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Hippiekolonie in bester Wohnlage

Die Hippiekommune Christiane entstand vor 40 Jahren durch die Besetzung eines ehemaligen Militärgeländes in Kopenhagen. 10,2 Millionen Euro müssen die nun zusammenbekommen, um ihren Status zu legalisieren.

Von Harald Brandt |
    Im September 1971 besetzt eine Gruppe von Hippies und Linksaktivisten ein ehemaliges Militärgelände im Zentrum von Kopenhagen und erklärt das 34 Hektar große Areal zur "befreiten Zone". 40 Jahre später verkauft der "Freistaat Christiania" Aktien. Sind die Christianitter zu Börsenmaklern geworden?

    Januar 2012, ein kalter, windiger Tag. Immer wieder fegen Regenschauer durch die Straßen. Der Schauspieler Jeppe Lajer, der selbst zwei Jahre in Christiania gelebt hat, macht mich mit Kirsten bekannt, einer Deutschen, die sich im Wirtschaftsbüro der Kommune um den Verkauf der Volksaktien kümmert. 76 Millionen dänische Kronen, das sind etwa 10,2 Millionen Euro, müssen die Christianitter zusammenbekommen, um ihren Status zu legalisieren. Im Mai 2011 verpflichtete der dänische Staat die etwa 900 Bewohner der Kommune zum Kauf ihrer Häuser. Der Großteil des Kaufpreises wird allerdings durch einen staatlich garantierten Kredit finanziert, die Käufer der Volksaktie erwerben keine Besitzrechte an dem sozialen Experiment Christiania.

    "Wir haben für fast über 6 Millionen verkauft, also Spenden praktisch reingekriegt. Dänische Kronen. Das ist ein symbolischer Betrag. Und es ist die Frage, wie weit man da geht. Aber ja, eine extreme öffentliche Zurschaustellung, wieviel Leute eigentlich Christiania unterstützen wollen. Also insofern hat's ja auch einen politischen Aspekt, so was mal zu machen. Wär natürlich schön, soviel Geld wie möglich reinzukriegen, dass die Belastung so gering wie möglich bleibt. Ist die Frage, wie lang man so eine Kampagne auch laufen lassen kann. Man muss ja neue Märkte erschließen und Leute drauf aufmerksam machen. Und dann sind die Diskussionen auch, wie weit gehen wir in so eine Richtung Merchandising und Reklame machen. Weil das ist ja auch hier bei uns ein sehr gefühlsbeladenes Thema. Es riecht dann ja auch nach Geldmacherei und das soll es ja eigentlich nicht sein."

    Jeppe Lajer stammt aus der Hafenstadt Aarhus in Jütland. Als er 1998 einen Platz in der staatlichen Schauspielschule bekam, zog er nach Kopenhagen. Am Vortag unseres Streifzugs durch Christiania treffe ich Jeppe auf seinem Hausboot, das im Kanal von Christianshavn winterfest verankert ist. Wir setzen uns in die enge Kombüse und Jeppe prüft, ob noch genug Wasser im Tank ist, um einen Kaffee zuzubereiten. "Wir sind nicht mehr so oft hier", sagt er entschuldigend, "deshalb gibt es auch keine Heizung". Ich beschließe, meine Jacke nicht auszuziehen und zwänge mich auf die schmale Bank zwischen Tisch und Kombüsenwand. Zwei Jahre lang hat Jeppe Lajer mit seiner Freundin und seiner kleinen Tochter auf dem Boot gelebt. In dieser Zeit entstanden die ersten Kontakte zum benachbarten Christiania.

    "Als ich die Schauspielschule in Kopenhagen besuchte, habe ich als Kellner gejobbt. Irgendwann habe ich dann das Restaurant Spiseløppen in Christiania entdeckt und mich dort beworben. Ich bekam den Job und das war der erste wirkliche Kontakt mit Christiania. Das war faszinierend, weil mir sehr viel Vertrauen entgegengebracht wurde. Man hat darauf vertraut, dass ich verantwortlich handle. Man begegnet den Menschen dort nicht mit Misstrauen und will sie auch nicht ständig kontrollieren. Vorher habe ich in einem traditionellen Restaurant in Kongshave gearbeitet - das ist der königliche Park in Kopenhagen. Und dort bin ich rausgeflogen, weil ich mich auf einen Stuhl gesetzt habe, als ich mit dem Chef sprach. Aber von den Kellnern wird verlangt, dass sie stehen."

