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"Die meisten Handwerksbetriebe bilden überproportional aus"

Der Generalsekretär des Zentralverbandes des deutschen Handwerks, Hanns-Eberhard Schleyer, kritisiert den Vorstoß von Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) für einen Ausbildungsbonus zur Beschäftigung schwer vermittelbarer Jugendlicher. Zwar sei es richtig, dass für Altbewerber zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen werden müssten, sagte Schleyer. Es gebe jedoch bereits eine Reihe von Programmen, die auf Altbewerber zielten.

Moderation: Bettina Klein |
    Bettina Klein: Die Bundesregierung will Betriebe belohnen, die schwer vermittelbaren Jugendlichen einen Ausbildungsplatz anbieten. Den Unternehmen soll dem Plan zufolge rund die Hälfte der Ausbildungsvergütung bezahlt werden. Das Kabinett soll diese Woche darüber entscheiden. Fast die Hälfte aller Jugendlichen, die einen Ausbildungsplatz suchen, seien Altbewerber, so Bundesarbeitsminister Scholz (SPD) an diesem Wochenende zur Begründung.
    Wie viel kann ein solcher Bonus bringen? Darüber möchte ich jetzt sprechen mit Hans-Eberhard Schleyer, Generalsekretär vom Zentralverband des deutschen Handwerks. Guten Morgen Herr Schleyer!

    Hanns-Eberhard Schleyer: Guten Morgen Frau Klein.

    Klein: Ausbildungsbonus, ein Anreiz, der bei den Betrieben wirken wird?

    Schleyer: Ich bin mir da nicht so ganz sicher, denn so richtig es auf der einen Seite ist, dass wir vor allem für die Altbewerber zusätzliche Ausbildungsplätze schaffen müssen, so viele Maßnahmen haben wir eigentlich in den letzten Jahren gerade auf diese spezielle Zielgruppe hin ausgerichtet in der Zwischenzeit getroffen: Einstiegsqualifizierungsmaßnahmen, ein Programm, das die Kammerorganisationen entwickelt haben, "zweite Chance", dann bestimmte Ausbildungsbausteine, die hier in Betracht kommen. Also will sagen: Es gibt eine Reihe von Programmen, die auf Altbewerber zielen. Was mir gewisse Probleme schafft bei dem Ausbildungsbonus-Programm von Herrn Scholz, das ist die Frage: Wird das nicht zu Mitnahmeeffekten führen? Wenn man überhaupt so etwas macht, muss man sehr zielgerichtet auf die Gruppe der Altbewerber das hin ausrichten. Und es kommt wie immer bei solchen Programmen hinzu, dass damit auch ein hoher bürokratischer und finanzieller Aufwand verbunden ist. Auch die Frage der Kriterien, wer soll eigentlich davon profitieren, spielt da eine Rolle. Denken Sie daran: das Handwerk bildet in aller Regel weit über dem Bedarf aus. Sollen diese Betriebe davon ausgeschlossen bleiben? Also eine Reihe von Fragen, die sicherlich geklärt werden müssen.

    Klein: Welche Art von Mitnahmeeffekten, die Sie jetzt dagegen ins Feld führen, befürchten Sie denn?

    Schleyer: Unternehmer sind sicherlich insoweit durchaus auch fantasievoll, um es einmal so zu formulieren, als wenn Programme aufgelegt werden, die wie etwa in diesem Fall die Hälfte der Ausbildungsvergütung finanzieren, kofinanzieren, dass der eine oder andere sich dann schon überlegt, ob er nicht jetzt seinen Ausbildungsplatz nicht mit einem der Neubewerber etwa besetzen soll, sondern mit einem Altbewerber. Das wäre sicherlich keine gute Entwicklung.

    Klein: Aber genau das ist ja offensichtlich das Ziel, dass man denjenigen Jugendlichen jetzt vorrangig eine Chance gibt, die schon seit einem, zwei oder mehr Jahren vergeblich sich um eine Lehrstelle bemühen, weil sie vielleicht auch keinen guten Schulabschluss haben. Damit wäre doch dann dem Ziel gedient?

    Schleyer: Ja, aber wir müssen zunächst einmal daran denken, dass nicht bloßer Mitnahmeeffekte wegen solche Ausbildungsplätze angeboten werden. Und noch einmal: Es gibt eine Reihe von Maßnahmen, die schon sehr zielgerichtet auf solche Altbewerber ausgerichtet sind, die nicht alle, aber doch in der Regel gewisse ich sage einmal Theorieschwächen etwa haben. Von daher sind solche Maßnahmen mehr auf die Altbewerber zuzuschneiden und mit einem reinen Ausbildungsbonus, der dann eben nicht entsprechend konkretisiert ist, wird man dieses Ziel möglicherweise nicht unterhalten. Also es wird sehr darauf ankommen, wie ein solcher Ausbildungsbonus von den Kriterien her geschnitten ist.

    Klein: Weshalb, Herr Schleyer, haben denn die bisherigen Maßnahmen nicht gewirkt?

