschuldigungen hatten sogar erstmals echte Konsquenzen. Der Triathlon-Dachverband sperrte Armstrong am Mittwoch von allen Wettbewerben. Und so wird er voraussichtlich auch nicht nach Hawaii zurückkehren. Ironman ade.