JOHN UPDIKE: Ich weiß nicht mehr genau, warum ich dieses Buch geschrieben haben. Ein Freund hat mir geraten, ein Buch zu schreiben, für das ich länger als ein Jahr brauchen würde. Ich dachte mir, na, vielleicht hat er recht, vielleicht sollte ich jetzt wirklich mal etwas Ehrgeizigeres schreiben als meine letzten Bücher, jedenfalls was den Umfang betrifft. Im Mittelpunkt stehen die Wilmots, diese Familie ist gewissermaßen der Held dieses Buchs. Die Wilmots weisen einige Ähnlichkeiten mit den Updikes auf. Der Roman ist sozusagen eine verzerrte Version meiner eigenen Familiengeschichte. Mein Großvater väterlicherseits war presbyterianischer Pfarrer, und von ihm hieß es, daß er seinen Beruf aufgegeben oder vielmehr darin versagt hatte. Er verlor zwar nicht seinen Glauben so wie Clarence Wilmot, meine Romanfigur, aber meinen Großvater umgab eine Aura der Schande und des Versagens. Er starb, ehe ich geboren war, ich habe ihn also nie kennengelernt. Doch in meinem Denken lebte er als Familienlegende fort. Der Roman handelt im Grunde von Familiengeschichten und Familienanekdoten, wie wir sie alle kennen, davon, daß jede Generation die Fehler der vorangegangenen Generation auszubügeln versucht. Die Bibel ist voll von solchen Geschichten - von Abraham zu Isaak, und von Isaak zu Jakob und Esau. Daran habe ich gewissermaßen als Vorbild gedacht. Von der allgemein soziologischen Warte aus gesprochen, nehme ich an, daß man in Amerika einen Glauben braucht, um es hier zu schaffen. Dieses Land basiert sozusagen auf einem Handel mit Gott. Seit den Puritanern ist der Glaube jene Kraftquelle, die einen in die Lage versetzt, mit allen Widrigkeiten hier fertig zu werden: früher war es das unwirtliche Klima und daß man fast verhungert ist, heute verleiht einem der Glaube die Energie und Zielstrebigkeit, in dieser vom starken Konkurrenzkampf und Wandel bestimmten Welt zurechtzukommen, die das freie Unternehmertum geschaffen hat.
SCHECK: Wie genau sieht dieser amerikanische Handel mit Gott aus?
UPDIKE: Die Menschen, die zuerst in dieses Land kamen, fanden ein so gut wie unbesiedeltes Land vor. Es gab natürlich die Indianer, aber die waren nicht sehr zahlreich, und in den Augen der Europäer haben sie wenig mit dem Land gemacht. Deshalb war es fast wie eine Ankunft im Nichts. Und von da an gab es in Amerika die Vorstellung, daß wenn man weit genug nach Westen geht, man dort wieder so eine Leere vorfindet, wo die alten Hindernisse, die alten gesellschaftlichen Restriktionen für die eigenen Aktivitäten wegfallen und jeder seines Glückes Schmied ist. Im Grunde ist es diese Vorstellung von den Bedingungen der Pionierzeit - wer bereit ist, sich physisch, aber vielleicht auch spirituell dem Risiko auszusetzen, die etablierte Ordnung zu verlassen, für den zahlt sich das am Ende dann aus. Wir haben großen Erfolg in diesem Land, aber wir versagen auch in großem Maßstab. Für jeden, der großen Erfolg hat, gibt es hunderte, die scheitern, für die sich dieser Handel mit Gott nicht auszahlt. Dies erklärt das Quecksilberhafte des amerikanischen Lebens.
SCHECK: In "Gott und die Wilmots" schreiben Sie auch über über den Film. Einer der roten Fäden, der sich durch Ihr Buch zieht, eines der Hauptthemen, ist der Mangel an transzendenter Erfahrung, den mehrere Generationen erleben. Parallel schildern Sie das Entstehen des Kinos, und fast scheint es, als nähme das Kino die Stelle der Kirche ein. Sind Sie mit dieser Lesart einverstanden?
