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Die Morgensonne geht nicht auf

Astronomie. - Die längste Sonnenfinsternis des Jahrhunderts hat in Asien Millionen Menschen in ihren Bann gezogen. Die Sonne verdunkelte sich ab halb drei unserer Zeit allmählich über Indien. Das Himmelsschauspiel zog dann auch nach China weiter. Der Wissenschaftsjournalist Dirk Lorenzen berichtet im Gespräch mit Gerd Pasch.

22.07.2009
    Pasch: Vielerorts wurde das Erlebnis durch eine dichte Wolkendecke getrübt. In China, rund 150 Kilometer westlich von Schanghai, beobachtet Dirk Lorenzen das Naturschauspiel. Wie war es denn?

    Lorenzen: Herr Pasch, es war ein Wechselbad der Gefühle, durch das die Astronomen und die anderen Schaulustigen in China hier gehen mussten. Es war mal bewölkt, mal regnete es, dann aber in den entscheidenden Minuten war dann doch in der Nähe von Hangzhou der Himmel klar. Dann konnte man wirklich diese dramatischen Momente, wie der Mond sich langsam vor die Sonne geschoben hat. Anfangs ist die Sonne dann noch so als angebissener Keks zu sehen, wie man das auch aus partiellen Finsternissen in Deutschland kennt, und dann kommen diese dramatischen Minuten, kurz bevor der Mond sich völlig vor die Sonne geschoben hat. Dann ist es, als drehe jemand am Dimmer das Sonnenlicht herunter, dann gibt es so ein Kribbeln im Bauch wie bei einer Achterbahnfahrt, und dann ist eben da, wo eben noch die strahlend helle Sonne war, guckt man dann auch die pechschwarze Scheibe des Neumonds, umgeben von dieser wunderbar strukturierten Sonnenkorona. Das ist die Atmosphäre der Sonne, die eigentlich immer zu sehen ist, oder immer am Himmel steht, aber normalerweise eben von der hellen Sonnenscheibe überstrahlt wird. Aber während dieser Finsternis, während dieser totalen Phase ist diese Sonnenkorona dann eben zu sehen.

    Gerd Pasch: Sechs Minuten hat sie gedauert. Wie kommt es denn zu so einer langen Dunkelphase?

    Dirk Lorenzen: Dieses Mal ist das Besondere, dass die Sonne vergleichsweise klein am Himmel nur steht und der Mond vergleichsweise groß am Himmel erscheint. Das liegt daran, dass die Erde Anfang Juli durch den sonnenfernsten Punkt ihrer Bahn gezogen ist. Das heißt, die Sonne ist gerade relativ klein am Himmel. Zugleich stand der Mond gestern Abend aber im erdnächsten Punkt seiner elliptischen Bahn, das heißt, der Mond ist im Moment sehr groß am Himmel, und dadurch hat der sehr große Mond die vergleichsweise kleine Sonne bedeckt. Und damit kam es eben zu dieser Rekordfinsternis von sechs Minuten und 39 Sekunden Dauer. Der Kernschattenkegel hatte eine Breite von bis zu 260 Kilometern. Wenn man dann mitten drin stand, dann ist wirklich der Tag zur Nacht geworden, weil es dann ja 130 Kilometer sind, bis man am Rand irgendwo wieder Sonnenlicht hat. Dann wird wirklich der Tag zur Nacht, man sieht die Sterne und die hellsten Planeten am Himmel.

    Gerd Pasch: Ein Naturschauspiel, das Millionen Menschen bewegt. Wird bei einer Sonnenfinsternis heute auch noch wissenschaftlich gearbeitet?

    Dirk Lorenzen: Es wird noch wissenschaftlich gearbeitet, aber nur noch sehr begrenzt. Man interessiert sich vor allem für diese Sonnenkorona, diese Sonnenatmosphäre, die dann eben genau um den Mond herum zu sehen ist. Bei der Sonnenatmosphäre gibt es nach wie vor dieses Paradoxon, dass sie bis zu zwei Millionen Grad heiß ist. Die normale Sonnenoberfläche aber "nur" 6000 Grad heiß ist. Das heißt, das ist ein bisschen so: Das brodelnde Wasser steht auf einer kalten Herdplatte. Man weiß nicht genau, wie diese Heizung funktioniert. Es muss irgendwie mit Magnetfeldern zu tun haben. Aber genau den Übergang von Oberfläche in diese Sonnenkorona, diese Sonnenatmosphäre, genau den kann man besonders gut während einer Finsternis. Denn in Teleskopen oder Satellitenteleskopen geht das nicht so gut. Da kann man zwar künstliche Sonnenfinsternisse herstellen, aber da ist dann der Mond praktisch immer zu groß, dass man nicht wirklich genau diesen Übergangsbereich sich angucken kann. Die Astronomen haben nur das Problem: Mit wirklich gutem Gerät kommt man ganz schlecht in diese Finsterniszone hinein. Die ist ja immer sehr schmal, dieses Mal nur diese 260 Kilometer. Und es war jetzt kein wirklich gutes Sonnenobservatorium in diesem Kernschattenstreifen. Das heißt, die Astronomen haben da immer ein bisschen Pech und müssen dann hoffen, dass mobile Einheiten mit kleineren Teleskopen dann wichtige Informationen liefern.

    Ansonsten ist natürlich die Sonnenforschung heute längst in der Hand von Satelliten, im Ultraviolettbereich, man guckt aus dem Weltraum oder eben sonst von großen Teleskopen auch vom Erdboden aus. Aber für diesen speziellen Übergang Sonnenoberfläche-Sonnenkorona, da sind Finsternisse immer noch sehr wichtig. Früher waren sie für die Forschung noch viel wichtiger, heute sind sie es nur noch in diesem einen, kleinen sehr eng begrenzten Bereich.

    Gerd Pasch: Blicken wir noch kurz in die Zukunft: Wann gibt es die nächste Sonnenfinsternis, in welchem Rahmen?

    Dirk Lorenzen: Die nächste, wirklich totale Sonnenfinsternis ist schon am 11. Juli des kommenden Jahres zu sehen. Dann ist es allerdings nur ein Streifen, der wirklich nur über den Südpazifik geht und praktisch kaum jemals irgendwo bewohntes Land erreicht, unter anderem allerdings interessanterweise die Osterinsel. Wer in Deutschland jetzt auf den Geschmack gekommen ist und gucken will, der muss sich noch sehr lange gedulden: bis zum 3. September 2081.

    Gerd Pasch: Das ist ja noch ein bisschen hin.