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Die Medien und die Depression

In diesen Tagen wurde dem zweiten Todestag von DFB-Nationaltorhüter Robert Enke gedacht, der seinem Leben am 10. November 2009 ein jähes Ende bereitet hat. Diskutiert wurde dabei auch, was sich seither im Fußballgeschäft geändert hat. Häufig lautet der Tenor: In Öffentlichkeit und Medien herrscht mittlerweile eine größere Sensibilität für das Thema Depression. Die Studie eines Mainzer Kommunikationswissenschaftlers offenbart allerdings anderes.

Von Patrick Stegemann | 12.11.2011
    "Fußball ist nicht alles", das war der zentrale Satz von DFB-Präsident Theo Zwanziger in der Trauerrede für Robert Enke vor fast zwei Jahren. Vieles sollte sich nach dem Suizid des Nationaltorwarts ändern. Mehr Menschlichkeit, mehr Offenheit für Tabuthemen und weniger Druck auf Spieler wurden unisono von Verbänden, Vereinen und –vor allem – vielen Medien gefordert.

    In den vergangenen Monaten haben mit Markus Miller, Torhüter bei Hannover 96 und dem Schalke-Trainer Ralf Rangnick einige Prominente des Spitzensports über ihre psychische Erkrankung gesprochen.

    Seither ist viel geschrieben worden über Burn-Out. Das Thema verkauft sich. Das bedeutet jedoch noch nicht, dass Journalisten tatsächlich behutsamer mit Sportlern umgehen.
    Insbesondere in der Sportberichterstattung hat sich wenig geändert. Das zumindest zeigt eine Studie des Mainzer Kommunikationswissenschaftlers André Beem. In seiner Magisterarbeit wertete er 3300 Artikel aus neun Zeitungen aus und verglich die Berichterstattung vor und nach Enkes Suizid. Sein Ergebnis: Verändert hat sich am medialen Druck wenig. Eher im Gegenteil.

    "Die Tabuthemen sind nach wie vor eine Randerscheinung. Mal abgesehen vom Thema Homosexualität, das in der zweiten Untersuchungsphase durch den Fall Amarell/Kempe relativ häufig genannt wurde. Alle anderen Tabuthemen wurden eher weniger behandelt: also Depressionen, Medikamentenmissbrauch – das ist alles rückläufig gewesen. Hinsichtlich der Drucksituation, hat sich herausgestellt, dass alle neun untersuchten Zeitungen im Schnitt eine höhere Drucksituation geführt haben."

    Beem hat drei verschiedene Stufen von Druck in den Artikeln benannt. Von allgemeinen Forderungen bis hin zu rhetorisch scharf formulierten Konsequenzen, die Sportjournalisten mitunter formulieren. Und obwohl der mediale Druck und die Tabuisierung in den Medien nach Enkes Tod so wortreich medial gegeißelt wurden – die journalistische Wirklichkeit im Jahr zwei nach Enkes Tod zeigte ein anderes Ergebnis.

    Abseits des Platzes und der Redaktionsstuben sind seither durchaus erste Ergebnisse erzielt worden. So wurde mit Hilfe des DFBs und der Robert-Enke-Stiftung die Koordinationsstelle "MentalGestärkt" an der Deutschen Sporthochschule ins Leben gerufen. Leistungssport und Psychische Gesundheit zusammenbringen –das ist das Ziel des Netzwerkes.

    Die Koordinatorin und Psychologin von Mental-Gestärkt Marion Sulprizio hat ähnliche Beobachtungen gemacht wie der Kommunikationswissenschaftler Beem: Offenheit gegenüber dem Thema Depression im Sport hat sich noch nicht durchgesetzt.

    "Ich glaube das ist immer noch ein schwieriges Thema. Also natürlich kann man mit dem Mund sagen, man ist offener. Aber trotzdem ist das Herz noch verschlossen. Das ist so das Problem."

    Vereine, Medien, Berater, Fans – sie alle zerren an den Fußballprofis. Marion Sulprizio von "MentalGestärkt" will nicht über die Rolle der Medien sinnieren. Die Psychologen des Netzwerks wollen beim Hauptakteur ansetzten: dem Fußballer.

    "Man sollte auch den Medien ihre Arbeit machen lassen, so wie sie die tun. Das ist ja auch gut so. Aber man sollte auch Ressourcen schaffen. Wir bieten ja Spielercoachings an, wie z.B. der Umgang mit Medien sein kann. Wie kann ich mich schützen, wie kann ich mich selber abhärten, dass jeden Montag über mich geschrieben wird. Das sind natürlich Möglichkeiten, wie man so was üben kann. Aus Sicht der Medien ist es so, die werden natürlich nicht plötzlich was langweiliges Schreiben, weil die ihre Produkte ja auch verkaufen müssen. Also man kann jetzt nicht einfach eine Entwicklung der letzte fünfzig Jahre zurück drehen. So einfach ist das nicht."

    Ganz aus der Verantwortung entlassen möchte die Psychologin Sulprizio die Medien indes auch nicht. Sie wünscht sich mehr Sensibilität im Umgang mit Spielerbewertungen und Rücksicht auf deren Umstände.
    Immerhin: Auf Seiten der Vereine ist manches in Bewegung gekommen. Der offene Umgang von Hannover 96 mit der Erkrankung ihres Torhüters Miller und auch der offene Rückzug Rangnicks zeigen dies. Dennoch: Nicht überall im Fußball ist diese Botschaft schon angekommen, nicht alle Vereine gehen so offensiv mit mentalen Krankheiten um. Es ist immer noch nicht ebenso selbstverständlich, sich mit einem lädiert Knie krankzumelden wie mit einer mentalen Erschöpfung. Auch große Teile der Trainerschaft und Vereinsführungen begegnen dem Thema noch mit einigem Widerwillen. Marion Sulprizio.

    "Wir sind auf dem Weg. Wir gehen einen Schritt in die richtige Richtung. Aber es ist noch eine Menge aufzuholen. Gerade im Fußball, im Profifußball."