UPDIKE: Das stimmt, das ist einer der wichtigsten Punkte des Romans. Während die christliche Religion immer mehr an Einfluß verliert und sich auf dem Rückzug befindet, stößt in diese Lücke der Film, der uns mit mit Mythen versorgt und mit handlungssteuernden Bildern. Ich bin 1932 geboren und schon als sehr junger Mensch ins Kino gegangen. Es war eine kleine Stadt mit 5000 Einwohnern, das Kino und die Kirche lagen jeweils einen Block von der Hauptstraße entfernt, sie waren gewissermaßen symmetrisch angeordnet und auch ungefähr gleich groß, was die Zahl der Menschen anging, die in ihnen Platz fanden. Das Kino hat mich spirituell viel mehr beeinflußt als die Kirche, es hat meinen Ehrgeiz angestachelt und mir eine Vorstellung von Ruhm und Schönheit verliehen. Diese wunderbar gepflegten und frisierten Frauen, die gutaussehende Männer, die Dramen, in deren Mittelpunkt damals immer ein moralischer Konlfikt zwischen Gut und Böse stand, den das Gute unweigerlich gewann. All das war mit Sicherheit eine Art Religion für mich. Ich wollte sogar mal beim Film arbeiten. Andererseits wurde ich mehr oder minder konventionell als lutheranischer Protestant erzogen, mein Vater war Diakon, als Pfarrersohn konnte er von der Kirche nicht lassen. Und obwohl ich nicht von mir behaupten kann, daß ich je Priester oder gar ein Heiliger werden wollte, fiel die Botschaft in gewisser Hinsicht bei mir auf fruchtbaren Boden. Die Gegend, in der ich aufgewachsen bin, der Osten Pennsylvanias, ist sehr traditionell, viele Deutsche, Deutsch-Amerikaner leben dort, und diese Atmosphäre des Konservativen, der sehr hart arbeitenden Menschen dort, hat mich selbst sehr viel konservativer werden lassen als viele angehende Künstler.
SCHECK: Auf Ihren Konservativismus kommen wir noch zu sprechen, denn ich halte "Gott und die Wilmots" für einen ausgesprochen politischen Roman, allein schon deshalb sehr ungewöhnlich in der amerikanischen Gegenwartsliteratur. Aber gibt es nicht so etwa wie den Neid des Romanciers auf den Film?
UPDIKE: Ob ich dem Film um sein riesiges Publikum und seine Fähigkeit beneide, unsere Aufmerksamkeit zu erregen? Für seine riesige Popularität muß der Film einen schrecklich hohen Preis bezahlen - er muß sich nach dem Geschmack der Masse richten, weshalb die meisten Filme entsetzlich dumm sind. Als Kind ist mir diese Dämlichkeit nicht aufgefallen, vielleicht waren die Filme in den 30er Jahren auch nicht ganz so stupide wie die heutigen. Die Filmfabriken während der Studio-Ära richteten sich an die gesamte amerikanische Öffentlichkeit als ihr Publikum, nicht nur an einen Teil davon. Damals gingen alle ins Kino, vielleicht nicht meine Großeltern, aber auf jeden Fall meine Eltern. Und die Filme damals packten echte Themen an - zugegebenermaßen auf sehr prüde und vielleicht auch verlogen partiotische Weise. Aber wenn man sich diese alten Filme anschaut, dann kann man sie respektieren, wenigsten haben sie einen Zusammenhang. Sie sind geschrieben wie Bücher, man spürt die Intelligenz des Drehbuchs. Wenn man heute ins Kino geht, dann richten sich die Filme alle an Jugendliche oder Menschen knapp über 20. Nicht daß ich keine Lust hätte, ins Kino zu gehen. Aber für Leute meines Alters gibt es höchstens mal alle Jubeljahre einen Film, der uns anspricht. Als Romancier habe ich vielleicht das schörkellos Klare des Films angestrebt, die Vollständigkeit des Bildes, das man direkt vor Augen hat. Ein Romancier kann "ein