Es ist noch dunkel. Der Pflanzenmarkt ist geschlossen, die Cafeteria ebenso. Um Alan Power sammeln sich fünfzehn Frühaufsteher. Die meisten haben Wanderschuhe an und Fleecejacken. Alan Power ist der Gartenmeister von Stourhead, er wird die Wanderung anführen. Zuerst zum Herrenhaus. Dann am Flora-Tempel vorbei zum Pantheon, schließlich zum Apollo. Zweieinhalb Stunden lang. Bis nach Sonnenaufgang.
Die Gruppe setzt sich in Bewegung. In Serpentinen schlängelt sich der Weg den Berg hinab, unter den Bäumen ist die Erde noch feucht, es riecht nach Moos. Plötzlich überholt ein alter Mann den Zug, läuft rasch nach vorn, da wo Alan Power geht.
" Warum wir diese Wanderung mitmachen? Ich glaube, wir sind mit falschen
Informationen hergekommen: Wir dachten, es würde um Vögel gehen.
Ein morgendliches Vogelkonzert oder so was. "
Der ältere Herr berät sich kurz mit seiner Frau, die beiden bleiben. Der Weg wird breiter, an den Kastanien vorbei steigt er zum Herrenhaus an. Elegant liegt das Anwesen in der Landschaft, ein graues Säulenportal, umrahmt von violettem Rhododendron. Eine Lady holt Kekse aus ihrer Tasche. Als sie die Packung herumreicht, fallen Krümel ins Gras. Ein Rotkehlchen landet an ihren Schuhen und pickt sie auf.
" Das ist Tony! Wir haben drei, vier Rotkehlchen im Garten. Wenn Sie geduldig sind, fressen sie Ihnen sogar aus der Hand. Das macht Eindruck, sage ich Ihnen. Einmal habe ich meiner Mutter den Garten gezeigt und hatte etwas Brot dabei. Dann habe ich meine Hand ausgestreckt und ein Rotkehlchen ist darauf gelandet. Meine Mutter war hingerissen, sie war so stolz auf mich! "
Unterhalb des Herrenhauses bleibt Alan Power stehen. Er streift sich mit der Hand über seinen Stoppelbart, wartet bis alle Besucher versammelt sind.
" Wenn Sie Rhododendron Blue Peter da links mal außer Acht lassen, schauen Sie direkt ins 18. Jahrhundert. Sie sehen alte Eichen, weidende Kühe und zauberhaftes englisches Parkland im Hintergrund. Heutzutage pflanzen wir riesige Hecken um unsere Gärten, damit keiner uns beim Grillen beobachten kann. Aber bohren sie mal ein Loch da hinein. Und ich sage Ihnen, der Blick wird Ihren Garten viel größer erscheinen lassen. Sehen Sie, Stourhead muss diese Felder dort gar nicht besitzen. Sie sind einfach da und werden so ein Teil des Gartens. Der Garten leiht sich die Landschaft aus. "
Nirgendwo wurde die Idee des englischen Gartens so konsequent verwirklicht wie in Stourhead. Ein englisches Arkadien wollte Henry Hoare erschaffen. Mit antiken Tempeln und Brücken, einer Grotte und Wasserfall. Vorbilder fand er in der klassischen Dichtung und Malerei. Noch heute rätseln Forscher über das komplexe System von Blickachsen und Botschaften: Nicht umsonst trug Hoare schon zu Lebzeiten den Beinamen "The Magnificent" – der Großartige.
Stetig steigt die Sonne über den Hügeln empor, wenn sich der Nebel lichtet, will Alan Power am See sein. Zwischen Koniferen und Lorbeersträuchern senkt sich der Weg immer weiter nach unten. Alan Power bleibt stehen. Hinter ihm ist ein steinernes Tor – der Eingang zu einer Grotte.
Im Halbdunkel thront eine weiße Nymphe über der Quelle,
in Stein gemeißelt ein Vers des englischen Dichters Alexander Pope:
Der heiligen Quelle Hüterin bin ich,
zum Rauschen dieses Wassers schlafe ich.
Verschon denn meine Träume und geh behutsam in die Höhle.
Dann trink und schweig und schweigend geh hinaus.
[Alexander Pope]
Nacheinander kommen die Spaziergänger aus der dunklen Grotte ans Tageslicht zurück. Alan Power kneift die Lider zusammen: Die Sonnenstrahlen stechen in den Augen, fressen gierig die letzten Nebelschwaden über dem Wasser auf. Alan Power zögert, blickt gebannt auf den See.
