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"Die Musik hat mich übrigens nie interessiert"

Martha Cooper gilt als die Chronistin der Hip-Hop-Kultur. Die inzwischen 70-Jährige fotografiert seit den Anfängen die Graffiti-Szene auf der ganzen Welt. Dabei kann sie mit Hip-Hop wenig anfangen und sagt: "Ich finde es gut, wenn die Sprayer Eigentum nicht einfach zerstören."

Mit Heike Schwarzer | 25.07.2013
    Heike Schwarzer: Bis heute beschäftigen Sie sich mit der Hip-Hop-Kultur, treffen junge Leute überall in der Welt, vor allem Graffiti-Künstler. Wie kamen Sie damals in den 70er-Jahren dazu?

    Martha Cooper: Ich bin ja damals nicht losgezogen und habe gesagt, oh, heute fotografiere ich mal Hip-Hop. Als ich damals zu fotografieren begann in den frühen 70ern, da gab es noch nicht mal den Begriff der Hip-Hop-Kultur. Ich beobachtete damals in New York einfach, dass eine bestimmte Szene junger Menschen auf dem Weg ins Erwachsenenleben eine neue Ausdrucksform von Kunst und Tanz erfand. Rap, Breakdance, Graffiti. Es waren Jugendliche, die keinen Zugang zu Oper und Ballett hatten, oder das, was wir so Hochkultur nennen. Dass gerade das "Writing", also das Sprayen, illegal war, machte es natürlich noch spannender. Und damals haben die Eltern auch nicht viel davon verstanden, es war eine Art geheimer Untergrundkultur. Heute ist es eher eine "Oberflächen"-Kultur, würde ich sagen.

    Nein, mir ging es um etwas anderes: Um diese Form der Kreativität, die aus dem Nichts entsteht. Die Musik hat mich übrigens nie interessiert, sondern dieser Gedanke des Selbstmachens. Ich glaube, das ist der essenzielle Kern von Hip-Hop, aus Nichts etwas zu schaffen. Und das treibt mich an. Immer wieder zu sehen, wie Menschen unter schwierigen Umständen überleben.

    Schwarzer: Ihre Fotobände erzählen auch davon. "Subway Art", ihr erstes Buch, erschien 1984 und gilt bis heute als eine Art Bibel unter Graffitikünstlern. Verstehen sie sich heute als eine Art Botschafterin?

    Cooper: Ich hätte nie gedacht, dass das auch so viele Jahre später noch ein Thema ist. Ich hatte das Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Aber ich würde niemals sagen, dass ich eine Botschafterin bin. Im Prinzip weiß ich auch gar nicht so viel über die Hip-Hop-Kultur, ich verfolge das nicht, ich will gar keine Expertin sein.
    Schwarzer: Aber Sie sind viel unterwegs, in Galerien und Museen überall in der Welt begleiten Sie immer wieder große Ausstellungen über Hip-Hop und Graffiti.

    Cooper: Sie machen mich wieder zu dieser Expertin, ganz ehrlich, das will ich nicht. Ich will über Fotografie sprechen. Ich bin Fotografin. Ich mache nichts von dem. Ich bin kein B-Girl, ich tanze nicht, ich rappe nicht, mache keine Graffiti, ich dokumentiere das nur.

    Schwarzer: Gut, also die Art, wie sie Graffiti fotografieren, das hat ja auch immer einen ganz speziellen dokumentarischen Stil. Es sind nicht die Graffiti allein, die Architektur, das Stadtbild, der Kontext, sind immer ein wichtiger Teil ihrer Bilder.

    Cooper: Mich interessiert aber auch der Prozess ebenso wie kleine Details. Ich gehe nicht los, um fertige Wände zu fotografieren. Ich will sehen, wie es wirklich gemacht wird. Wie sie auf das Dach steigen und so. Gestern in Dresden habe ich eine Arbeit von jemandem entdeckt, der "No Fame No Name" mit einer Farbrolle auf die Wände schreibt. Mich würde interessieren, ob der das vom Dach aus macht oder von unten, die Stange muss in jedem Fall sehr lang sein. Da würde ich gerne mal zusehen. Bei jeder fertigen Wand frage ich mich, wie haben die das gemacht? Oder in Argentinien gibt es einen Künstler, der malt mit einem selbst gebauten Doppelpinsel, der gedreht werden kann und mit einer Mischung aus Straßenteer und Terpentin. Das ist so üblich in Argentinien, weil die Leute nicht an Sprühdosen rankommen. Sie nehmen das, was sie haben. Das ist es, was mich bis heute fasziniert am Graffiti.
    Schwarzer: Wenn man sich Ihre Fotobücher von den Anfängen des Hip-Hop ansieht, New York in den 70er, 80er-Jahren, dann sieht heute die Stadt schon ganz anders aus. Und jetzt Dresden, Graffiti mitten in der Altstadt, ich vermute, in Manhattan gibt es schon keine Graffiti mehr? Könnte man sagen, Ihre Art zu fotografieren ist der Versuch einer anthropologisch-historische Annäherung?