Stuhl" schreiben, und gewissermaßen liegt es dann am Leser oder der Leserin, für den Stuhl zu sorgen - er oder sie muß sich einen Stuhl vorstellen. Aber der Film muß tatsächlich einen Stuhl aus der wirklichen Welt vor die Kamera stellen. Deshalb enthält selbst ein wirklichkeitsferner Film noch jede Menge Realität. Der Film wurde mittlerweile selbst aus dem Mittelpunkt der Gesellschaft verdrängt. Das Fernsehen scheint in der Welt von heute das primäre Medium des Geschichtenerzählens zu sein. Seit den 50er Jahren kämpft der Film um sein Publikum. Gleichwohl ist das Filmpublikum sicherlich größer als das Publikum für einen Roman. Der Vorteil des Romanciers hingegen ist, daß sein Produkt nicht nur im Kino um die Ecke ein oder zwei Wochen lang zu sehen ist, sondern gewissermaßen immer präsent bleibt - wenn nicht mehr lieferbar als Buch, dann doch in den Bibliotheken. Man schreibt gewissermaßen für die Nachwelt, für eine größere Zeitspanne. Das Buch kann nach und nach seine ideale Leserschaft erreichen. Ich beobachte das bei mir selbst. Bücher, die ich vor langer Zeit geschrieben habe, werden heute von Menschen gelesen, für die sie neu sind, die entdecken dann Dinge, die ich selbst schon längst vergessen habe. Schließlich kann man im Roman viel mehr machen als im Film. Man muß keine Rücksicht nehmen auf die Geldleute, die Launen des Regisseurs oder die Beschränkungen der Schauspieler. Man hat selbst alles in der Hand, man ist Schauspieler, Bühnenbildner und Regisseur in einer Person. Das hat seine Vorteile, mir gefällt’s jedenfalls. Das ganze Hin und Her, der ständige Kontakt mit Menschen, die vielen Sitzungen und Kompromisse, mit denen man beim Film leben muß - das wär nichts für mich.
SCHECK: Als wir vom Kino ihrer Kindheit sprachen, haben Sie Ihre deutschen Vorfahren erwähnt. Was fällt John Uprike heute, mit über 60, als typisch deutsch an sich selbst auf?
UPDIKE: Meine Mutter war eine sogenannte Pennsylvania-Deutsche, sie hieß Hoyer. Viele meiner Klassenkameraden in der Schule hatten deutsche Namen. Wenn man da aufwuchs, spürte man eine Bereitschaft zur harten Arbeit, das scheint mir im deutschen Nationalcharakter zu liegen. Auch eine Bereitschaft zum Feiern. Schließlich ist da noch ein gewisser deutscher Respekt vor der etablierten Macht. Auch diese Tradition geht auf Luther zurück - der Gehorsam dem Fürsten gegenüber. Die meisten Deutschen gehorchen nun mal, wer immer der Fürst ist. Und wenn es deutsche Revolutionäre gibt, wie es in den 60er Jahren ja der Fall war, dann neigen sie dazu, sehr extrem zu sein, es gibt da keine Mitte - entweder man gehorcht dem Fürsten oder man bringt ihn um. Ich verspüre die Neigung, in meinem kurzen Leben die Regierung regieren zu lassen und mich, um mit Voltaire zu sprechen, um mein eigenes Gärtchen zu kümmern, in der Annahme, daß die Welt sich auch ohne einen vernünftig weiter entwickeln wird. Diese Annahme ist nicht immer berechtigt. Regierungen können wahnsinnig sein, das haben wir in diesem Jahrhundert gleich mehrfach erlebt. Außerdem haben Regierungen ihre eigene Logik, ihre eigenen Ziele, die sich nicht immer mit denen ihrer Bürger decken. Aber als amerikanischer Bürger fühle ich mich während meiner mittlerweile 66jährigen Lebenszeit alles in allem recht gut regiert.
SCHECK: In den 60er Jahren zählten Sie zu den wenigen Autoren, die nicht gegen den Vietnamkrieg protestierten oder jedenfalls nicht auf den sofortigen Abzug der amerikanischen Truppen drängten.
