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Die Mathematik der Liebe
"Ehe-Geheimnis liegt im 5:1-Verhältnis von Positivem zu Negativem"

Wenn man in der Ehe etwas falsch mache, müsse man fünfmal etwas Positives machen, fasst der Mathematiker Christian Hesse im Dlf eine Formel für eine funktionierende Ehe zusammen. Allerdings reiche es nicht, einfach fünf Mal "Sorry" zu sagen. Seine Beziehung jedenfalls hält bereits seit 30 Jahren.

Christian Hesse im Gespräch mit Ralf Krauter |
Junges Paar legt Hände bei altem Steinbrunnen aufeinander
Was ist das Geheimnis ewiger Liebe? Mathematisch betrachtet das Verhältnis von Positivem zu Negativem. (imago)
Ralf Krauter: Herr Hesse, wenn Sie als Mathematiker auf die Liebe schauen, welche praxisrelevanten Einsichten ihrer Wissenschaft kommen Ihnen da in den Sinn?

Christian Hesse: Die Mathematik verrät zum Beispiel, wie sich glückliche Ehen mathematisch von den Ehen unterscheiden, die schon nach ein paar Jahren geschieden werden. Der Unterschied besteht im 5:1-Verhältnis. Kurz gesagt: Wenn es in einer Ehe fünf Mal so viel Positives wie Negatives gibt, dann hat sie mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit Bestand. Das haben ein Mathematiker und ein Psychologe festgestellt. Ein Dream-Team. James Murray, als Experte fürs Rationale, und John Gottman, als Experte fürs Emotionale, haben über Jahrzehnte mehrere tausend Ehen untersucht.
Es begann damit, dass sie um 1975 einige hundert frisch Vermählte zu einem Beziehungs-Stresstest baten. Die Partner sollten unter Laborbedingungen über Dinge sprechen, die zwischen ihnen heikel sind: zum Beispiel Kinderwunsch, Schwiegereltern, größere Geldausgaben. Dabei waren beide verkabelt. Blutdruck, Puls und anderes wurde gemessen. Außerdem wurde das Gespräch aufgezeichnet und später jede Äußerung auf einer Skala von +5 bis -5 bewerten: +5 war "Liebevolle Zuwendung", -5 war "Offene Verachtung". Auch Gestik, Mimik und alles andere wurde bepunktet.
Ein halbstündiges Gespräch so eines jungen Ehepaares ergab damit mehr als 1.000 Zahlenwerte, positive und negative. Außerdem blieben die Forscher mit den Paaren in Kontakt, fragten jedes Jahr kurz nach, ob man noch zusammen sei. Manche Ehen hielten, andere nicht. Murray und Gottman wollten herausfinden, wie sich die dauerhaften von den gescheiterten Ehen unterschieden. Und zwar schon in Bezug auf das Anfangsgespräch, den Stresstest. Sie fanden tatsächlich ein Merkmal, das die stabilen Ehen auszeichnete: Ihr Geheimnis lag im 5:1-Verhältnis von Positivem zu Negativem. Das haben sie dann an konkreten Beziehungen untersucht und fanden es generell bestätigt. Wahrscheinlich ist das auch bei Beziehungen ohne Trauschein so, aber da gibt es keine belastbaren Statistiken.
Krauter: Was kann ich daraus ganz konkret für meine eigene Beziehung lernen?
"1-zu-1-Ausgleich ist zu wenig"
Hesse: Nun, wenn man einmal was Negatives getan hat, reicht es nicht, das einmal wieder gut zu machen. Dieser 1-zu-1-Ausgleich ist zu wenig. Wenn der Ehemann spät nach Hause kommt. Und die Ehefrau hat gekocht und gewartet und das Essen ist kalt geworden. Oder umgekehrt: Frau zu spät, Mann hat gekocht, gewartet, ist genervt und zeigt den Dislike-Daumen. Dann ist ein einfaches Sorry zu wenig.
