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Die Mathematik sozialer Phänomene

Für unspezifische und nur schwer fassbare soziale Phänomene scheint die Mathematik auf den ersten Blick ungeeignet zu sein. Aber nur auf den ersten Blick. Denn mit mathematischen Methoden lassen sich beispielsweise Herdeneffekte beschreiben, Epidemien voraussagen und Bankencrashs erklären. Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen diskutieren auf dem 98. Dahlem-Workshop in Berlin über die Zusammenhänge von Mathematik und Soziologie.

Von Barbara Leitner | 18.12.2008
"Es sind hier eben Sozialwissenschaftler, Ingenieure, Klimaforscher, Mathematiker in mehre Räume gesperrt und die Vision, die bei den Dahlemkonferenzen immer ganz vorne steht ist, können wir wichtige Forschungsfragestellungen kristallisieren in einer Woche, können wir sie soweit durchleuchten und ausdiskutieren, dass wir sie aufschreiben können, dass so was wie ein Forschungsprogramm entsteht - eine Vision für die nächsten fünf bis zehn Jahre, was sind die kritischen Fragen, die man jetzt vorwärts treiben muss, und da diskutieren wir mehr, als dass wir uns gegenseitig präsentieren, was wir schon gemacht haben."

Rupert Klein, Professor für numerische Strömungsmechanik an der Freien Universität Berlin, Leibnitzpreisträger und einer der Organisatoren der Dahlemer Konferenz. In diesem Jahr fragt sie: Gibt es eine Mathematik sozialer Phänomene?

Ja, lautet die Antwort von Marc Barthelemy, theoretischer Physiker und zugleich am einem sozialwissenschaftlichen Institut in Paris tätig. Mit seinem mathematisch geschulten Herangehen versucht er die Struktur sozialer Netzwerke zu verstehen.

"Der Punkt ist, große Gruppen zu bekommen, mit einer großen Zahl von Individuen, um statische Regularien herauszufinden. Wir suchen nach Mustern in großen Gemeinschaften. Darin geht das individuelle Verhalten etwas verloren. Wir wollen wissen, was auf einer weiten Skala passiert. Auch wenn einige Individuen jeden Tag etwas anderes tun, lässt sich statistisch doch eine Regelmäßigkeit finden. Eine große Masse von Individuen verhält sich sehr konstant, auch wenn der Einzelne von einem Tag zum anderen sein Verhalten ändert."

Dabei machen sich die Wissenschaftler zu Nutze, dass im Informationszeitalter nahezu jeder Mensch Spuren seiner Kommunikation hinterlässt.

Telefongesellschaften wissen, wer mit wem wie oft und wie lange telefoniert und ebenso lassen die Kontakte auf Webseiten wie Facebook oder My Space ahnen, wie groß und belebt die sozialen Netzwerke von Gruppen von Menschen sind. Deren Privatsphäre zu achten ist für die Mathematiker kein Problem. Sie interessieren sich für die Daten und Frequenzen. Damit versuchen sie beispielsweise herauszufinden, wie sich Gerüchte oder sozialer Druck verbreiten, wie Herdeneffekte entstehen und wie man deren Wirkung begrenzen kann.

"Es geht genau um diese Fragen, wo gerade in der letzten Zeit klar geworden ist, da stößt die derzeitige Theorie in der Ökonomie und Sozialwissenschaften an ihre Grenzen. Kann man die so weit mathematisieren, dass der gesamte Werkzeugkasten der Mathematik und auch der physikalischen Modellierung in Analogieschlüssen jetzt da zur Verfügung steht, um da weiter zu kommen."

Seit Montag diskutieren die Wissenschaftler in verschiedenen Workshops dafür nicht nur Modelle sondern auch konkrete soziale Phänomene. In einer Runde versuchen sie die gegenwärtige Finanzkrise zu verstehen. Die Wissenschaftler verschiedener Disziplinen untersuchen die Netze von Börsenmaklern sowie die Computerprogramme für den automatischen Börsenhandel, Banken und Hedge-Fonds.

