Ein kleines nacktes Bronzemädchen sitzt im Hafenbecken von Kopenhagen auf einem runden Stein und lässt sich begaffen und bejubeln. Traditionsgemäß schwimmt an ihrem Geburtstag am 23. August eine Flotte von Bikinimädchen durch das Hafenbecken zur ihr ans Ufer.
"Mein erster Eindruck: sie ist viel kleiner als ich erwartet habe. Und sie ist weiter draußen im Wasser. Aber sie ist sehr hübsch anzusehen!"
Der Engländer Keith Morgan ist mit dem Kreuzfahrtschiff "Queen Elizabeth" nach Dänemark gekommen. Erste Station der 2000 Passagiere: die kleine Bronzestatue an der Kopenhagener Promenade Langelinie, nahe dem Kastell.
"Sie ist ein Mythos. Daran kommt man nicht vorbei, das wäre so, wenn man nach Venedig führe, ohne den Markusplatz zu betreten."
Die Büroangestellte Vanna aus Venedig. Das Gewimmel der Touristen betrachtet Alice Eriksen, Enkelin des Bildhauers Edvard Eriksen und dessen Muse und Modell Eline Eriksen.
"Ich bin stolz, dass meine Großeltern Dänemarks Wahrzeichen geschaffen haben, und es berührt mich ganz stark, wenn ich hier an der Langelinie die vielen Touristen sehe, die meine Oma und das Werk meines Großvaters anschauen und fotografieren."
Im Jahr 1837 veröffentlicht der dänische Schriftsteller Hans Christian Andersen "Die kleine Meerjungfrau". Der dänische Komponist Fini Henriques schreibt nach dem Märchenstoff Anfang des 20. Jahrhunderts eine Ballettmusik.
1909 wird das Ballett "Die kleine Meerjungfrau" im Königlichen Theater Kopenhagen aufgeführt. Sponsor ist der Brauereibesitzer Carl Jacobsen. Der ist von der Tänzerin der Titelrolle so hingerissen, dass er den Bildhauer Edvard Eriksen beauftragt, sie als Statue zu verewigen. Doch die Ballerina ist als Aktmodell nicht zu gewinnen. Die Frau des Künstlers springt ein: Eline Eriksen. Enkelin Alice zeigt ihr Foto:
"Hier sieht man, was sie für eine prächtige Haarmähne hatte. Als sie jung war, konnte sie auf ihren Haaren sitzen. Sie war so schön!"
Brauer Carl Jacobsen will die Statue in seinen Garten aufstellen, doch der Bildhauer hat eine bessere Idee: Die nackte Schöne soll im Meer auf einem Naturstein hocken, Wind und Wellen ausgesetzt, und traurig zum Ufer blicken.
"Genauso schaute meine Großmutter, wenn sie traurig war und Sehnsucht hatte. Manchmal werde ich sogar von Dänen gefragt, was sie da in der Hand hält. Natürlich Algen und Muscheln, denn sie ist ja gerade aus dem Meer aufgetaucht."
Erst nach dem Zweiten Weltkrieg beginnt die Erfolgsstory von Eriksens Bronzefigur: Mit seinem Song "Wonderful Copenhagen" begründet der amerikanische Schauspieler Danny Kaye den Meermaid-Mythos. Alle wollen plötzlich diese Statue sehen, zuerst die Amerikaner, dann die Europäer. Heute entladen sich ganze Reisebusse mit Chinesen, um einen Blick auf die Meerjungfrau zu erhaschen. Manche waten barfuß durch das knietiefe Wasser, um zu ihr zu gelangen.
Alle fassen ihren Schwanz an, dort hat die Bronze einen ganz anderen Farbton. Das erinnert an die brünstige Verehrung von Heiligenbildern. Welch ein Paradox! Doch während die Fans sie streicheln und knipsen, gibt es immer wieder Fanatiker, die sie schänden oder verfremden.
"Ich weiß noch, wie man ihr zum ersten Mal den Kopf abgesägt hat. Unsere Familie war schockiert und in Panik. In welchem Land leben wir denn, hieß es! Es war ja das Porträt meiner Oma, das man geschändet hat. Zum Glück war sie da schon tot."
"Das Schlimmste, was ich erlebt habe, seit ich für sie verantwortlich bin: als man Sprengstoff unter ihr gezündet hat. Sie fiel ins Wasser, und ihr Kopf und ein Schenkel waren ramponiert."
