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Die Mustermänner der Nation

Medizin. - Adresshändler – davon hat fast jeder schon gehört. Aber eine simple Adresse nützt Marketingstrategen wenig. Wenn sie ihren Kunden auf die Schliche kommen wollen, müssen genauere Daten her. Der Kunde ist längst nicht mehr das unbekannte Wesen. Trotz strengem Datenschutz wissen Unternehmen mehr über die Verbraucher als viele glauben. Die deutschen Mustermänner und Musterfrauen werden von Marketing-Strategen entworfen.

07.04.2003
    Von Thomas Reintjes

    Jedes Versandhaus weiß mehr über die Bundesbürger als die Regierung.

    Versandhäuser sind eifrige Datensammler, sagt Timo Thalmann, Experte für Geo-Informations-Systeme. Solche Datenbanken verknüpfen verschiedene Informationen mit Orten, Straßen oder Hausnummern. Das wird nicht nur von Versandhäusern genutzt, um die eigenen Kunden besser kennenzulernen. Bei Versandhäusern ist das Datensammeln – und damit auch die Analyse der Kunden – aber besonders einfach:

    Dort wird eine ganze Menge an Informationen preisgegeben, dahingehend, dass ich einen Namen, eine Adresse angeben muss. Ich gebe das an, was ich bestelle, was ich kaufe. Über die Vornamensanalyse können Sie, wenn Sie das Geburtsdatum nicht haben, können Sie so ein bisschen das Alter einschätzen.

    Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Aufgestellt hat sie Günter Horst, Geschäftsführer der Firma Microm in Neuss. Sein Unternehmen hilft anderen Firmen bei der Analyse ihrer Kunden. Dazu sammelt Microm Daten aus den verschiedensten Quellen:

    Wir arbeiten hier mit einer Reihe von Partnern zusammen: Bundesstatistikamt, Landesstatistikamt, aber auch sämtliche Gemeinden, die wir jedes Jahr anschreiben um Informationen dort zu holen. Wir bereiten daraus eine Reihe von Informationen, Daten auf. Zum Beispiel Altersstrukturen, zum Beispiel Themen, die sich um den Umzug drehen, also: "Wer wechselt von wo nach wo?" "Wie häufig wird gewechselt?" Familienstände, aber auch die Zusammensetzung einer Familie, also Singles, ältere Personen.

    Dazu zählt auch eine sogenannte Milieu-Studie. Erstellt wird sie von Sinus Sociovision in Heidelberg. Das Institut hat die deutsche Bevölkerung in zehn verschiedene Gruppen eingeteilt: Vom Traditionsverwurzelten über den DDR-Nostalgiker bis zum Modernen Performer. Diese Milieus repräsentieren dabei verschiedene Eigenschaften und Vorlieben.

    Konservative zeichnen sich beispielsweise aus durch ein sehr bodenständiges Verhalten. Sie ziehen sehr sehr selten um, richten sich sehr konservativ ein, Gelsenkirchener Barock ist sicherlich bekannt. Also das ist so ungefähr der Einrichtungsstil. Dabei gucken sie eher einen Gottschalk als MTV. Die neuen Performer wiederum gucken eher MTV, haben deutlich weniger Zeit, sich mit diesem Fernsehen auseinanderzusetzen. Aber es wird eher konsumiert als bewusst geguckt.

    So lässt sich jedes der zehn Milieus charakterisieren. Microm verknüpft nun diese Milieus mit den genannten statistischen Daten und geographischen Daten, also Adressen. Insgesamt werden dabei weit über eine Milliarde Einzelinformationen verarbeitet. Jeweils fünf Haushalte fassen die Marketing-Experten zusammen und bilden daraus Durchschnittswerte. Die Informationen sind also nicht mehr mit Namen von Menschen verknüpft – das verbietet der Datenschutz. Nur Angaben wie Straße, Hausnummer und Postleitzahl darf Microm benutzen. Mit Hilfe dieser anonymisierten Datenbank können Firmen dann recht genaue Angaben über Einstellung und Vorlieben von Kunden machen. Dabei ist nicht die individuelle Persönlichkeit entscheidend. Ob Herr Mustermann Werbung für Wein oder Mineralwasser, für Luxusautos oder Fahrräder ins Haus bekommt, hängt vielmehr von seinem Umfeld ab – vom durchschnittlichen Milieu um ihn herum. Dieses Umfeld bestimmt auch, ob Frau Mustermann im Versandhaus per Rechnung bezahlen darf. Denn statistische, mikrogeographische Daten werden benutzt, um die Kreditwürdigkeit von unbekannten Kunden einzuschätzen. Trotz ihrer goldenen Kreditkarte bietet das Versandhaus Frau Mustermann also vielleicht nur an, per Nachname zu bezahlen. Timo Thalmann, Chefredakteur der Zeitung Business Geomatics:

    Viele haben immer Angst vor dem gläsernen Kunden. Den haben wir so nicht. Was wir haben sind Datenschatten. Also sie sehen den Schatten und dieser Umriss kann sehr scharf sein. Aber der Rückschluss, den Sie dann auf den Menschen ziehen, der ist nicht immer zutreffend. Das heißt, Sie können im Einzelfall fürchterlich daneben liegen. Aber in der Gesamtheit der Betrachtung ist das ein Streuverlust der einfach in Kauf genommen wird, weil es statistisch gesehen eben doch sehr hohe Trefferquote hat. Also das liegt schon bei über 90 Prozent.

    Wer persönliche Daten von sich preisgibt – beispielsweise mit einer Kundenkarte – der erhöht die Trefferquote. Die Unternehmen können so Kunden gezielter ansprechen und bewerben. Vorteil für die Verbraucher: Die Werbeflut wird für den Einzelnen erträglicher, schließlich sollen die Informationen persönlich zugeschnitten sein.