Fischer: Die tagesaktuellen Medien spiegeln ja sehr deutlich einen Prozess der Öffnung. Wie man hört haben viele Journalisten, die bisher geforderte moskautreue Haltung einfach aufgegeben. Betrifft diese Umwälzung, wie Sie es gerade angedeutet haben, auch die ukrainische Sprache selbst?
Freundel: Absolut und das ist interessant. Man hört heute in Kiew sehr viel Ukrainisch, viel mehr als gewöhnlich. Kiew ist ursprünglich eine russischsprachige Stadt und die derzeitige Dominanz des Ukrainischen hat nicht nur damit zu tun, dass die Stadt voll ist mit Leuten aus allen Ecken des Landes und natürlich auch viele Leute aus Galizien, die ja ohnehin als die eigentlichen Sieger dieser Revolution betrachtet werden. Aber die Dominanz des Ukrainischen ist auch darauf zurück zu führen, dass das Ukrainische jetzt auch in der Durchschnittsbevölkerung ein bisschen wie die Farbe Orange zu einem Symbol dieser Bewegung geworden ist. Es ist plötzlich schick, es ist in draußen auf dem Maidan, dem Unabhängigkeitsplatz singt gerade Ruslan und sie singt natürlich in Ukrainisch, der ukrainische Pop dominiert plötzlich gegenüber dem russischen, der sonst allerorts immer noch die Grenzen des alten Sowjetreiches markierte. Insofern signalisiert auch das Ukrainische jetzt ein verändertes Nationalbewusstsein, man ist Ukrainer und spricht natürlich ukrainisch, beziehungsweise ukrainisch-russisch, es gibt da viele Schattierungen.
Fischer: Man hat ja hier immer wieder von einem geteilten Land gehört, der moskautreue Osten, der dem Westen zugewandte Westen der Ukraine. Manchmal wurde diese Aufteilung auch bestritten, aber kann da eigentlich so eine Art von Sprachenpolitik wirksam werden, um diese Diskrepanzen ein bisschen zu glätten?
Freundel: Da muss zunächst eine Sprachenpolitik wirksam werden. Ich habe mit einem Ethnologen und Politologen der Nationalen Akademie der Wissenschaften gesprochen, der meinte, das ist ein Thema, das jetzt unbedingt nach der sehr offenen, liberalen Stimmung auf den Straßen nach der Revolutionseuphorie geklärt werden muss, auf welche Sprache wollen wir uns in der Ukraine einigen. Ihm schwebt ein kanadisches Modell vor, also die Anerkennung von beiden Sprachen, wahrscheinlich Ukrainisch als erste Landessprache und Russisch als zweite Landessprache. Aber er meint, es muss unbedingt gesetzlich festgeschrieben werden, dass die russischsprachigen Ostukrainer sich auch in der Westukrainer in ihrer Sprache, die sie täglich verwenden verständigen dürfen und ebenso muss das umgekehrt gelten. Es geht ganz klar darum, nach der Euphorie auf der Straße, nach der liberalen Stimmung, in der alles möglich ist, dafür Gesetze zu finden und das ganz konkret auch in einer Sprachenpolitik anzupacken.
Fischer: Natascha Freundel war das, vielen Dank nach Kiew zu den Entwicklungen hinter dem ukrainischen Demokratieprozess.