Jens Peter Munk betreut die öffentlichen Baudenkmäler in Kopenhagen und erzählt auch von harmloseren Attacken: wenn etwa die kleine Meerjungfrau politische Statements in Form von Dildo oder Burka über sich ergehen lässt.
"The L M has a special status. She is internationally known. Once you touch her or harm her, tamper with her you would get a lot of international press. The whole world will write about the new incident done, the new harm done to the Mermaid."
"Die kleine Meerjungfrau genießt internationalen Status. Sobald jemand an ihr rummacht, werden die Medien aufmerksam. In der ganzen Welt hört man dann von dem neuen Anschlag auf die Meermaid."
Durch die ständigen Reparaturen ist nur wenig vom Original übrig. Aber die Gipsform existiert noch, davon lässt sich leicht eine neue Meerjungfrau gießen.
"Ich halte die Skulptur nicht für ein großes Kunstwerk. Es ist der Mythos, auf den sie ihre Anschläge richten. Hier ist ein Mythos um den Mythos entstanden, und er wird immer stärker. Es geht nur um das Image, gar nicht um die Statue selbst."
Alles nimmt sie hin: sogar eine Reise nach Schanghai. Dort zierte sie zur Expo 2010 den Dänischen Pavillon.
"Das war das Dümmste, was ich je gehört habe! Wieso haben die nicht einfach eine Kopie gemacht und dann behalten? Aber die Chinesen sind vernarrt in die Kleine Meerjungfrau und wollten die echte bei sich haben."
Und damit die Trennung nicht ganz so schwer fällt, ließen sich die Kopenhagener etwas einfallen: An dem verwaisten Platz der Meermaid an der Langelinie flimmerten in einer Videoinstallation des chinesischen Künstlers Ai Weiwei Bilder von ihr von der Shanghaier Expo.
"Man hat hier einen wunderschönen Platz für sie ausgesucht. Die Figur dort im Wasser gibt einem das Gefühl, selbst im Meer zu sein. Sehr viele Dänen leiden ja unter Fernweh, wollen neue Erfahrungen machen, in ferne Länder reisen. Und das passt wiederum zu Hans Christian Andersen: Reisen bedeutet leben."
Alice Eriksen, Enkelin des Bildhauers Edvard Eriksen, der Andersens Heldin unsterblich gemacht hat. Heute ist die Statue an der Kopenhagener Uferpromenade so berühmt wie der Pariser Eiffelturm oder die New Yorker Freiheitsstatue.
"Mein erster Eindruck: sie ist viel kleiner als ich erwartet habe. Und sie ist weiter draußen im Wasser. Aber sie ist sehr hübsch anzusehen!"
Der Engländer Keith Morgan ist mit dem Kreuzfahrtschiff "Queen Elizabeth" nach Dänemark gekommen. Erste Station der 2000 Passagiere: die kleine Bronzestatue an der Kopenhagener Promenade Langelinie, nahe dem Kastell.
"Sie ist ein Mythos. Daran kommt man nicht vorbei, das wäre so, wenn man nach Venedig führe, ohne den Markusplatz zu betreten."
Die Büroangestellte Vanna aus Venedig. Das Gewimmel der Touristen betrachtet Alice Eriksen, Enkelin des Bildhauers Edvard Eriksen und dessen Muse und Modell Eline Eriksen.
"Ich bin stolz, dass meine Großeltern Dänemarks Wahrzeichen geschaffen haben, und es berührt mich ganz stark, wenn ich hier an der Langelinie die vielen Touristen sehe, die meine Oma und das Werk meines Großvaters anschauen und fotografieren."
Im Jahr 1837 veröffentlicht der dänische Schriftsteller Hans Christian Andersen "Die kleine Meerjungfrau". Der dänische Komponist Fini Henriques schreibt nach dem Märchenstoff Anfang des 20. Jahrhunderts eine Ballettmusik.
1909 wird das Ballett "Die kleine Meerjungfrau" im Königlichen Theater Kopenhagen aufgeführt. Sponsor ist der Brauereibesitzer Carl Jacobsen. Der ist von der Tänzerin der Titelrolle so hingerissen, dass er den Bildhauer Edvard Eriksen beauftragt, sie als Statue zu verewigen. Doch die Ballerina ist als Aktmodell nicht zu gewinnen. Die Frau des Künstlers springt ein: Eline Eriksen. Enkelin Alice zeigt ihr Foto:
"Hier sieht man, was sie für eine prächtige Haarmähne hatte. Als sie jung war, konnte sie auf ihren Haaren sitzen. Sie war so schön!"