    Jeppe Lajer benutzt seine künstlerischen Fähigkeiten, um Konflikte zwischen gesellschaftlichen Gruppen auf kreative Art zu lösen. In Christiania leitete er das Kindertheater und im Jazzclub organisierte er jeden Dienstagabend Begegnungen zwischen alteingesessenen Christianittern und jungen Menschen, die die Anfänge der Kommune nicht selbst miterlebt haben. Sein Anliegen ist die Verantwortung, die jeder Einzelne in einer Gruppe übernehmen muss, damit die Gemeinschaft funktioniert.

    "Das ist eine der Herausforderungen, der sich Christiania neben vielen anderen stellen muss. Es gibt eine Menge Leute dort, die einfach nur die Situation ausnutzen. Na ja, vielleicht versuchen sie nicht, sie auszunutzen. Aber sie sind einfach nicht fähig, Verantwortung zu übernehmen. Es ist nur eine kleine Gruppe, die im Moment Energie in die Gemeinschaft hineinpumpt. Als wir nach Christiania kamen, haben wir schnell gemerkt, dass der harte Kern der Aktivisten, also der Leute, die wirklich für die Sache brennen, im Lauf der Jahre immer kleiner geworden ist. Eine Erklärung dafür ist vielleicht, dass diejenigen, die etwas bewegen können, eine Weile kämpfen und irgendwann sind sie ausgebrannt - und man braucht eine Menge Ideen und Energie, um etwas zu verändern. Viele Leute ziehen dann weg und zurück bleiben diejenigen, die dazu nicht fähig sind. Aber wahrscheinlich sind sie eben nicht zu mehr in der Lage, als die Verteidigungslinien zu halten."

    In einem lang gestreckten Kasernengebäude direkt hinter dem Haupteingangstor zu Christiania an der Ecke Prinssessegade/Bådmandstraede befindet sich Jeppes früherer Arbeitsplatz, das Spiseløppen. Ein Restaurant der gehobenen Kategorie, ohne vorherige Reservierung ist hier kaum ein Tisch zu kriegen. Nur ein paar Schritte weiter beginnt die Pusher Street, der soziale Brennpunkt von Christiania. Überall hängen Schilder mit einer durchgestrichenen Kamera, die Dealer wollen nicht fotografiert werden. In kleinen Bretterbuden wird Dope und Grass verkauft, der süßliche Geruch der Joints erfüllt die Straße. Harte Drogen sind verpönt, aber allein der freie Verkauf von Cannabis diente den Behörden immer wieder als Argument, um eine Schließung Christianias zu fordern. 2004 beschloss die konservative Regierung unter dem damaligen Ministerpräsidenten Anders Fogh Rasmussen, die Hippiekommune im Herzen von Kopenhagen zu "normalisieren". Das Gelände sollte geräumt und in einen ganz normalen Stadtteil verwandelt werden. Die Zerschlagung des Drogenmarktes in der Pusher Street war eine der ersten Aktionen. "Aber das hat nicht funktioniert", meint Jeppe Lajer, als wir uns im Café Moonfisher bei einem Drink aufwärmen. "Der Drogenmarkt hat sich nur in andere Stadtteile von Kopenhagen verlagert, und die Leute waren sauer, weil die Dealer auf einmal vor den Schulen ihrer Kinder standen."

    "- "Die Atmosphäre hier ist schön. Und wenn die Sonne scheint, ist der Garten voller Menschen."
    - "War das schon so, als du herkamst?
    - "Ja, so war das schon lange hier. Aber vor dem Normalisierungsprozess haben die Leute immer sehr viel Hasch geraucht. Und jetzt ist es weniger verqualmt. Und das ist auch angenehm. Man kann jetzt hier sein, ohne automatisch mitzurauchen.
    - "Jetzt wird hier nur normaler Tabak geraucht, ich sehe Zigaretten und Aschenbecher."
    - "Ja, stimmt, Zigaretten kann man hier noch rauchen."
    - "Nur keinen Hasch."
    - "Genau – wegen der Polizeikontrollen. Lange Zeit war das Café von der Schließung bedroht. Das Haschverbot war natürlich ein Problem für das Geschäft. Aber ich glaube, dass das jetzt funktioniert. Manche Veränderungen führen nicht zum Schlechteren.""

