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Die moderne Medizin und der Tod: ein ewiges Dilemma?

Über das Ende des Lebens - und die Achtung vor dem Willen der Patienten - wird heute öffentlich diskutiert. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries hat vor einem Jahr einen weit gehenden Gesetzentwurf vorgestellt, der unter so massive Kritik geriet, dass die Ministerin ihn zurückzog. Nach der Sommerpause wollte das Parlament ursprünglich eine neue Fassung diskutieren, doch die Debatte wird nun vermutlich verschoben - wegen der vorgezogenen Neuwahlen.

Von Renate Faerber-Husemann | 04.07.2005
    " Der Patient hat das Recht zu sterben. Er hat aber nicht das Recht, getötet zu werden. "

    Sagt Ärztepräsident Jörg-Dietrich Hoppe.

    " Es ist ein Unterschied, ob ich mir selbst eine Kugel durch den Kopf schieße oder ob ich jemand anders die Pistole in die Hand drücke und sage, schieß mir mal eine Kugel durch den Kopf. "

    Sagt die Vorsitzende der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages "Recht und Ethik in der modernen Medizin", Margot von Renesse.

    " Ist der Patient irreversibel erkrankt und ist keine Heilung mehr möglich, dann kann im Patientengespräch darauf hingewiesen werden, dass diese Möglichkeit besteht, eine Behandlung, zum Beispiel eine Langzeitbeatmung oder eine intensivmedizinische Behandlung abzubrechen. "

    Sagt Professor Christian Grohe von den Bonner Universitätskliniken.

    " Natürlich habe ich Furcht, an einen Mediziner zu geraten, der mit Schmerzen nicht umgehen kann, das ist klar. Ich weiß inzwischen aber auch, habe mich da kundig gemacht, dass es tatsächlich Schmerzen gibt, vor allen Dingen in den letzten Zuständen einer Krebserkrankung, die einfach nicht beherrschbar sind. Wie ich jetzt damit umgehen soll, das weiß ich nicht. Ich kann nur hoffen, dass ich nicht in eine solche Situation gerate. Dass ich weder am Ende Schmerzen habe, die nicht mehr beherrschbar sind, noch an einen Arzt gerate, der mit Schmerzen nicht umgehen kann. "

    So Ute Naumann, die gerade dabei ist, eine Patientenverfügung zu formulieren und sich deshalb intensiv mit dem Thema Sterben und Tod beschäftigt.

    " Es ist mir ziemlich lange schwer gefallen, mich damit zu beschäftigen, aber in der letzten Zeit passiert es eigentlich immer häufiger, dass ich auf das Thema gestoßen werde. Jetzt gerade bereitet sich eine Bekannte auf das Sterben vor. Sie lebt in Holland, ich kenne sie schon sehr lange und sie ist sehr, sehr krank. Sie hat keine Chancen mehr, sie weiß, dass sie sterben muss, und das letzte Stück Sterben würde für sie sehr schwer werden. Sie hat sich jetzt entschieden, sich helfen zu lassen, sie hat, wie sie sagt, die Sterbehilfe bestellt. Das beschäftigt mich sehr, das erschreckt mich auch etwas, weil ich denke, hier lässt sich auch jemand töten. Das ist so, aber ich habe auch große Achtung vor diesem Entschluss und ich weiß nicht, wie ich mich verhalten würde, wenn ich in dieser Situation wäre, in der sie sich befindet. "

    Über das Ende des Lebens - und die Achtung vor dem Willen der Patienten - wird heute öffentlich diskutiert. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries hat vor einem Jahr einen weit gehenden Gesetzentwurf vorgestellt, der unter so massive Kritik geriet, dass die Ministerin ihn zurückzog. Nach der Sommerpause wollte das Parlament ursprünglich eine neue Fassung diskutieren, doch die Debatte wird nun vermutlich verschoben - wegen der vorgezogenen Neuwahlen. Es bleibt aber dabei: Jede Behandlung gegen den erklärten Willen des Patienten gilt als Körperverletzung. Ein entsprechendes Urteil hat der Bundesgerichtshof schon im Jahre 2003 gefällt. Nicht nur in der Endphase einer tödlichen Erkrankung, sondern grundsätzlich ist der schriftlich festgelegte Wille eines Patienten zu respektieren, betont die Ministerin. Eine Patientenverfügung ist damit für die behandelnden Ärzte bindend, mit einer Ausnahme: Aktive Sterbehilfe, also die Todesspritze, bleibt verboten. Die Justizministerin erhoffte sich von einer solchen Regelung,

