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Die Musik hört zu

Ein MP3-Stück klingt bei jedem Hören gleich. Der in London ansässigen Musik- und Softwareschmiede Reality Jockey war das zu langweilig. Ihre Software RjDj reagiert auf Umweltklänge und mixt echte mit virtuellen Sounds.

Von Jan Rähm | 07.11.2009
    Für den einen ist es Krach. Für den anderen der Stoff für spannende neue Musik. Zum Beispiel für Frank Barknecht. Er und einige Mitstreiter haben mit RjDj eine Software für mobile Geräte entwickelt, die aus Klängen der Umwelt Musik erschafft. Die Geräusche werden dabei Teil der neuen Musik, sie steuern aber auch die Komposition. Die Fachleute nennen das Ergebnis "reaktive Musik". Musik also, die auf äußere Einflüsse reagiert. Die Musikstücke - im Englischen "Tracks" - nennen sie "Scenes".

    "RjDj selbst ist ein Player für reaktive Musik. Für Musik, die sich in Echtzeit, während man sie hört, verändern kann. RjDj-Musik, wir nennen sie dann nicht mehr Tracks, sondern Scenes, also diese Scenes können sich Inspirationen aus der Umwelt holen, und über das Mikrofon zum Beispiel Klänge aufnehmen, die in der Umwelt gerade zu hören sind und dann in die aktuell laufende Scene einbauen. Man hört also eine Art automatisch aus der Umwelt generierte Musik."

    Um eine solche Scene zu erschaffen, muss man zweierlei beherrschen: Man muss Musiker, gleichzeitig aber auch Programmierer sein , so wie Frank Barknecht. Musiker - weil man die Scene komponieren und arrangieren muss. Programmierer, weil die Scenes erst im Open-Source-Programm Pure Data - kurz Pd - zu einem reaktiven Gebilde werden. Trivial ist es nicht eine solche Scene für RjDj zu programmieren, erklärt der Mitentwickler.

    "Es ist halt nicht ganz einfach, so eine Scene zu machen. Man muss dafür Pure Data beherrschen Pd, man muss sich etwas auskennen in algorithmischer Komposition, automatischer Komposition, und wie man einen Musikprozess komponiert und nicht nur einfach ein Stück Musik."

    Genug der Theorie, Frank Barknecht zeigt, wie er mit Pd eine Scene zusammenstellt.

    "Ich zeig einfach mal ganz kurz die Composer-Software, die wir verwenden, mit der die Stücke in RjDj gemacht werden. Das ist Pd. Man fängt da an mit einem weißen Blatt Papier quasi und schiebt da Objekte drauf, denen man Namen gibt. Und sobald sie einen Namen haben, den das Programm erkennt, wird daraus ein kleines akustisches Produktionsinstrument. Zum Beispiel ein Oszillator oder ein Filter oder sonst was. Und diese einzelnen Objekte kann man untereinander verschalten, man kann auch Logik draufsetzen, also das Programm Entscheidungen fällen lassen und Ähnliches."

    Das Ergebnis ...

    "... wird teilweise mit ein wenig anderen Sounds gemischt, aber hauptsächlich ist es eine Variante der Umwelt. Die Umwelt wird wiederholt und geloopt und irgendwie auf schräge Art und Weise durch den akustischen, signalverarbeitenden Super-Fleischwolf gejagt."

    Den Grundstein zu RjDj hat Michael Breidenbrücker gelegt. Es ist nicht sein erstes Projekt. Weltbekannt wurde der Musikstreaming-Dienst Last.fm, den er mitbegründet hat. Der zweite große Name hinter RjDj ist Günter Geiger. Er ist Entwickler und unter anderem durch seine Mitarbeit an der GNU/Linux-Distribution Debian bekannt. Und eben auch Frank Barknecht gehört zum festen Team hinter RjDj. Das Programm läuft aktuell nur einer Art Hardware: dem iPhone und dem fast baugleichen iPod Touch von Apple. Wer dahinter geschäftliches Kalkül vermutet, liegt falsch. Denn

    "Das liegt daran weil, dass das iPhone und der iPod tatsächlich im Moment die besten Geräte für diese Art sind. Sie sind mobil, sie sind schnell - das ist irgendwie ein Prozessor drin mit 600 Mhz. Das ist tatsächlich schnell genug um mobile Musik, die sich komponiert, die in Echtzeit Synthese macht und Effekte auf Musik und Klang anlegt. Die erste mobile Plattform, die eine gewisse Verbreitung hat und die das kann, was wir machen wollen."

    RjDj hilft dem Hörer nicht nur, neue Musik zu entdecken. Frank Barknecht kommt fast ins Schwärmen, wenn er davon spricht, dass die Wahrnehmung des RjDj-Hörers sich auch in der Umwelt ganz ohne Kopfhörer fortsetzt.

    "Man hört die Umwelt einfach anders. Man hört genauer hin. Also zum Beispiel: Man geht durch die Straße und man hört nicht mehr die tausend Autos die da vorbeifahren oder Leute, die an einem vorbeigehen. Das Ohr ist darauf trainiert, diese Geräusche auszublenden mit der Zeit. Dadurch aber, dass die in RjDj zur Musik geworden sind, nimmt man auch danach diese Umweltgeräusche ganz anders wahr. Wenn man sich dann fragt: Ach, wie würde das wohl klingen, wenn das mit RjDj bearbeitet worden wäre oder auch ganz einfach: Mann, die Welt klingt ja auch so schon total schön!"

    Noch ist RjDj ein geschlossenes System. Jedoch wollen die Entwickler den Quelltext in absehbarer Zeit offen legen. Dann wird der Player zu einer Open-Source-Anwendung und kann auf vielen weiteren mobilen Plattformen seinen Platz finden. Doch bis es soweit ist, müssen noch rechtliche Probleme mit Lizenzen ausgeräumt werden.
    Der Computermusiker Miller Puckette auf der Linux Audio Conference 2008
    Miller Puckette hat Pure Data 1996 erfunden. (Niels Mlynek, LAC2008 (CC-by-nc-nd))