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"Die Malteser werden gewinnen an dieser Integration"

Schillmoeller: Wir sind nur ein Kieselstein auf der Weltkarte, sagen viele Bewohner der kleinen Insel im Mittelmeer. Malta hat knapp 400.000 Einwohner und liegt zwischen Sizilien und Tunesien, man könnte auch sagen zwischen Europa und Nordafrika. Die Malteser haben es sich mit dem Beitritt zur EU nicht leicht gemacht. Am Ende hat nur eine sehr dünne Mehrheit beim Referendum im März mit Ja gestimmt. Sonnenschein, Mittelmeer, Felsen, ehemalige britische Kolonie- das sind die wenigen Schlagworte, die einem zum Thema Malta für gewöhnlich einfallen.

    Albert Friggieri war früher Botschafter der Insel in Deutschland. Inzwischen ist er Unternehmer und Vorsitzender des Deutsch-Maltesischen Zirkels, so etwas wie das Goethe-Institut von Malta. Die Residenz dieses Zirkels ist ein traumhafter Palast aus dem späten 16. Jahrhundert im Herzen der Hauptstadt La Valetta, mit einem eleganten Treppenhaus, vielen Fresken und einer alten Privatkapelle. Ich habe Herrn Friggieri in diesem Palast getroffen und ihn gefragt: War es mutig zu sagen, Europa brauche Malta, so wie das Richard von Weizsäcker einmal formuliert haben soll?

    Friggieri: Ja, natürlich. Das war ein Kompliment für so ein kleines Land. Wenn Malta im nächsten Jahr Mitglied der EU wird, wird Malta das kleinste EU-Mitglied sein, während Deutschland das größte Land ist. Natürlich war das ein Kompliment. Ich glaube, dass Bundespräsident von Weizsäcker gut informiert war über die Geschichte Maltas, über die Rolle Maltas im Mittelmeer und in Europa. Deswegen hat er sich so geäußert.

    Schillmoeller: Herr Friggieri, Sie selber bezeichnen Malta gerne als einen Mikrokosmos, einen Mikrokosmos von Europa. Warum?

    Friggieri: Hier treffen sich viele Kulturen, viele Einflüsse, vor allem europäische. Aber nicht nur europäische, denn Malta befindet sich im Zentrum des Mittelmeeres. Hier treffen sich ja zwei große Kulturen, die europäische Kultur und die nordafrikanisch-arabische. Das spiegelt sich hier natürlich wider. Andererseits, wenn man jetzt an die europäische Seite denkt, war Malta wirklich lange Zeit ein Zentrum der europäischen Kultur. Mehrmals in seiner Geschichte war Malta ein Mikrokosmos der europäischen Entwicklungen, zum Beispiel gab es in den langen Jahren der Präsenz der Johanniter, der Malteserritter in Malta, in Malta Ritter aus allen europäischen Ländern. Malta wurde damals zu einer Hochburg ihrer Kultur, der europäischen Kultur. Diese Ritter waren Adelige, sie waren reiche Leute, die die Mittel besaßen und ihre Künstler, Architekten und so weiter nach Malta gebracht und sie bezahlt haben.

    Schillmoeller: Die maltesische Kultur hat viele Wurzeln. Sie haben es gerade gesagt. Auch die Identität hat damit viele Wurzeln, nicht zuletzt britische, aber auch semitische, arabische, italienische Wurzeln. Welche dieser Wurzeln hat Ihrer Ansicht nach, Ihrer Erfahrung nach den stärksten Einfluss?

    Friggieri: Sagen wir so: In der Geschichte Maltas kann man sagen, dass Malta seit dem 11. Jahrhundert zu Europa gehört, weil das Land Jahrhunderte lang von europäischen Herrschern beherrscht war. Die Beziehungen zu Afrika, also Nordafrika, existierten für lange Zeit einfach nicht. Andererseits war die geografische Nähe immer da. Die maltesische Sprache selbst ist sehr stark vom Arabischen beeinflusst, sie war ursprünglich auch arabischer Abstammung.

    Allerdings, wegen der langen Jahrhunderte der europäischen Kultur, der europäischen Anwesenheit in Malta wurde auch die maltesische Sprache selbst sehr stark von europäischen Sprachen beeinflusst, vor allem vom Italienischen und vom Englischen. Die Briten waren in Malta ja anderthalb Jahrhunderte lang präsent, vom Jahre 1800 bis 1964. 1964 wurde Malta unabhängig. Die britische Anwesenheit, der britische Einfluss in Malta war sehr stark. Es hat sich natürlich nach der Unabhängigkeit 1964 vieles geändert. Ich selber habe zum Beispiel an der Universität von Malta studiert. Damals hieß aber die Universität von Malta "Royal University of Malta".