UPDIKE: Stimmt. Der Krieg hat mir nicht gefallen wie wohl überhaupt niemandem. Wenn man heute die Memoirenliteratur liest, dann hielten auch die politischen Führer, allen voran Lyndon Johnson, Vietnam für einen Morast, einen Sumpf, in dem es nichts zu gewinnen gab. Der Krieg war wohl ein Fehler, ein mörderischer Fehler, denn viele Amerikaner und noch viel mehr Vietnamesen starben. Andererseits war ich durch den Zweiten Weltkrieg darauf konditioniert, für "unsere Seite" zu kämpfen. Der Koreakrieg wäre mein Krieg gewesen, wenn ich Soldat gewesen wäre. Statt dessen ging ich aufs College und mußte nicht zum Militär. Aber ich hielt es nicht für unmoralisch, dafür zu kämpfen, daß diese Länder nicht kommunistisch wurden. Später schien es in Vietnam um genau dasselbe zu gehen wie in Korea. Ich habe also nicht protestiert. Niemand hat mich zum Protest gegen den Krieg aufgefordert, aber auch niemand, den Krieg zu unterstützen. Ich zählte nicht zu der Gruppe von Spezialisten, die die Entscheidung trafen, daß wir dort kämpfen sollten. Als dann das Jahr 1968 kam, war ich überrascht, welch heftige Gefühle durch die Proteste ausgelöst wurden, in einer Minderheit, aber in einer wichtigen Minderheit, keineswegs nur bei Jugendlichen. Mir fiel eher die Heftigkeit des Antiamerikanismus auf, der Zorn, den die Amerikaner gegen sich selbst hegten, auch die Vorstellung, daß das gegenwärtige System durch und durch korrupt war und durch etwas anderes ersetzt werden sollte. Man kann wohl mit Fug und Recht behaupten, daß ich kein Revolutionär bin - nicht in diesem Land. Veränderungen und Reformen ja, aber eine radikale Veränderung dürfte wohl eher zu Schlimmerem als Besserem führen.
SCHECK: Wie genau sieht dieser amerikanische Handel mit Gott aus?
UPDIKE: Die Menschen, die zuerst in dieses Land kamen, fanden ein so gut wie unbesiedeltes Land vor. Es gab natürlich die Indianer, aber die waren nicht sehr zahlreich, und in den Augen der Europäer haben sie wenig mit dem Land gemacht. Deshalb war es fast wie eine Ankunft im Nichts. Und von da an gab es in Amerika die Vorstellung, daß wenn man weit genug nach Westen geht, man dort wieder so eine Leere vorfindet, wo die alten Hindernisse, die alten gesellschaftlichen Restriktionen für die eigenen Aktivitäten wegfallen und jeder seines Glückes Schmied ist. Im Grunde ist es diese Vorstellung von den Bedingungen der Pionierzeit - wer bereit ist, sich physisch, aber vielleicht auch spirituell dem Risiko auszusetzen, die etablierte Ordnung zu verlassen, für den zahlt sich das am Ende dann aus. Wir haben großen Erfolg in diesem Land, aber wir versagen auch in großem Maßstab. Für jeden, der großen Erfolg hat, gibt es hunderte, die scheitern, für die sich dieser Handel mit Gott nicht auszahlt. Dies erklärt das Quecksilberhafte des amerikanischen Lebens.
SCHECK: In "Gott und die Wilmots" schreiben Sie auch über über den Film. Einer der roten Fäden, der sich durch Ihr Buch zieht, eines der Hauptthemen, ist der Mangel an transzendenter Erfahrung, den mehrere Generationen erleben. Parallel schildern Sie das Entstehen des Kinos, und fast scheint es, als nähme das Kino die Stelle der Kirche ein. Sind Sie mit dieser Lesart einverstanden?
UPDIKE: Das stimmt, das ist einer der wichtigsten Punkte des Romans. Während die christliche Religion immer mehr an Einfluß verliert und sich auf dem Rückzug befindet, stößt in diese Lücke der Film, der uns mit mit Mythen versorgt und mit handlungssteuernden Bildern. Ich bin 1932 geboren und schon als sehr junger Mensch ins Kino gegangen. Es war eine kleine Stadt mit 5000 Einwohnern, das Kino und die Kirche lagen jeweils einen Block von der Hauptstraße entfernt, sie waren gewissermaßen symmetrisch angeordnet und auch ungefähr gleich groß, was die Zahl der Menschen anging, die in ihnen Platz fanden. Das Kino hat mich spirituell viel mehr beeinflußt als die Kirche, es hat meinen Ehrgeiz angestachelt und mir eine Vorstellung von Ruhm und Schönheit verliehen. Diese wunderbar gepflegten und frisierten Frauen, die gutaussehende Männer, die Dramen, in deren Mittelpunkt damals immer ein moralischer Konlfikt zwischen Gut und Böse stand, den das Gute unweigerlich gewann. All das war mit Sicherheit eine Art Religion für mich. Ich wollte sogar mal beim Film arbeiten. Andererseits wurde ich mehr oder minder konventionell als lutheranischer Protestant erzogen, mein Vater war Diakon, als Pfarrersohn konnte er von der Kirche nicht lassen. Und obwohl ich nicht von mir behaupten kann, daß ich je Priester oder gar ein Heiliger werden wollte, fiel die Botschaft in gewisser Hinsicht bei mir auf fruchtbaren Boden. Die Gegend, in der ich aufgewachsen bin, der Osten Pennsylvanias, ist sehr traditionell, viele Deutsche, Deutsch-Amerikaner leben dort, und diese Atmosphäre des Konservativen, der sehr hart arbeitenden Menschen dort, hat mich selbst sehr viel konservativer werden lassen als viele angehende Künstler.
