"Wir sind Kurrendaner" heißt es schlicht, oder: "Der Direktor ist für mich der Inbegriff der Macht". Da zeigt sich, daß in der unbedingten Authentizität dieser Erzählung auch ihre Schwäche liegt. Durch die unmittelbare Wiedergabe der Realität wirkt sie an vielen Stellen plakativ. Der Text ist in sich geschlossen wie ein Manifest, durchsetzt von den Stichworten "Angst" und "Widerstand". Schlüsselmomente der DDR-Ideologie werden referiert: der paramilitärische Unterricht mit seiner verblendeten Friedensmetaphorik, der 1. Mai, der Internationale Frauentag am 8. März als Gegensatz zum Muttertag, der als faschistisches Relikt galt. Für die Verfasserin sind diese Festtage einer feindlichen Ideologie zugleich die Punkte, die ihr am deutlichsten in Erinnerung geblieben sind: "Ja, das waren immer genau diese Reibungsflächen, wo auch zutage kam, wo man stand, an welcher Stelle. Und wo man auch ständig immer wieder herausgefordert war, irgendwelche Entscheidungen zu treffen, Bekenntnisse auszusprechen oder zu leben. Das sind in meiner Kindheit wirklich markante Punkte gewesen, um die man auch irgendwie nicht drumherum kam."
Die sich immer stärker zuspitzende Auseinandersetzung zwischen der einzelnen und der Gemeinschaft führt bis zum Abriß einer propagandistischen Wandzeitung, auf der die angebliche Gewissensfreiheit proklamiert wird. Nathalie, die Täterin, erkennt, daß sie allein durch ihr Christsein als Staatsfeindin gilt. Was die Autorin hier schildert und was so direkt aus ihrem Leben gegriffen ist, daß sie über die Hintergründe ungern spricht, macht in seiner Eindringlichkeit ratlos. Das liegt auch an Caritas Führers intensiver Bildersprache, ein Zeugnis ihrer musischen Doppelbegabung. "Ich empfinde meine Schulzeit als traumatisch, als freudlos und angstbesetzt", so Caritas Führer. "Es heißt ja immer, daß Negativerlebnisse mit den Jahren verblassen, daß die positiven Erlebnisse in der Erinnerung haften bleiben. In meiner Erinnerung verläuft dieser Prozeß anders. Ich erinnere mich nur an wenige schöne Episoden: ein Wandertag, Spiele mit anderen Kindern, ein Ausflug ins Hallenbad, so etwas. Aber die Summe der bedruckenden Erfahrungen überzieht meine Schulzeit in der Erinnerung wie ein dichtes dunkles Netz."
Gegen dieses "dunkle Netz" oder auch das "dunkle Mosaik" werden als einzige Lichtmomente die Zeichenstunden gesetzt. Hier ist das begabte Mädchen ganz bei sich. Wo es in Uwe Johnsons postum veröffentlichtem Erstlingsroman "Ingrid Babendererde. Reifeprüfung 1953" im Kontlikt zwischen der FDJ und der evangelischen Jungen Gemeinde für das Schülerpaar Ingrid und Klaus noch einen verheißungsvollen Fluchtpunkt gab, der Westen hieß, bleibt in der "Montagsangst" die freie Außenwelt unerreichbar. Das wird um so deutlicher, als ein Brief aus Indien eintrifft, der Nathalie vom Sieg bei einem internationalen Zeichenwettbewerb benachrichtigt - eine märchenhafte Wendung.
Caritas Führer, die wie erwähnt nicht zum Abitur zulassen wurde, arbeitete in der Meißener Manufaktur als Porzellangestalterin. Nach der Heirat mit einem Theologen lebte sie in Leipzig und nahm dort 1981 ein Fernstudium am Johannes-R.-Becher-Institut für Literatur auf. Damals hatte sie sich schon fast mit dem Gedanken abgefunden, nicht studieren zu dürfen. Sie veröffentlichte Lyrik und Prosa in Anthologien meist christlicher Verlage. Zwei Hörspiele, eines davon zum Thema Ausländerfeindlichkeit, wurden noch zu DDR-Zeiten ausgestrahlt. Die Aufnahme am Literaturinstitut empfand sie als innere Befreiung und endlich gewährte Möglichkeit, sich weiterzubilden: "Die drei Jahre am Literaturinstitut gehören wirklich rückblickend zu den glücklichsten Jahren meines Lebens. Ich erinnere mich noch an die Arbeitszeiten in der Deutschen Bücherei, an dieses Gefühl, dort zu sitzen und einfach Zeit zu haben für diese Aufgaben und zu lesen. An den Austausch mit anderen Studenten, an die Möglichkeit, auch Kritik von anderen zu hören. Das ist eine ganz schöne und wichtige Zeit gewesen. Das war noch nicht dieser Konkurrenzkampf, der heute besteht zwischen jungen Autoren. Damals hat man sich auch wirklich gegenseitig geholfen. Auch wenn der Lehrstoff natürlich vom Marxismus-Leninismus her gefärbt war, ganz gleich ob es sich zum Beispiel um Weltliteratur oder um Stilistik handelte oder Literaturkritik oder so etwas, ich erlebte im Haus große Offenheit und Toleranz. Und ich bin dort immer mit Achtung behandelt worden, auch wenn meine christliche Lebenshaltung von den Dozenten bewußt registriert wurde. Man wußte einfach, daß ich Christ bin, ich konnte aber trotzdem meine Meinung äußern und hatte nie das Gefühl, daß es mir dort Nachteile bringt. Das war wirklich eine sehr angenehme und offene Arbeitsatmosphäre am Institut."
Dreißig Jahre liegen die Bedrückungen nun zurück, von denen "Die Montagsangst" handelt. Die Reaktionen auf das Buch dürften in Ost und West unterschiedlich ausfallen: vom schlichten Leugnen der geschilderten Zustände bis zur oft bemühten Betroffenheit. Es bleibt abzuwarten, ob sich Caritas Führer vom eigenen Schicksal freischwimmt und allein um der Literatur willen zu schreiben beginnt.