    Schillmoeller: Also die "Königliche Universität von Malta"...

    Friggieri: Ja. Jetzt ist aber das Staatsoberhaupt der Präsident von Malta, nicht mehr die Königin. Der britische Einfluss ist aber nach wie vor sehr stark, im Erziehungssystem zum Beispiel oder im parlamentarischen System...

    Schillmoeller:...auf der Straße...

    Friggieri: Genau. Man sieht ja in Malta immer noch viele von diesen roten Telefonzellen, die man in England sieht, und die sogenannten "pillar boxes" der Post, und so weiter.

    Schillmoeller: Und der Linksverkehr.

    Friggieri: Und der Linksverkehr. Außerdem die Tatsache, dass Englisch zweite offizielle Sprache Maltas ist. In der Verfassung von Malta heißt es, Maltesisch und Englisch sind beide offizielle Sprachen. Diese Einflüsse sind da und gehören einfach zur maltesischen Kultur und der Mentalität, wenn man so will.

    Schillmoeller: Lassen Sie uns doch einmal ganz kurz das Maltesische hören, vielleicht ein kleines Beispiel, dass man sich als Deutscher auch einmal ein Bild davon machen kann, wie die Sprache klingt. Man hört es ja in Deutschland selten.

    Friggieri: Was kann ich Ihnen sagen? Ich sage Ihnen ein Gebet, das Vaterunser auf Maltesisch. Das ist das Einfachste. - Vaterunser auf Maltesisch –

    Schillmoeller: Das war jetzt ein Vaterunser. Maltesisch ist sehr lange eine mündliche Sprache gewesen und ist erst sehr spät zu einer schriftlich fixierten Sprache geworden. Stimmt das?

    Friggieri: Weitgehend ist das korrekt. Die maltesische Sprache war bis 1933 keine offizielle Sprache Maltas. Fast komischerweise, kann man sagen, war Malta schon seit 1800 britisch. Die offizielle Sprache Maltas aber war bis 1933 Italienisch. Dann, 1933, wegen der politischen, der historischen Entwicklungen wurde Italienisch durch Maltesisch und Englisch ersetzt. Als Sprache wird Maltesisch schon geschrieben. Interessanterweise stammt zum Beispiel die erste Liste von maltesischen Wörtern, die wir besitzen, von einem deutschen Gelehrten, der Ende des 16. Jahrhunderts nach Malta kam und die erste Liste von maltesischen Wörtern mit deutscher Übersetzung veröffentlichte.

    Schillmoeller: Wird dem Maltesischen als Sprache Ihrer Meinung nach heute genug Bedeutung beigemessen? Wird die Sprache gut genug gepflegt?

    Friggieri: Die Sprache ist offiziell als die Sprache Maltas anerkannt. Sie wird gelehrt. Es gibt mehrere Tages- und Sonntagszeitungen auf Maltesisch. Im Parlament wird Maltesisch gesprochen. In der Kirche wird Maltesisch gesprochen. Aber im maltesischen Fernsehen gibt es auch viele Sendungen auf Englisch. Die wichtige Rolle des Englischen muss also auch anerkannt werden. Man darf nicht vergessen, dass Maltesisch eine sehr kleine Sprache ist und man mit dieser Sprache im Ausland nichts anfangen kann.

    Es gab lange Zeit eine Auseinandersetzung zwischen den Puristen einerseits und den Progressisten andererseits. Eine Sprache wie Maltesisch ist aber eine lebendige Sprache. Ich glaube nicht, dass man sie irgendwie kontrollieren kann oder sollte. Sie wird sich entwickeln. Ich glaube nicht, dass jemand an der Bedeutung dieser Sprache zweifelt. Die Diskussion in Malta ist nur darüber, wie wichtig uns diese Sprache ist, zum Beispiel, wie viele Stunden Maltesisch unterrichtet werden und wie viele Stunden Englisch. Darüber wird diskutiert, und nicht, ob Maltesisch gesprochen oder unterrichtet werden sollte.


    Schillmoeller: Herr Friggieri, wie haben Sie das Gerangel auf der Insel um den EU-Beitritt erlebt?