SCHECK: Auf Ihren Konservativismus kommen wir noch zu sprechen, denn ich halte "Gott und die Wilmots" für einen ausgesprochen politischen Roman, allein schon deshalb sehr ungewöhnlich in der amerikanischen Gegenwartsliteratur. Aber gibt es nicht so etwa wie den Neid des Romanciers auf den Film?
UPDIKE: Ob ich dem Film um sein riesiges Publikum und seine Fähigkeit beneide, unsere Aufmerksamkeit zu erregen? Für seine riesige Popularität muß der Film einen schrecklich hohen Preis bezahlen - er muß sich nach dem Geschmack der Masse richten, weshalb die meisten Filme entsetzlich dumm sind. Als Kind ist mir diese Dämlichkeit nicht aufgefallen, vielleicht waren die Filme in den 30er Jahren auch nicht ganz so stupide wie die heutigen. Die Filmfabriken während der Studio-Ära richteten sich an die gesamte amerikanische Öffentlichkeit als ihr Publikum, nicht nur an einen Teil davon. Damals gingen alle ins Kino, vielleicht nicht meine Großeltern, aber auf jeden Fall meine Eltern. Und die Filme damals packten echte Themen an - zugegebenermaßen auf sehr prüde und vielleicht auch verlogen partiotische Weise. Aber wenn man sich diese alten Filme anschaut, dann kann man sie respektieren, wenigsten haben sie einen Zusammenhang. Sie sind geschrieben wie Bücher, man spürt die Intelligenz des Drehbuchs. Wenn man heute ins Kino geht, dann richten sich die Filme alle an Jugendliche oder Menschen knapp über 20. Nicht daß ich keine Lust hätte, ins Kino zu gehen. Aber für Leute meines Alters gibt es höchstens mal alle Jubeljahre einen Film, der uns anspricht. Als Romancier habe ich vielleicht das schörkellos Klare des Films angestrebt, die Vollständigkeit des Bildes, das man direkt vor Augen hat. Ein Romancier kann "ein Stuhl" schreiben, und gewissermaßen liegt es dann am Leser oder der Leserin, für den Stuhl zu sorgen - er oder sie muß sich einen Stuhl vorstellen. Aber der Film muß tatsächlich einen Stuhl aus der wirklichen Welt vor die Kamera stellen. Deshalb enthält selbst ein wirklichkeitsferner Film noch jede Menge Realität. Der Film wurde mittlerweile selbst aus dem Mittelpunkt der Gesellschaft verdrängt. Das Fernsehen scheint in der Welt von heute das primäre Medium des Geschichtenerzählens zu sein. Seit den 50er Jahren kämpft der Film um sein Publikum. Gleichwohl ist das Filmpublikum sicherlich größer als das Publikum für einen Roman. Der Vorteil des Romanciers hingegen ist, daß sein Produkt nicht nur im Kino um die Ecke ein oder zwei Wochen lang zu sehen ist, sondern gewissermaßen immer präsent bleibt - wenn nicht mehr lieferbar als Buch, dann doch in den Bibliotheken. Man schreibt gewissermaßen für die Nachwelt, für eine größere Zeitspanne. Das Buch kann nach und nach seine ideale Leserschaft erreichen. Ich beobachte das bei mir selbst. Bücher, die ich vor langer Zeit geschrieben habe, werden heute von Menschen gelesen, für die sie neu sind, die entdecken dann Dinge, die ich selbst schon längst vergessen habe. Schließlich kann man im Roman viel mehr machen als im Film. Man muß keine Rücksicht nehmen auf die Geldleute, die Launen des Regisseurs oder die Beschränkungen der Schauspieler. Man hat selbst alles in der Hand, man ist Schauspieler, Bühnenbildner und Regisseur in einer Person. Das hat seine Vorteile, mir gefällt’s jedenfalls. Das ganze Hin und Her, der ständige Kontakt mit Menschen, die vielen Sitzungen und Kompromisse, mit denen man beim Film leben muß - das wär nichts für mich.