    Christiania ist in 13 autonome Viertel oder Nachbarschaften unterteilt. Wenn ein Haus frei wird, entscheiden die Bewohner des jeweiligen Viertels, wer dort einziehen darf. Als sich Jeppe und seine Freundin Stine im Mai 2006 um ein Haus im Gebiet von Mælkebøtten bewarben, wurden sie zur traditionellen "Mietervollversammlung" eingeladen. Mælkebøtten, ist ein ruhiges Viertel von Christiania in der Nähe der alten Wallanlage, die Ende des 17. Jahrhunderts den östlichen Teil der Stadtmauer von Kopenhagen bildete. Die mit Wasser gefüllten Verteidigungsgräben haben sich im Lauf der Zeit in eine künstliche Seenlandschaft verwandelt. Hier gibt es Baumhäuser, kirgisische Jurten, alte Bootsschuppen und umfunktionierte Bunker. Die Stadtteilversammlung, auf der Jeppe und Stine erklären mussten, warum sie in Christiania leben wollen, fand unter freiem Himmel statt. In einem großen Kreis auf dem Rasen saßen etwa 50 Anwärter 50 Bewohnern des Viertels gegenüber.

    "Es gab keinen Papierkram, es war alles sehr improvisiert. Wir saßen in einem großen Kreis, warteten auf unseren Einsatz und ich war schockiert, was ich zu hören bekam. Eine Geschichte war schrecklicher als die andere. Da waren Leute, die sagten, dass sie seit Jahren ohne ein Dach über dem Kopf lebten, andere erzählten, dass sie in diesem Stadtteil aufgewachsen waren und dass sie sich schon so oft beworben hätten und dass sie jetzt wirklich ein Anrecht darauf hätten, hier zu wohnen. Danke sehr, der Nächste. "Oh, ich habe beinahe meine Kinder verloren, ich bin jetzt wirklich verzweifelt, sie werden mir die Kinder wegnehmen, ich brauche nur einen Ort zum Leben." Danke sehr, der Nächste! Und dann waren wir dran und sagten: Na ja, wir lieben Christiania und wir denken, dass dieses Hippie-Projekt wirklich wichtig ist, deshalb wollen wir uns an der Lösung der momentanen Probleme beteiligen und unsere kreativen Fähigkeiten und Erfahrungen der Gemeinschaft zur Verfügung stellen. Wir denken, dass es wichtig ist, dass sich einige Leute mit zusätzlichen Fähigkeiten beteiligen. Aber auch wir sind in einer sehr schwierigen Situation, wir können nicht mehr auf unserem Schiff leben und sind auch ein bisschen verzweifelt."

    "- "Also, ein bisschen Verzweiflung habt ihr auch hinzugefügt."
    - "Ja, haben wir. Das war ganz klar auch notwendig.""

    Ein Lastkahn fährt durch den Kanal von Christianshavn und bringt das Hausboot leicht ins Schwanken. Jeppe bereitet noch einen Kaffee zu und erzählt, dass er sich wenig Hoffnung auf das Haus gemacht hätte. Andere Mitbewerber seien viel besser platziert gewesen. Aber ein paar Tage nach dem Treffen bekam er einen Anruf: "Kommt vorbei, wir machen heute Abend ein Fest, ihr habt die Wohnung!"

    "Wir sind dann eingezogen. Das Haus, eigentlich eher eine Holzhütte auf einem Hügel, steht auf einem alten Munitionsbunker, der für Probesprengungen benutzt wurde. Der Bunker hat dicke Betonwände und oben drauf war nur ein leichtes Dach, damit der Explosionsdruck entweichen konnte. Und auf dieses Dach hat man einen Wohnwagen gestellt. Auf der einen Seite gab es eine große Terrasse. Sehr verrückt und sehr charmant. Im Garten konnten wir einen Kuckuck hören, das erlebt man selten in einer Hauptstadt. Und der Blick war toll. Auf der einen Seite Christiansborg, also das Parlament, auf der anderen Seite die Seen und die mit Wasser gefüllten, alten Verteidigungsgräben. Aber nach ein paar Wochen - oder vielleicht sogar schon nach nur einer Woche, klebte ein Zettel an unserer Tür, der "an alle, die es angeht" adressiert war: Sie dürfen in diesem Haus nicht wohnen und sind angehalten, es bis dann und dann zu räumen! Das war's: Willkommen im neuen Heim!"

    Der Brief kam von der Liegenschaftsverwaltung, die im Auftrag des dänischen Staates den Normalisierungsprozess in Christiania überwachte. Jeppes Haus hätte nach den neuen Regeln nur durch die Behörde vermietet werden dürfen. Aber die Christianitter akzeptierten diesen Eingriff in ihre Autonomie nicht. Und die freiwerdenden Häuser wurden weiterhin nach dem alten, basisdemokratischen Verfahren vergeben. Auf Betreiben des sozial engagierten Rechtsanwalts Knud Foldschak reichte der Freistaat Christiania eine Klage gegen das Normalisierungsgesetz ein. Und Jeppes einzige Hoffnung war eine Aussetzung der Räumungsaufforderung, bis das Hauptverfahren entschieden sein würde.