    Friggieri: Auf Deutsch würde man wohl sagen: Das war eine schwere Geburt. Es wurde in Malta praktisch 13 Jahre lang diskutiert, ob Malta Mitglied werden soll oder nicht. Es wurde sehr heftig diskutiert. Das gehört aber auch zur Demokratie. In Malta hat es bei jeder wichtigen Entscheidung immer solche Debatten gegeben. Ich kann mich zum Beispiel an eines erinnern: 1964 – da war ich noch jung, aber ich kann mich gut erinnern – wurde Malta unabhängig. Es gab damals die Debatte darüber, ob Malta als ein so kleines Land unabhängig sein kann. Es gab auch kritische Stimmen, die gesagt haben, dass das nicht klappen wird. Es wurde sehr heftig und lange diskutiert. Dann wurde Malta unabhängig, und es klappte irgendwie.

    Ich glaube, das gehört einfach zu der maltesischen Mentalität und zum Verständnis der Demokratie hier in Malta. Mit Sicherheit ist jetzt die Entscheidung gefallen, und mit Sicherheit kann niemand sagen, das war keine demokratische Entscheidung. Das war eine hundertprozentig demokratische Entscheidung. Deswegen wird diese Entscheidung jetzt auch vom Volke respektiert, und von allen Seiten akzeptiert.

    Schillmoeller: Interessanterweise sagen sowohl die Skeptiker als auch die Optimisten beide auf ihre Weise: Wir sind ein kleines Land. Immer wieder wird betont, wie klein Malta ist. In der Tat – Sie haben es selber auch angesprochen – wird Malta das kleinste der EU-Mitgliedsstaaten sein. Welche Bedeutung hat das? Muss man da vielleicht fürchten, dass der Druck zu stark wird? Oder muss man da optimistisch sein und sagen, das müssen wir dann halt mutig angehen?

    Friggieri: Ich glaube, dass auch große Länder ihre Identität teilweise aufgeben müssen, wenn man jetzt in diese Richtung sprechen will. Ich erinnere Sie nur kurz an die große Debatte in Deutschland über die D-Mark oder den Euro. Ich glaube, dass auch große Länder in dieser Integration, in diesem Prozess, auf einige ihrer Merkmale ihrer Identität verzichten müssen. Das ist aber keine Gefahr, denn eine Kultur, eine Identität entwickelt sich, und so, wie man etwas verliert, wird man auch etwas gewinnen. Es wird eine Entwicklung geben, und die Malteser werden gewinnen an dieser Integration. Ich hoffe auch, dass wir etwas beitragen können.

    Schillmoeller: Sprechen wir über die maltesischen Beziehungen, vor allen Dingen über die deutsch-maltesischen Beziehungen. Das ist ja sozusagen Ihr Spezialgebiet. Sie sind Botschafter gewesen, und Sie sind nun Präsident des German-Maltese Circle, des Deutsch-Maltesischen Zirkels, der in etwa die Aufgaben des Goethe-Institutes übernimmt. Sie sind obendrein Unternehmer und auf allen Gebieten sehr firm. Welche Beziehungen gibt es denn eigentlich kultureller Art zwischen Deutschland und Malta, und wie fördern Sie diese?

    Friggieri: Sie wissen, dass Deutschland nicht ein direkter Nachbar von Malta ist. Auch historisch gesehen war Deutschland nie anwesend in Malta so wie zum Beispiel Frankreich oder Großbritannien. Die Beziehungen zu Deutschland in der Geschichte Maltas sind relativ neu und jung. Zum Beispiel wird Deutsch erst seit etwa dreißig Jahren an maltesischen Schulen unterrichtet. An der Universität wird Deutsch zwar gelehrt, es gibt aber keine Abteilung. Es sind aber immerhin 6 Prozent – wenn ich richtig informiert bin – der Kinder in staatlichen Schulen in Malta, die Deutsch lernen. Das ist nicht schlecht. Als ich zur Schule ging, gab es absolut keine Möglichkeit, Deutsch zu lernen. Ich habe Deutsch ganz privat gelernt.

    Eine sehr wichtige Rolle in diesem Zusammenhang spielt der Deutsch-Maltesische Zirkel, der Deutsch-Maltesische Freundschaftsverein, wenn man so will. Dieser Zirkel wurde vor mehr als 40 Jahren gegründet, funktioniert – wie Sie gesagt haben – wie ein kleines Goethe-Institut, ist aber finanziell unabhängig und trägt sich vor allem durch die Beiträge der Mitglieder und durch die verschiedenen Dienstleistungen, die wir hier anbieten, wie zum Beispiel Sprachkurse und so weiter.

    Schillmoeller: Sprechen wir kurz über die wirtschaftliche Kooperation. Sie sind selbst Unternehmer und kennen sich darum obendrein auch noch aus in den wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern. Sind sie problematisch, sind sie ausbaufähig? Welche Unternehmen sind auf Malta angesiedelt, die man leicht beschreiben könnte?