Brauer Carl Jacobsen will die Statue in seinen Garten aufstellen, doch der Bildhauer hat eine bessere Idee: Die nackte Schöne soll im Meer auf einem Naturstein hocken, Wind und Wellen ausgesetzt, und traurig zum Ufer blicken.
"Genauso schaute meine Großmutter, wenn sie traurig war und Sehnsucht hatte. Manchmal werde ich sogar von Dänen gefragt, was sie da in der Hand hält. Natürlich Algen und Muscheln, denn sie ist ja gerade aus dem Meer aufgetaucht."
Erst nach dem Zweiten Weltkrieg beginnt die Erfolgsstory von Eriksens Bronzefigur: Mit seinem Song "Wonderful Copenhagen" begründet der amerikanische Schauspieler Danny Kaye den Meermaid-Mythos. Alle wollen plötzlich diese Statue sehen, zuerst die Amerikaner, dann die Europäer. Heute entladen sich ganze Reisebusse mit Chinesen, um einen Blick auf die Meerjungfrau zu erhaschen. Manche waten barfuß durch das knietiefe Wasser, um zu ihr zu gelangen.
Alle fassen ihren Schwanz an, dort hat die Bronze einen ganz anderen Farbton. Das erinnert an die brünstige Verehrung von Heiligenbildern. Welch ein Paradox! Doch während die Fans sie streicheln und knipsen, gibt es immer wieder Fanatiker, die sie schänden oder verfremden.
"Ich weiß noch, wie man ihr zum ersten Mal den Kopf abgesägt hat. Unsere Familie war schockiert und in Panik. In welchem Land leben wir denn, hieß es! Es war ja das Porträt meiner Oma, das man geschändet hat. Zum Glück war sie da schon tot."
"Das Schlimmste, was ich erlebt habe, seit ich für sie verantwortlich bin: als man Sprengstoff unter ihr gezündet hat. Sie fiel ins Wasser, und ihr Kopf und ein Schenkel waren ramponiert."
Jens Peter Munk betreut die öffentlichen Baudenkmäler in Kopenhagen und erzählt auch von harmloseren Attacken: wenn etwa die kleine Meerjungfrau politische Statements in Form von Dildo oder Burka über sich ergehen lässt.
"The L M has a special status. She is internationally known. Once you touch her or harm her, tamper with her you would get a lot of international press. The whole world will write about the new incident done, the new harm done to the Mermaid."
"Die kleine Meerjungfrau genießt internationalen Status. Sobald jemand an ihr rummacht, werden die Medien aufmerksam. In der ganzen Welt hört man dann von dem neuen Anschlag auf die Meermaid."
Durch die ständigen Reparaturen ist nur wenig vom Original übrig. Aber die Gipsform existiert noch, davon lässt sich leicht eine neue Meerjungfrau gießen.
"Ich halte die Skulptur nicht für ein großes Kunstwerk. Es ist der Mythos, auf den sie ihre Anschläge richten. Hier ist ein Mythos um den Mythos entstanden, und er wird immer stärker. Es geht nur um das Image, gar nicht um die Statue selbst."
Alles nimmt sie hin: sogar eine Reise nach Schanghai. Dort zierte sie zur Expo 2010 den Dänischen Pavillon.
"Das war das Dümmste, was ich je gehört habe! Wieso haben die nicht einfach eine Kopie gemacht und dann behalten? Aber die Chinesen sind vernarrt in die Kleine Meerjungfrau und wollten die echte bei sich haben."
Und damit die Trennung nicht ganz so schwer fällt, ließen sich die Kopenhagener etwas einfallen: An dem verwaisten Platz der Meermaid an der Langelinie flimmerten in einer Videoinstallation des chinesischen Künstlers Ai Weiwei Bilder von ihr von der Shanghaier Expo.
"Man hat hier einen wunderschönen Platz für sie ausgesucht. Die Figur dort im Wasser gibt einem das Gefühl, selbst im Meer zu sein. Sehr viele Dänen leiden ja unter Fernweh, wollen neue Erfahrungen machen, in ferne Länder reisen. Und das passt wiederum zu Hans Christian Andersen: Reisen bedeutet leben."
Alice Eriksen, Enkelin des Bildhauers Edvard Eriksen, der Andersens Heldin unsterblich gemacht hat. Heute ist die Statue an der Kopenhagener Uferpromenade so berühmt wie der Pariser Eiffelturm oder die New Yorker Freiheitsstatue.