    "....dass wir mit der Stärkung von Patientenautonomie durch die Verbesserung der Annahme von Patientenverfügungen, mit der Weiterentwicklung der Palliativmedizin und mit der Weiterentwicklung des Hospizwesens dazu beitragen können, dass Forderungen nach einer Legalisierung der aktiven Sterbehilfe, wie sie in Deutschland auch immer wiederholt werden nach dem Beispiel der Niederlande oder Belgiens, weiter zurückgedrängt werden können, und dass es für so etwas keinen Bedarf mehr gibt. "

    Jahrzehnte lang wurde fast heimlich und verschämt in Krankenhäusern und auf Pflegestationen gestorben. Aber es war an der Zeit das Tabu zu brechen: Gerade weil die moderne Medizin Menschen selbst in der Sterbephase am Leben halten kann und weil andererseits Patienten auch heute noch unter großen Qualen und ohne vernünftige Schmerztherapie ihr Leben beenden.

    Leidenschaftlich diskutierten auch die Deutschen den bitteren Kampf der amerikanischen Wachkomapatientin Terri Schiavo um Leben und Tod. Unbehagen bereitete vielen auf der anderen Seite - fast zeitgleich - das lange und öffentliche Sterben von Papst Johannes Paul II.

    Doch auch das niederländische und das belgische Sterbehilfegesetz und der so genannte Selbstmordtourismus in die Schweiz, wo Beihilfe zum Suizid straffrei ist, beunruhigt viele Menschen. Nach einer Studie der niederländsichen Regierung töten Ärzte in etwa 30 Prozent der Fälle, "weil die Nächsten es nicht mehr ertragen können." Es werden also Menschen "erlöst", die vielleicht gar nicht erlöst werden wollen. Besonders die Deutschen können über Euthanasie nicht unbefangen diskutieren, denn die eigene Geschichte hat uns gelehrt, misstrauisch zu sein gegenüber den Verführungen vom sanften Tod mit ärztlicher Hilfe.

    "Sterben zulassen aber nicht zuteilen," ist für Ärztepräsident Jörg-Dietrich Hoppe deshalb die Richtschnur. Für erfahrene Praktiker wie Professor Udo Bode, Chef der Kinderkrebsstation der Bonner Universitätskliniken, ist die Trennung in passive Sterbehilfe - erlaubt - und aktive Sterbehilfe - verboten - nicht praxistauglich. Er erlebt den Tod dort, wo er besonders bitter ist, nämlich wenn Kinder sterben, wenn er Eltern sagen muss, dass das Ende der therapeutischen Möglichkeiten erreicht ist.

    " Ich glaube, kein Mensch hat das Recht, einen anderen Menschen umzubringen, selbst wenn er sterbenskrank ist. Trotzdem kann man gewisse Maßnahmen unterlassen und macht dadurch etwas Aktives. Und ich denke, das ist von Einzelfall zu Einzelfall so schwer zu unterscheiden, dass das nie von einem Gesetzgeber oder theoretisch oder in Büchern beschrieben werden kann. Ich glaube, das können nur die Angehörigen, der Patient selber natürlich und vielleicht der behandelnde Arzt beurteilen ..... Es gibt sicherlich medizinische Wege, wie ein Leben zumindest in der Dauer nicht verlängert werden kann. Das heißt nicht, dass der Patient aktiv umgebracht wird, sondern dass man dafür sorgt, dass er symptomfrei ist und damit in Würde sterben kann, und da ist schon die Möglichkeit gegeben, dass ein Leben verkürzt wird. "

    Loslassen zu können, das Sterben zuzulassen - das kommt in der ärztlichen Ausbildung kaum vor. Mediziner lernen, zu heilen, um jedes Leben zu kämpfen. Der Tod eines Patienten wird als Niederlage empfunden. Professor Bode:

    " Ich hätte mehr Angst davor, dass Patienten in einem Alter oder in einem Gesundheitszustand, wo durchaus mit dem Tod gerechnet werden könnte, das Schicksal erleiden, dass ehrgeizige Ärzte, davon gibt es einige, nicht die Mehrheit, aber dass ehrgeizige Ärzte versuchen, dort noch das Leben um einen oder zwei Monate zu verlängern, obwohl dieses Leben nicht lebenswert ist, denn Leben ist nicht Herzschlag und Atmung, Leben ist das, was den Alltag ausmacht und was wir wochentags oder sonntags uns als unser Leben vorstellen .... Der Ehrgeiz, besondere medizinische Leistungen zu erringen, ist vielleicht gar nicht die erste Motivation. Sondern die erste Motivation ist die defensive Haltung von Ärzten heute, das heißt, wir dürfen nicht angreifbar sein. "