    Friggieri: Es gibt in Malta zirka 50 deutsche Firmen, die hier produzieren. Meiner Meinung nach gibt es Möglichkeiten für den Ausbau dieser Zusammenarbeit, zum Beispiel im Bereich der Umwelt. In Deutschland ist man ja sehr fortgeschritten. In der Hinsicht hat Malta immer noch sehr viel zu tun. Ich glaube, dass eine Zusammenarbeit in dem Bereich für beide Seiten sehr vorteilhaft sein könnte.

    Schillmoeller: Können Sie vielleicht ein Beispiel nennen, in welcher Richtung genau dies sein könnte?

    Friggieri: Was die Umwelt angeht, in jeder Hinsicht: Wasserbehandlung, Müll, Energie, eventuell Alternativenergie. Das ist in Malta teilweise unbekannt. Ich glaube, wir könnten mit dem Know-How, das in Deutschland vorhanden ist, mit den Erfahrungen und mit den guten Firmen, die dort sind, schon einen guten Fortschritt erzielen.

    Schillmoeller: Blicken wir zum Schluss auf Land und Leute in Malta, auf die Malteser, und auf die Eigenheiten dieser Insel. Welche Bedeutung hat die rein geografische Tatsache, dass wir uns hier auf einer Insel befinden und dass Sie auf einer Insel leben?

    Friggieri: Das ist natürlich sehr wichtig. Das gehört zu der maltesischen Mentalität, zur Kultur und zu der Denkweise. Auf einer Insel ist man manchmal sehr einsam. Man ist allein. Die Malteser haben in ihrer Geschichte manchmal sehr schlimme Zeiten erlebt, einfach, weil man nicht weg kann von einer Insel. Malta wurde belagert, in Malta gab es Epidemien, in schwierigen Zeiten gab es einfach keine Arbeit. Malta hat ja keine Rohstoffe. Der einzige Ausweg war oft die Auswanderung, wenn das möglich war. Bei kriegerischen Auseinandersetzungen, ob das jetzt die sogenannte große Belagerung von 1565 war oder später in der Zeit der Franzosen, bis hin zum Zweiten Weltkrieg, kann man einfach nicht weg.

    Schillmoeller: Obendrein ist es sehr stark zugebaut. Man könnte sagen, die Küste zwischen Valetta dann durchgehend fast bis Bugibba/St.Paul’s, also fast die gesamte Nordküste eigentlich, ist relativ stark bebaut. Musste das so sein?

    Friggieri: Ob das so sein musste oder nicht, das weiß ich nicht. Das ist die Entwicklung, die manchmal so schwer zu stoppen ist. Es wurde viel gebaut und verbaut in den letzten 30, 35 Jahren. Heutzutage kann man nicht mehr erkennen, wo ein Dorf aufhört und wo das nächste anfängt. Das war früher nicht so. Es ist natürlich nicht alles zugebaut. Es gibt Flächen im Westen, im Süden und auf der Insel Gozo, die noch sehr offen sind. Viele in Malta hoffen aber, dass diese Entwicklung jetzt nicht so weitergeht, dass kontrolliert wird und dass nicht alles verbaut und die ganze Landschaft zerstört wird. Man darf aber nicht vergessen, dass Malta stark überbevölkert ist. In Malta leben auf einem Quadratkilometer 1.300, 1.400 Menschen. Das bedeutet, Malta ist in Europa vielleicht nach Monaco und vielleicht nach Gibraltar der Ort, der am dichtesten besiedelt ist. Malta gehört mit Sicherheit zu den zehn am dichtesten besiedelten Orten der Welt.

    Schillmoeller: Eine kurze Frage zum Schluss: Fehlt Ihnen Wald?

    Friggieri: Ja. Mir persönlich fehlt Wald. Es fehlt Wasser, es fehlen Flüsse. Ich habe ja in Deutschland gelebt. Für mich war Spazierengehen im Wald oder an einem See oder Fluss entlang immer sehr wichtig. Das fehlt hier.

    Schillmoeller: Albert Friggieri war das, früher Botschafter von Malta in Deutschland, heute Unternehmer und Präsident des Deutsch-Maltesischen Zirkels. In unserer Reihe "10 plus" haben wir mit ihm gesprochen über die deutsch-maltesischen Beziehungen und den etwas steinigen Weg seiner Heimat in Richtung EU.
    Kundgebung vor dem Referendum auf Malta über den EU-Beitritt, 6.3.2003
    Kundgebung vor dem Referendum auf Malta über den EU-Beitritt, 6.3.2003 (AP)