Krauter: Sollte man dann also besser gleich fünf Mal Sorry sagen, damit der Haussegen wieder ins Lot kommt?
Hesse: Das wäre einfallslos. Nach dem Sorry irgendwann eine sanfte Berührung, ein ehrliches Kompliment, eine kleine Aufmerksamkeit und eine schöne Überraschung wäre wohl besser. Irgendwas Nettes halt, was beim Partner positiv ankommt.
Krauter: Sie sind selbst auch verheiratet. Gehen Sie in Ihrer Ehe denn tatsächlich so berechnend vor, dass sie da quasi eine Strichliste führen, mit negativen und positiven Botschaften gegenüber ihrer Frau?
"Nicht wie jemand, der eine Strichliste führt"
Hesse: Das Wort berechnend hat im Deutschen leider einen negativen Touch und bedeutet "etwas tun, um sich einen eigenen Vorteil zu verschaffen". In anderen Kulturen ist das nicht so. Da bedeutet es meist, "etwas mit Überlegung tun". Allein dadurch, dass ich das 5:1-Prinzip kenne, beherzige ich es wohl auch unbewusst. Aber nicht sklavisch, nicht wie jemand, der eine Strichliste führt. Und meine Beziehung funktioniert bestens, schon seit 30 Jahren.
Krauter: 30 Jahre, das spricht für Ihre Taktik. Denn damit liegen Sie ja schon weit über dem durchschnittlichen Haltbarkeitsdatum einer Ehe, oder?
Hesse: Korrekt. In Deutschland halten Ehen im Durchschnitt 14 Jahre. Etwa die Hälfte aller Ehen wird geschieden. Von den Ehen, die scheitern, scheitert wiederum eine Hälfte schon bis zum siebten Ehejahr. In diesen Ehen treten Beziehungskiller wie häufige Kritik, emotionale Abschottung und Verachtung des Partners auf. Der zweite Typ von Scheidungsehe hat diese Merkmale nicht. Diese zeichnen sich aber durch zunehmendes, gegenseitiges Desinteresse aus, ohne größeren Beziehungsstress. Dadurch lebt man sich nur schleichend auseinander. Solche Ehen halten typischerweise bis die Kinder aus dem Haus sind. Dann können die Partner nichts mehr miteinander anfangen und gehen getrennte Wege.
Krauter: Apropos Kinder: Welchen Einfluss haben sie auf den Bestand einer Ehe? Fungieren die quasi als Beziehungskitt?
"Ehen sind gesund, für alle Beteiligten"
Hesse: In Deutschland gibt es 18 Millionen bestehende Ehen. Kinderlos sind etwas mehr als die Hälfte. Zwar sind Kinder ein Zweisamkeitskiller, doch tatsächlich auch der beste Schutz gegen eine frühe Trennung. Und zwar je mehr, desto besser. Mit dem ersten Kind sinkt die Scheidungsrate der Eltern von 50 Prozent auf 30 Prozent. Und nur eine von zehn Ehen wird geschieden, wenn das Paar drei eigene Kinder hat.
Krauter: Haben Sie noch eine weitere Botschaft für Eheleute, die gemeinsam alt werden wollen?
Hesse: Ja, wo wir gerade von Trennung sprachen: Die beste Chance für eine dauerhafte Beziehung besteht dann, wenn der Mann fünf Jahre älter ist, die Frau aber dafür etwas intelligenter als ihr Partner. Das ist das optimale Zusammenspiel aus Alter und Intelligenz. Und was mir als Verheirateter besonders gut gefällt: Eheleute leben länger. Statistisch belegt ist, dass Ehemänner im Schnitt neun Jahre älter werden als männliche Singles. Denn Männer, die verheiratet sind, trinken weniger Alkohol, sie rauchen weniger und sind vorsichtiger bei riskanten Aktivitäten. Das ist eine positive Nebenwirkung des Verheiratetseins. Bei Frauen liegt dieser Longer-Life-Effekt immerhin bei sechs Jahren. Kurzum: Ehen sind gesund, für alle Beteiligten!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.