    Cooper: Ja, auf jeden Fall. Das ist es, denn ich habe immer noch das Gefühl, Graffiti könnte wirklich für immer verschwinden, sicher nicht zu meinen Lebzeiten, aber wenn, dann werden meine Fotos zu einem historischen Dokument. New York hat schon heute viel weniger Graffiti im Zentrum des Central Parks als damals. Dafür aber jede Menge Stickers, also bemalte Aufkleber. Ich mache Fotos, nicht weil sie ästhetisch wertvoll sind, sondern historisch wichtig. Ich bin ja auch von Hause aus Anthropologin.

    Schwarzer: Haben Sie wirklich gedacht, dass Graffiti etwas New York spezifisches sei, was schnell vergeht?

    Cooper: Ja, damals dachte ich: Das ist nur in New York möglich, und deshalb muss ich es festhalten, weil es schnell verschwinden wird, als Relikt für die Nachwelt. Und teilweise trifft es ja auch zu. Die besprühten Züge, die ich fotografiert habe, die gibt es nicht mehr in New York. Aber es wäre mir nie in den Sinn gekommen, dass es sich so ausbreitet, zum Beispiel auch in Ländern wie Deutschland oder Schweden, wo es so sauber ist und es funktionierende Sozialsysteme gibt und nicht wirklich große Armut, wie es sie in New York gab. New York sah damals aus wie ein Kriegsgebiet. Mit ausgebrannten Häusern, viel Kriminalität, vielen Drogen, der perfekte Platz für etwas wie Graffiti, aber diese Verbreitung, das hat mich erstaunt.

    Schwarzer: Die Wahrnehmung der Graffitis hat sich ja auch sehr verändert. Von bedrohlich, kriminell hin zu Popkultur oder sogar angesehener Kunst. Wie denken Sie darüber?

    Cooper: Ich bin erstaunt, dass es hier in Dresden nicht als so illegal angesehen wird, in New York kann man dafür immer noch im Gefängnis landen. Aber ich muss sagen, die Illegalität hat mich doch immer am meisten interessiert. Zu wissen, dass die Kids sehr viel riskieren, um ihre Kunst zu machen, das war überhaupt der Antrieb für mich und das ist es immer noch.

    Aber: sorry, liebe Writer. Ich mag Graffiti überhaupt nicht überall, ich mag es nicht auf schönen öffentlichen Gebäuden. Ich finde es gut, wenn die Sprayer Eigentum nicht einfach zerstören. Dass manche Streetart dann im Museum landet, ist in Ordnung. Klar, für die Erfolgreichen ist das illegale Sprayen dann umso riskanter. In Los Angeles haben sie erst vor Kurzem ein paar hochkarätige Graffitikünstler verhaftet.

    Schwarzer: Wie viel sind Sie denn noch bereit zu riskieren, um Ihren Künstlern zu folgen, um sie fotografieren? Sie sind jetzt immerhin 70 Jahre alt.

    Cooper: Ach, das ist eine schwierige Frage, soll ich wirklich sagen, was wir in Dresden gemacht haben? Es beunruhigt mich nicht, dass ich vielleicht auch mal eingesperrt werde, es beunruhigt mich mehr, wenn ich, sagen wir, in eine Situation komme mit Leuten, die ich nicht kenne, dass es irgendwie schlecht ausgeht, mit zu vielen Drogen, Waffen und dem ganzen Drumherum, vielleicht nicht hier in Dresden, aber in Baltimore, wo ich gerade arbeite, das ist bekannt dafür. Wie weit würde ich gehen? Ich wäre sehr vorsichtig, nachts rauszugehen mit Leuten und an Orte, die ich nicht kenne. Aber tagsüber würde ich es vielleicht schon machen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.