SCHECK: Als wir vom Kino ihrer Kindheit sprachen, haben Sie Ihre deutschen Vorfahren erwähnt. Was fällt John Uprike heute, mit über 60, als typisch deutsch an sich selbst auf?
UPDIKE: Meine Mutter war eine sogenannte Pennsylvania-Deutsche, sie hieß Hoyer. Viele meiner Klassenkameraden in der Schule hatten deutsche Namen. Wenn man da aufwuchs, spürte man eine Bereitschaft zur harten Arbeit, das scheint mir im deutschen Nationalcharakter zu liegen. Auch eine Bereitschaft zum Feiern. Schließlich ist da noch ein gewisser deutscher Respekt vor der etablierten Macht. Auch diese Tradition geht auf Luther zurück - der Gehorsam dem Fürsten gegenüber. Die meisten Deutschen gehorchen nun mal, wer immer der Fürst ist. Und wenn es deutsche Revolutionäre gibt, wie es in den 60er Jahren ja der Fall war, dann neigen sie dazu, sehr extrem zu sein, es gibt da keine Mitte - entweder man gehorcht dem Fürsten oder man bringt ihn um. Ich verspüre die Neigung, in meinem kurzen Leben die Regierung regieren zu lassen und mich, um mit Voltaire zu sprechen, um mein eigenes Gärtchen zu kümmern, in der Annahme, daß die Welt sich auch ohne einen vernünftig weiter entwickeln wird. Diese Annahme ist nicht immer berechtigt. Regierungen können wahnsinnig sein, das haben wir in diesem Jahrhundert gleich mehrfach erlebt. Außerdem haben Regierungen ihre eigene Logik, ihre eigenen Ziele, die sich nicht immer mit denen ihrer Bürger decken. Aber als amerikanischer Bürger fühle ich mich während meiner mittlerweile 66jährigen Lebenszeit alles in allem recht gut regiert.
SCHECK: In den 60er Jahren zählten Sie zu den wenigen Autoren, die nicht gegen den Vietnamkrieg protestierten oder jedenfalls nicht auf den sofortigen Abzug der amerikanischen Truppen drängten.
UPDIKE: Stimmt. Der Krieg hat mir nicht gefallen wie wohl überhaupt niemandem. Wenn man heute die Memoirenliteratur liest, dann hielten auch die politischen Führer, allen voran Lyndon Johnson, Vietnam für einen Morast, einen Sumpf, in dem es nichts zu gewinnen gab. Der Krieg war wohl ein Fehler, ein mörderischer Fehler, denn viele Amerikaner und noch viel mehr Vietnamesen starben. Andererseits war ich durch den Zweiten Weltkrieg darauf konditioniert, für "unsere Seite" zu kämpfen. Der Koreakrieg wäre mein Krieg gewesen, wenn ich Soldat gewesen wäre. Statt dessen ging ich aufs College und mußte nicht zum Militär. Aber ich hielt es nicht für unmoralisch, dafür zu kämpfen, daß diese Länder nicht kommunistisch wurden. Später schien es in Vietnam um genau dasselbe zu gehen wie in Korea. Ich habe also nicht protestiert. Niemand hat mich zum Protest gegen den Krieg aufgefordert, aber auch niemand, den Krieg zu unterstützen. Ich zählte nicht zu der Gruppe von Spezialisten, die die Entscheidung trafen, daß wir dort kämpfen sollten. Als dann das Jahr 1968 kam, war ich überrascht, welch heftige Gefühle durch die Proteste ausgelöst wurden, in einer Minderheit, aber in einer wichtigen Minderheit, keineswegs nur bei Jugendlichen. Mir fiel eher die Heftigkeit des Antiamerikanismus auf, der Zorn, den die Amerikaner gegen sich selbst hegten, auch die Vorstellung, daß das gegenwärtige System durch und durch korrupt war und durch etwas anderes ersetzt werden sollte. Man kann wohl mit Fug und Recht behaupten, daß ich kein Revolutionär bin - nicht in diesem Land. Veränderungen und Reformen ja, aber eine radikale Veränderung dürfte wohl eher zu Schlimmerem als Besserem führen.