    In "Den Grønne Hal", einer Kooperative im Zentrum von Christiania, deckt sich Jeppe mit Schiffsbedarf ein. Er braucht Taue für sein Boot und eine neue Persenning. In der umgebauten Reithalle, in der im 19. Jahrhundert die Pferde des dänischen Militärs dressiert wurden, kann man zu günstigen Preisen recycelte Baumaterialien kaufen. An der Kasse trifft Jeppe einen früheren Nachbarn:

    "Das ist übrigens Casper, wir waren zusammen vor Gericht. Er lebte in dem anderen Haus, das auch geräumt werden sollte. Er wohnt immer noch dort mit seiner Freundin und zwei Kindern."

    - "Also haben sie den Fall gewonnen?"

    - "Nein ... nein, sie haben auch verloren wie wir. Aber sie sind einfach dageblieben. Es gab dann eine Polizeiaktion: Das Dach wurde heruntergerissen, weil Casper das Haus ohne Genehmigung erhöht hatte. Aber als die Polizei weg war, sind sie zurück und haben gleich wieder angefangen zu bauen."

    Auch Jeppe hat sein Verfahren vor dem Landgericht verloren und musste sein Haus räumen. Er hätte sich zwar wie Casper über die Entscheidung des Gerichts hinwegsetzen und einfach dableiben können, aber er wollte seine Familie nicht der Gefahr aussetzen, von heute auf morgen kein Dach über dem Kopf zu haben. Jeppe wohnt jetzt in der Strandgæde, ein paar Straßenzüge nördlich von Christiania. Er sieht sich als Pendler zwischen den Welten. In 40 Jahren sind in Christiania Modelle des Zusammenlebens entwickelt worden, meint er, die zur Lösung gesellschaftlicher Probleme in ganz Dänemark beitragen können. Im Gegenzug gelte es, die Tendenz zur Abschottung der Gemeinschaft zu überwinden und moderne Formen der Kommunikation und der Selbstverwaltung auch in den Freistaat zu tragen. Entscheidungen, die alle Bewohner betreffen, können in Christiania nur einstimmig von der Vollversammlung getroffen werden. Das mache Veränderungen so schwierig, meint Jeppe.

    "Es ist schade, dass sich das nicht weiterentwickelt hat. Im Angesicht all der Herausforderungen, denen sich Christiania stellen muss, ist diese Struktur nicht effizient genug. Es ist zu langsam und es gibt zu viele Vetos. Jeder kann ein Veto einlegen, das ist ein Grundpfeiler von Christianias basisdemokratischem Modell. Jeder Einzelne muss zustimmen. Wenn ich also sage, nein, diesen Punkt kann ich nicht akzeptieren, dann gibt es keine Entscheidung. Ich kann also den ganzen Prozess blockieren. In anderen basisdemokratischen Gemeinschaften, wie zum Beispiel bei den Quäkern in den USA gibt es folgende Regel: Wenn du ein Veto einlegst, musst du einen Gegenvorschlag machen. Du kannst nicht einfach nein sagen, du musst auch kreativ sein. Und das wird in Christiania nicht akzeptiert. Du kannst einfach ein Veto einlegen und dann warten, bis irgendjemand mit einem neuen Vorschlag kommt. Das ist sehr, sehr langwierig."

    Im Februar 2011 wurde die Klage Christianias gegen das Normalisierungsgesetz in zweiter Instanz abgewiesen und der Freistaat hatte nur noch die Wahl, entweder das ganze Gelände zu räumen oder das Kaufangebot des dänischen Staates anzunehmen. Der Rechtsanwalt Knud Foldschak kam mit einem Vorschlag, der nach langen Diskussionen schließlich von der Vollversammlung akzeptiert wurde: Christiania richtet eine Stiftung ein, die von einer elfköpfigen Kommission verwaltet wird. Das Geld aus dem Verkauf der Volksaktien und eine staatlich garantierte Hypothek auf die Häuser in Christiania fließen der Stiftung zu, die in Zukunft als Eigentümerin agiert. Bis zum ersten Juli 2012 müssen 50 Millionen Kronen, etwa 6,7 Millionen Euro, an den dänischen Staat überwiesen werden, die Zahlung der Restsumme von 3,5 Millionen Euro wird über einen Zeitraum von fünf Jahren gestreckt. Für dieses Geld erwerben die Christianitter den Großteil der Häuser, nur die denkmalgeschützten Bauten bleiben Eigentum des Staates. Das Gebiet um die Seen an den historischen Wallanlagen von Christianshavn muss der Freistaat für jährlich 800.000 Kronen, umgerechnet etwa 107.000 Euro, mieten.