In einem anderen Workshop geht es um innovative Regionen. Wie konnten sich Sillicon Valley oder Baden-Württemberg zu Zentren der Softwarentwicklung beziehungsweise der Maschinenindustrie entwickeln? Dies mathematisch zu betrachten, eröffnet auch den Sozialwissenschaftlern neue Dimensionen, ist Rupert Klein überzeugt.

"Zunächst ist die Mathematik erst einmal eine Sprache. Ich stelle mir das immer vor wie einen Atlas, wenn sie die Erde angucken. Die kann man nicht auf einem Rutsch auf einem Blatt Papier abbilden. Wenn ich jetzt die Landschaft in der interdisziplinären Forschung angucke und gerade in den Sozialwissenschaften, da gibt es immer Teilbereiche, die man abbilden und über die man reden möchte. Das schafft man dann auch, auch wenn man nur die Ökonomie anguckt oder die Soziologie anguckt, wenn man jetzt aber fragt, wie "wechselwirken" die miteinander, kommt man in so ein Problem hinein, dass die eine Sprache nicht so richtig passfähig ist mit der anderen. Wenn man es dann aber schafft, die Konzepte in der Mathematik abzubilden und im Überlappbereich sich auf eine gewisse Sprache zu einigen, die dann sehr präzise formuliert werden kann, dann hilft die Mathematik dort Klarheit zu schaffen und eine Verständigung zu ermöglichen, wo die Menschen sonst in anderen Bahnen denken."

Ein solches mathematisches Modell erlaubt beispielsweise, die Auswirkungen der Klimaänderungen mit der wirtschaftlichen Entwicklung in Beziehung zu setzen und Dimensionen zum politischen Gestalten zu zeigen. Das ist das Thema, für das sich der Physiker und Meteorologe Prof. Klaus Hasselmann aus Hamburg interessiert.

"Man muss genauer definieren, wie man sich vorstellt, wie die Wirtschaft praktisch funktioniert, wie die verschiedenen Akteure das beeinflussen und wie das ganze System läuft und wie das Klima darauf einwirkt und wie die Wirtschaft reagiert auf die Entscheidung über die politischen Rahmenbedingungen. Ob man eine CO2-Steuer einführt und die ganzen Auswirkungen der politischen Maßnahmen muss man umrechnen in entsprechende Modelle, und um das machen zu können, muss man erst mal die mathematischen Formulierungen, die man über die Entwicklung der Wirtschaft hat zu Papier bringen."

Noch ist das eine vollkommen neue Denkrichtung - das Soziale mathematisch zu erforschen. Es ist so neu und ungewohnt wie vor 300 Jahren, als skeptisch gefragt wurde, ob sich physikalische Phänomene mit Mathematik erklären lassen. Und doch sind heute die beiden Naturwissenschaften untrennbar miteinander verbunden. Ähnliches erwartet Marc Bartehlemy durch die mathematische Betrachtung soziale Phänomene und verweist auf erste Erfolge.

"In der Epidemiologie begannen wir uns mit der Ausbreitung von Pandemien zu beschäftigen, was wir mit der SARS vor einigen Jahren hatten. Wir waren in der Lage die Art und Weise zu simulieren, wie sich diese Krankheit auf der Welt ausbreitete. Das war überraschender Weise ein einfaches Problem, weil was man dazu nur wissen muss, dass die Menschen sich von einer Stadt in der Welt zur anderen bewegten und zwar mit dem Flugzeug. Mit Hilfe dieser Daten waren wir in der Lage, die Ausbreitung von SARS mit großer Genauigkeit zu reproduzieren. Das war ein einfacher Fall, weil wir nicht die genaue Struktur der Beziehungen zwischen den Menschen kennen mussten. In unserer weiteren Forschung wollen wir untersuchen, wie sich Krankheiten oder Informationen in einer Stadt oder einer Region ausbreiten können. Das wissen wir noch nicht genau und ich hoffe, dass wir das als ein Resultat in einigen Jahren präsentieren können."