    Nicht die Angst vor dem Tod, sondern die Angst vor einem Sterben unter großen Schmerzen lässt Menschen in gesunden Tagen nach Möglichkeiten suchen, die Selbstbestimmung auch am Lebensende zu bewahren. Auch in der Medizin hat inzwischen ein Umdenken begonnen, meint der Bonner Medizin-Professor Christian Grohe:

    " Hier hat es in den letzten Jahren eine wirklich dramatische Entwicklung gegeben, dass der Patient heutzutage keine Schmerzen haben muss und wir mit Hilfe der entsprechenden Medikamente das auch leisten können. Das bedarf natürlich einer intensiven Auseinandersetzung zwischen Arzt und Patient und auch der Zeit, die man sich nimmt im Patientengespräch, den Patienten darauf hinzuweisen, dass diese Möglichkeit besteht, dass heutzutage keiner mehr an einem schweren Krankheitsbild mit Schmerzen leiden muss. "

    Und doch werden auch in Deutschland die Forderungen nach Sterbehilfe lauter, denn immer noch bestimmt der Zufall, ob ein Leben in Würde zu Ende geht oder qualvoll. Palliativmediziner schätzen, dass nur jeder zehnte Tumorpatient die Schmerzmittel-Dosis bekommt, die er braucht. Die Fragen, die sich chronisch Kranke und ihre Angehörigen stellen, lauten deshalb: Wird Palliativmedizin angewendet, die das Ziel hat, unerträgliche Symptome zu lindern, Schmerzen zu nehmen, Trost zu spenden im Sterbeprozess, wenn die therapeutischen Möglichkeiten erschöpft sind? Ermöglichen ambulante Dienste oder ein kompetenter Hausarzt vielleicht sogar ein Sterben zu Hause bei der Familie? Ist ein Bett in einem Sterbehospiz zu haben oder nicht? Gibt es im Krankenhaus Mediziner, die die Schmerzherapie beherrschen? Akzeptieren die Ärzte den Willen der Patienten, auf lebensverlängernde Maßnahmen zu verzichten? Zu oft lautet die Antwort auf alle diese Fragen immer noch: Nein.
    Und deshalb haben Bundesgerichtshof, Nationaler Ethikrat und jüngst die Bundesjustizministerin versucht, die Patientenrechte zu stärken, etwa dadurch

    "....dass die Festlegungen in der Patientenverfügung sowohl die behandelnden Ärzte als auch den Vertreter des inzwischen einwilligungsunfähigen Patienten binden. Tritt eine in der Patientenverfügung beschriebene Situation ein, dann muss nicht der Vertreter entscheiden, sondern es gilt das, was in der Patientenverfügung niedergelegt ist, denn derjenige, um den es geht, hat ja bereits entschieden und hat seinen Willen schriftlich zum Ausdruck gebracht. Und die Aufgabe des Vertreters ist es dann, den Patientenwillen durchzusetzen. "

    Widerstand gegen die Pläne der Justizministerin gab es vor allem deshalb, weil Brigitte Zypries diese weitgehende Autonomie nicht nur auf die letzte Lebensphase beschränkt sehen will:

    " Es kann nicht darauf abgestellt werden, dass es sich nur um einen bestimmten Zeitpunkt des Lebens bezieht. Sondern es muss eben darauf abgestellt werden, dass in jeder Situation des Lebens Behandlungen bejaht oder eben verneint werden können. Diese Klarstellung halte ich für wichtig, damit man sowohl bei den Patienten als auch bei den Ärzten bestimmte Verunsicherungen ausräumen kann. "

    So weit aber wollten die Parlamentarier ihr nicht folgen. Auch nicht die Vorsitzende der Enquete-Kommission "Recht und Ethik in der modernen Medizin", Margot von Renesse, die in ihrer eigenen Familie folgendes erlebt hat:

    " Mein sehr lieber Schwager hat vor einem Jahr eine sehr harte Operation hinter sich bringen müssen, bei der er nicht wieder aufwachte aus der Narkose, und er hatte eine Patientenverfügung, dass er nach sechs Wochen im Koma keine lebenserhaltenden Maßnahmen mehr wünschte. Es war aber bei ihm so, und das zeigt eben auch das Problem der Patientenverfügungen, weil man eben nicht voraussagen kann, in welchem Zustand man sich befindet, dass bei ihm keinerlei Zerstörungen von Gehirnsubstanz erkennbar waren, so dass meine Schwester als seine Vertreterin weiterhin ihn am Leben erhalten ließ und drei Wochen später wachte er auf. Er kann inzwischen wieder Auto fahren, Zeitung lesen, ist fast wieder der Alte. "

    Die Juristin und frühere Familienrichterin, selbst schwer krank, möchte Verhältnisse wie in den Niederlanden verhindern. Dort werden jedes Jahr schätzungsweise tausend nicht einwilligungsfähige Patienten getötet. Dort wurden Todesspritze oder Gifttrank schon bei - behandelbaren - psychischen Leiden verabreicht. Und obwohl es inzwischen eine intensive Gegenbewegung gegen den laxen Umgang mit dem Tod gibt, wird zur Zeit diskutiert, ob das Recht auf Tötung nicht auch bei "sozialem Leiden", also Einsamkeit, Isolation und daraus folgendem Lebensüberdruss gelten soll. Besorgt sieht Margot von Renesse auch in Deutschland einen neuen Trend:

    " Wir haben eine Tendenz in der Rechtsprechung wie in der juristischen Lehre, dass wir sozusagen immer liberaler werden. Nach dem Motto, wenn er doch sterben will, dann soll er. Und das ist gefährlich, weil das Tötungsverbot ins Wackeln gerät."

    Das ist besonders gefährlich in einer Zeit, in der Kosten-Nutzen-Denken das Gesundheitssystem immer stärker beherrscht. "Löffel abgeben" forderte ein junger Liberaler jüngst die Alten auf und ein junger Unionschrist stellte teure "Hüftgelenke für Greise" in Frage. Noch ist die Empörung über solche Sätze groß, doch wie lange noch? Wird die "Pflicht zu leben um jeden Preis" von eine Pflicht zu sterben abgelöst, bevor die Behandlung allzu teuer wird? Könnte die Humanität angesichts wachsender Pflegekosten auf der Strecke bleiben? Werden irgendwann Angehörige und Ärzte entscheiden, welches Leben noch lebenswert ist und welches nicht? Wäre eine moralische "Verpflichtung zum kassenverträglichen Frühableben" denkbar, wie die Grüne Christa Nickels kürzlich drastisch formulierte? So ganz von der Hand zu weisen ist das nicht, fürchtet die langjährige SPD-Bundestagsabgeordnete Margot von Renesse:

    " Das ist der Angst machende gesellschaftliche Hintergrund, dass Menschen mit eingeschränkter Lebensfunktion - das betrifft ältere Menschen, demente Menschen, das betrifft aber auch viele Behinderte -, dass ihnen von außen sozusagen nahegelegt wird oder vielleicht sogar über sie, mit einer Inanspruchnahme von mutmaßlichem Willen - nach dem Motto, an seiner Stelle würde ich nicht mehr leben wollen - im Grunde nicht Erbarmen mit dem Betreffenden eine Rolle spielt, sondern dass man sich vor eigenen Problemen schützen will. Wenn gestorben wird in unserer Gesellschaft, dann muss es ein Tod sein, der das eigene Schicksal des Betreffenden ist und nicht die Entscheidung eines anderen, denn das würde der grundsätzlichen und bei uns verfassungsrechtlich abgesicherten Vorstellung widersprechen, dass wir zwar nie selber leben oder unsere Gesundheit erhalten müssen, das ist keine Verpflichtung, aber dass es ein Unterschied ist, ob ich selber mein Leben beenden möchte oder nicht mehr ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen will, da kann jeder so entscheiden, dass der Unterschied aber riesengroß bleibt, dass es ein anderer für einen entscheidet. "

    Am sichersten ist eine möglichst durchdachte ausführliche Patientenverfügung. Es gibt inzwischen rund 200 verschiedene Muster, doch Rechtsanwältin Karin Herbert, die in ihrer Kanzlei häufig mit dem Thema konfrontiert ist, warnt davor, einfach ein aus dem Internet heruntergeladenes Formular anzukreuzen und zu unterschreiben:

    " Je ausführlicher die Patientenverfügung ist, je aktueller sie ist, je mehr Wünsche sie enthält, desto bindender ist sie natürlich. Also, man sollte sicherlich anfangen mit den persönlichen Wünschen und vielleicht auch der Weltanschauung, der religiösen Intention .... Wenn man das erst mal so als Präambel gesetzt hat, kann man hingehen und sagen, wie gehe ich mit der Apparatemedizin um, wie gehe ich mit der Schmerztherapie um, und wie möchte ich vielleicht mit meinem bevorstehenden Tod umgehen, Thema Sterbehilfe, und ich denke, wenn man das alles mal ausführlich für sich vor Augen hat, dann kann man das auch formulieren. "

    Genauso wichtig wie die Patientenverfügung selbst sind Bevollmächtigte, die darüber wachen, dass der schriftlich formulierte Wille auch respektiert wird:

    " Das ist insbesondere deshalb wichtig, weil die meisten Menschen davon ausgehen, dass ihre nahen Angehörigen entscheiden können in dem Falle. Das geht aber nach dem Betreuungsgesetz nicht. Das heißt, für den Fall, dass man keine Vorsorge getroffen hat, kann unter Umständen das Vormundschaftsgericht einen Betreuer einsetzen. Also, es ist deshalb ganz wichtig, dass man Vollmachten aufsetzt, eine nahestehende Person, dass die benannt wird und dass die vor allem auch bevollmächtigt wird, Bankgeschäfte zu tätigen und wesentliche Willenserklärungen abzugeben. "

    Sieben Millionen Menschen schätzungsweise haben eine Patientenverfügung in der Schublade, das heißt aber auch, die Mehrheit hat ihren Willen, was bei schwerster Krankheit mit ihnen geschehen soll, nicht schriftlich niedergelegt. Da mag Unsicherheit eine Rolle spielen, weil es in gesunden Tagen schwierig ist, zu entscheiden, welche Wünsche man haben wird, wenn das Leben sich dem Ende zuneigt. Da mag Verdrängung eine Rolle spielen. Manchmal aber ist es auch nur Nachlässigkeit. Wolfgang Hoffmann zum Beispiel räumt ein:

    " Ich habe das eigentlich gar nicht so genau überlegt. Auf der anderen Seite: immer wieder mal, wenn das Thema zur Debatte steht, gesagt, ja, ja, das müsste man machen. Aber dann habe ich es wieder verdrängt. Warum? Ich glaube, dass es eher eine Nachlässigkeit ist. Wahrscheinlich muss man sich ein Formular besorgen, ein vorgedrucktes und das einfach ausfüllen und damit hat es sich. "

    Wovor er sich schützen möchte, weiß er aber präzise:

    " Ja, davor, dass man da also zum Beispiel im Koma liegt und dann wird das Leben aufrecht erhalten, was ich ziemlich sinnlos finde. Sicherlich problematisch ist es auch, wenn man jetzt, sagen wir mal, sehr schwer krank ist und große Schmerzen hat, dann, meine ich, wäre das wohl auch ein Grund für mich jedenfalls, rechtzeitig zu verfügen, dass man dann doch rechtzeitig abschalten sollte, als einem weiter diese Schmerzen zuzumuten. Immer natürlich unter der Voraussetzung, dass das also tatsächlich mit ziemlicher Sicherheit zu Ende geht. "
    Margot von Renesse hat eine Patientenverfügung und darüber hinaus ihre Kinder als Bevollmächtigte eingesetzt.

    " Es gibt ein wunderbares Wort in einem Psalm, das ich finde, dass es das weiseste ist, was auf dem Gebiet überhaupt gesagt werden kann: Herr, lehre uns zu bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden. Klug werden bedeutet nicht, in der Sterbephase klug zu sein, sondern dass wir unser Leben so einrichten, dass wir Menschen haben, die unsere Lebensentscheidungen kennen und denen wir vertrauen können, die uns lieben und nüchtern genug sind, mit uns liebevoll auch so umzugehen, wie wir es selber haben wollen. "

    Einen Königsweg gibt es nicht, weder für die Politiker, die bei allem Respekt vor dem Willen des Einzelnen Grenzen ziehen müssen, noch für Ärzte, noch für Schwerstkranke und ihre Angehörigen, noch für den gesunden Menschen, der sich hinsetzt und in einer Patientenverfügung seinen letzten Willen formuliert. Angesichts der modernen Medizin wird es immer schwieriger zu definieren, was ein natürlicher Tod ist. Heute fürchten die Menschen eher "zu viel" Medizin am Ende des Lebens. Angesichts des kollabierenden Gesundheits- und Pflegesystems könnte bald die Furcht einziehen vor "zu wenig" Medizin.