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"Die Mauer: Kainsmal auf der Stirn eines Regimes von Sklavenhaltern"

13. August 1962: Aus einem Feature von Enno Stephan zum ersten Jahrestag des Mauerbaus:

    Ein Jahr genau steht heute in Berlin die Mauer. Kainsmal auf der Stirn eines Regimes von Sklavenhaltern. Denkmal der Schande für ein Jahrhundert, das sich fortschrittlich nennt, weil es Atome zertrümmern, Raketen nach den Sternen schießen und Hundeköpfe lebendig verpflanzen kann.

    Ist ihnen nicht klar, dass jene Mauer, die sie in Berlin aufrichten und die ihren Staat angeblich freier Arbeiter und Bauern in ein einziges Konzentrationslager verwandelt, unzähligen Harmlosen und Gutgläubigen in aller Welt die Augen öffnet? Begreifen sie nicht, dass dies hier der abschreckendste Anschauungsunterricht über die Errungenschaften ihres Systems ist?

    Sie können gar nicht anders an jenem 13. August 1961. Sie können nicht reformieren, wie es jeder vernünftige Staatsmann täte, denn so erkannte es vor mehr als 100 Jahren schon der große französische Staatsrechtler und Politiker Alexis de Tocqueville in seiner Untersuchung über die Ursachen der Französischen Revolution: "Wenn ein schlechtes Regime anfängt zu reformieren, ist es verloren."