    Schleyer: Ich glaube, dass mit all diesen Maßnahmen nur eine aktuelle Notsituation überwunden werden kann, denn es wird immer wieder deutlich, dass viele Jugendliche nicht die notwendige Ausbildungsfähigkeit haben. Das ist kein Schwarze-Peter-Spiel der Wirtschaft, sondern wir erleben seit vielen Jahren, dass die Zahl der Schulabbrecher, derjenigen, die ohne Abschluss die Schule verlassen, immer höher wird. Wir haben heute über zehn Prozent. In manchen Großstädten tendiert die Zahl Richtung 20 Prozent. Grundfähigkeiten wie Lesen, Rechnen und Schreiben werden nicht mehr richtig verstanden. Von daher meine ich, dass man eigentlich sehr viel früher ansetzen muss, um eben eine solche Situation gar nicht erst heraufkommen zu lassen. Wir müssen ansetzen im Grunde genommen mit einer nationalen Bildungsinitiative, einem stärker ganzheitlichen Ansatz, der in der Familie angeht und sich über die Schule bis zum lebenslangen Lernen erstreckt, denn nur dann werden wir es schaffen, gerade jungen Leuten in einer immer anspruchsvolleren, auch technisch anspruchsvolleren Welt die entsprechenden Perspektiven zu geben. Betriebe können nicht kompensieren, was in den Schulen nicht geleistet wird, und viele Schulen sind einfach überfordert, das auszugleichen was in vielen auch sozialschwächeren oder bildungsschwächeren Elternhäusern nicht angeboten wird.

    Klein: Nun haben wir aber, Herr Schleyer, die Situation: Tausende von Jugendlichen, die offensichtlich nicht die richtigen oder die notwendigen Kompetenzen mitbringen. Da fragt sich natürlich schon: Soll die Politik das einfach so lassen und sagen gut, ihr seid eben zu schlecht und wir geben euch keine Möglichkeiten und wir schaffen auch keine Anreize für die Betriebe, euch doch noch eine Lehrstelle zu geben.

    Schleyer: Nein! Beides muss geschehen. Wir müssen gerade als Standort Deutschland mehr Wert auf Bildung und damit auch auf die Innovationsfähigkeit dieses Landes legen und dazu gehört eben eine solche Initiative, viel umfassendere Anstrengungen im Bereich der Familien- und Bildungspolitik. Auf der anderen Seite ist das nur mittelfristig zu erreichen und von daher ist es sicherlich richtig, dass man jetzt alles tun muss, um Altbewerbern eine Chance zu vermitteln. Sie soll gegeben werden durch eine Reihe von existierenden Programmen - ich muss noch einmal darauf hinweisen - und ein Ausbildungsbonus muss sehr intensiv darüber überprüft werden, ob er tatsächlich mit den richtigen Kriterien arbeitet, um eben nicht nur Mitnahmeeffekte auszulösen.

    Klein: Schlagen Sie einige Kriterien vor, die in einem solchen Plan verankert werden müssten.

    Schleyer: Es muss ganz klar sein: Es müssen Altbewerber sein, die schon eine Reihe von Jahren oder zumindest über ein Jahr sich um eine Ausbildungsstelle bemühen. Es muss deutlich sein, wie die Abgrenzung ist. Es muss deutlich sein: Was sind eigentlich die Kriterien für zusätzliche Anstrengungen der Betriebe. Ich habe die Zahl genannt. Die meisten Handwerksbetriebe bilden überproportional aus. Also das sind eine Reihe von wichtigen Voraussetzungen in diesem Zusammenhang aus unserer Sicht.

    Klein: Gibt es denn Unterschiede in den verschiedenen Branchen innerhalb Ihres Verbandes, wo Sie mehr oder weniger große Probleme haben, Nachwuchs zu bekommen?

    Schleyer: Das kann man eigentlich so nicht sagen, denn wir erleben sowohl in den Lebensmittelhandwerken Probleme, Ausbildungsplätze zu besetzen. Wir erleben aber auch in den technisch-gewerblichen Ausbildungsbereichen immer wieder Probleme. Dort spielt vor allem auch eine Rolle, dass doch Bewerber oft nicht in der Lage sind, die immer komplexeren Ausbildungen dann auch mit erfolgreich zu bestehen. Von daher bleiben diese Plätze unbesetzt, weil die Ausbilder sagen, es hilft dem jungen Mann oder der jungen Frau und es hilft auch mir nicht, wenn ich sehe, dass bestimmte Voraussetzungen fehlen, einen solchen Ausbildungsvertrag abzuschließen.

    Klein: Was raten Sie denn Jugendlichen, die sagen wir mal einen Hauptschulabschluss haben, der nicht so gut aussieht, die sich seit zwei Jahren vergeblich bemühen und weiterhin keine Lehrstelle bekommen? Was sollen die tun?

    Schleyer: Sie sollen sich durchaus gerade auch an Handwerksbetriebe wenden. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass doch in einer ganzen Reihe von Fällen, wo die schulischen Noten nicht so gut waren, selbst auch in Fällen, wo ohne Abschluss die Schule verlassen worden ist, wenn der junge Mensch das Bild vermittelt, dass er interessiert ist, dass er sich - ich sage das einmal so - hineinknien will, dass er bereit ist, an einem Ausbildungsplatz mitzumachen und zu lernen, dass dann durchaus oft noch eine Chance gegeben worden ist. Es hat keinen Sinn, einfach zu resignieren, sondern wir haben die Erfahrung gemacht, der unmittelbare Kontakt mit dem Lehrherren, das Bild, das man dort zeigt, führt doch in einer ganzen Reihe von Fällen noch zu Ausbildungsverträgen.

    Klein: Und Sie appellieren durchaus auch an die Betriebe Ihres Verbandes, in dem einen oder anderen Fall etwas kompromissbereiter zu sein und einem jungen Menschen doch eine Chance zu geben?

    Schleyer: Ja. Das Handwerk hat das eigentlich immer gemacht, dass es vor allem auf den Menschen geschaut hat und dass es durchaus auch im Rahmen der Ausbildungsbemühungen manche Dinge nachgeholt hat, die in Schule und Elternhaus versäumt worden sind.

    Klein: Hans-Eberhard Schleyer, Generalsekretär vom Zentralverband des deutschen Handwerks. Danke Ihnen für das Gespräch, Herr Schleyer!