    Jeppe ist eingefallen, dass er noch Kabel für Lautsprecher braucht. Wir gehen ins obere Stockwerk von "Den Grønne Hal", wo man erst das ganze Ausmaß der alten Reithalle sieht. Neben Baumaterialien und Schiffsausrüstungen kann man hier auch Second-Hand-Kleidung, gebrauchte Elektrogeräte und Papierwaren kaufen. Jeppe stellt mich Helene vor, einer der Mitbegründerinnen der Kooperative und sagt, dass ich etwas über die veränderten Wirtschaftbedingungen wissen will.

    "Bis letztes Jahr haben wir alles in Christianias gemeinsame Kasse eingezahlt. Aber seither müssen wir wie ein ganz normales Unternehmen arbeiten, mit eigener Steuernummer. Vorher haben wir die Steuern an Christiania gezahlt, jetzt fließen sie nach draußen in die Gesellschaft."

    - "Das ist ein Verlust für Christiania?"

    - "Ein großer Verlust! Allein unsere Firma hat fast das ganze Budget für den Kindergarten aufgebracht. Das ist ein großes Problem für Christiania. Aber nach einem Jahr werden wir mal sehen, wieviel Geld wir haben und unsere Gewinne dann in die gemeinsame Kasse einzahlen. Aber soviel wird das nicht sein. Wir werden aber mehr Miete an Christiania zahlen für das Gebäude hier."

    - "Als Ausgleich?"

    - "Wir versuchen, es irgendwie auszugleichen. Mal sehen."

    - "Jeppe hat mir erzählt, dass die Miete im Verhältnis zum Gewinn steht, den ihr macht. Stimmt das?"

    - "Mehr oder weniger. Du gehst zur Versammlung und redest darüber. Aber wenn die Miete nach Quadratmetern berechnet werden würde, dann säßen wir ganz schön in der Scheiße."

    - "Es ist ziemlich groß hier."

    - "Ja, es wäre einfacher, einen kleinen Laden zu haben, wo man Hasch verkauft."

    - "Wenige Quadratmeter aber großer Gewinn ... das stimmt!"

    "Darf ich", fragt Jeppe und schaut auf sein Handy, das sich gerade wieder gemeldet hat. Er arbeitet in einem Onlinenetzwerk, das Konzepte für Firmen ausarbeitet, die sich in "sozialem Unternehmertum" engagieren wollen. Daneben verfolgt er seine Theaterprojekte weiter und arbeitet an der Fertigstellung eines Films, den er mit Kindern aus Christiania gedreht hat: eine Art modernes Märchen, in dem der Freistaat als Kulisse für die Traumszenen dient. Jeppe konzentriert viel Energie auf die Arbeit mit den Kindern, er hofft, dass es ihnen später gelingen wird, Modelle für Christiania zu entwickeln, die mehr sind, als nur eine Bewahrung des Status Quo.

    "Christiania ist ein sehr wichtiges Experiment. So etwas gibt es anderswo nicht. So ein großes Gebiet mitten im Herzen einer Hauptstadt, das schon so lange besetzt ist, das ist ungewöhnlich. Christiania ist also mehr als nur ein Haufen Hippies, es gibt ein ganzes Netzwerk von Leuten hier in der Stadt und in ganz Europa, die sich damit auseinandersetzen. Und die Auswirkungen, die Christiania gehabt hat, gehen weit über seine Bewohner hinaus. Deshalb war es für mich immer ein sehr wertvolles Experiment, trotz aller Probleme. Als ich dort gelebt habe und die ganzen internen Prozesse und Kämpfe mitbekommen habe, ist mir bewusst geworden, mit welch großen sozialen Fragen sich Christiania auseinandersetzen muss. Deshalb ist es eine wertvolle Einrichtung, weil hier viele soziale Probleme gelöst werden. Christiania gibt vielen Menschen die Möglichkeit, besser und glücklicher zu leben als sonstwo. Die Vielzahl der sozialen Herausforderungen macht eine konstruktive Zusammenarbeit natürlich sehr schwierig. Das meinte ich, als ich vorhin sagte, dass der harte Kern der Aktivisten oder Organisatoren zu klein ist, um sich allen Herausforderungen zu stellen."