" Aus diesem Grund liebe ich die Wanderungen bei Sonnenaufgang. Egal, ob es regnet oder ob es so schön ist wie heute. Niemals schleppe ich mich durch die Gegend und denke, oh Gott, ich wünschte die Sonne würde scheinen. Der Garten ist einfach zauberhaft, und er macht das alles ganz allein. Ich erinnere mich noch an die Werbekampagne für den neuen Peugeot. Die wollten ihre Autos im Morgennebel ablichten, hier am See. Drei Tage haben sie den See eingenebelt, der Wind hat die Nebelmaschinen umgepustet – es war furchtbar. Naja, am dritten Morgen hat die Natur es ganz allein gemacht. Zauberhaft. Die Typen haben fix ihre Fotos gemacht und weg waren sie. "
Zwei Kilometer Wegstrecke haben die Wanderer hinter sich: Das Herrenhaus, die Blicke auf Apollo und Flora, den Gang durch die Grotte, den See. Sie sind am Pantheon angekommen. Zwischen den Säulen des Tempels haben Stourheads Gärtner einen Picknicktisch aufgebaut. Äpfeln liegen darauf, Pfirsiche und Butterkekse. Alan Power gießt Orangensaft in ein Glas und reicht es einer Dame, sich selbst steckt er ein Stück Banane in den Mund. Zwischen den Weiden am Seeufer haben sich Schwäne eingefunden, eine Frau gibt ihnen Brot.
" Mir ist so friedlich zumute. Es ist zauberhaft, den Garten im Morgengrauen zu erleben. Ich komme oft hierher, wissen Sie. Ich kann kommen so oft ich will, ich bin Mitglied im National Trust. Er kümmert sich um den Erhalt der alten Gärten und Schlösser. Aber ich sage Ihnen: Stourhead ist immer anders. Jedesmal denke ich, jetzt kennst du den Garten. Und dann komme ich her und sehe, dass es nicht so ist. Er ist immer wieder anders. "
" Es geht auf acht Uhr zu. Über eine kleine Eisenbrücke führt der Weg zum
anderen Seeufer, das Pantheon liegt im Sonnenlicht. Langsam schlendern die Wanderer hinter dem Gärtner her, sind dankbar, als Alan Power an einem Steintor stehen bleibt. Wasserrauschen dringt nach draußen, ein Pfad steigt steil die Böschung empor: Der Aufstieg zum Apollo. "
" Es gibt ein Gemälde in der Sammlung von Stourhead, da steht Herkules an einem Ort wie diesem hier. Er muss sich entscheiden zwischen zwei Damen: Tugend und Laster. Tja, wir müssen uns auch entscheiden: Entweder nehmen wir den steinigen Weg zum Tempel des Apollo, wo wir einen wundervollen Blick haben werden. Oder wir gehen ins Pub, frühstücken gemütlich und steigern unseren Cholesterinspiegel für die nächsten Wochen. "
Durch Eden zog ein breiter Strom
Und wandelte den Lauf nicht, sondern ward
Vom rauh bewachsnen Hügel eingeschlurft,
Den Gott als Gartenwall dahin gestürzt,
Hoch auf dem raschen Strome,
der, von Adern
Der lockern Erde durstig eingesogen,
Als frischer Quell entsprang und wässerte
Mit manchem Bach den Garten.
[John Milton]
Alan Power hat sich an die Säule des Apollo-Tempels gelehnt. Ein paar
Wanderer setzen sich zu Power auf die Stufen. Zwischen Rhododendren und Buchen liegt der See im Tal, am Flora-Tempel haben die Gärtner mit dem
Mähen angefangen.
" Wissen Sie, wenn man als Gärtner eine Blumenrabatte plant, weiß man nach zwei Jahren, ob sie gut aussieht. In Stourhead dauert es 60, 70 Jahre, ehe man ein Ergebnis sieht. Ich muss also verdammt aufpassen, dass ich keine Fehler mache. Manchmal fragen mich die Leute, mein Gott, warum gärtnerst du nicht einfach? Aber ich muss mir die Gestaltung gut überlegen, denn eines Tages wird jemand ein Buch über Stourhead lesen und sich fragen: Warum hat Alan Power damals diesen Baum gepflanzt? Ich muss eine Zukunftsvision für den Garten haben! Und das ist eine großartige Herausforderung für mich. "
Die Gruppe setzt sich in Bewegung. In Serpentinen schlängelt sich der Weg den Berg hinab, unter den Bäumen ist die Erde noch feucht, es riecht nach Moos. Plötzlich überholt ein alter Mann den Zug, läuft rasch nach vorn, da wo Alan Power geht.
" Warum wir diese Wanderung mitmachen? Ich glaube, wir sind mit falschen
Informationen hergekommen: Wir dachten, es würde um Vögel gehen.
Ein morgendliches Vogelkonzert oder so was. "
Der ältere Herr berät sich kurz mit seiner Frau, die beiden bleiben. Der Weg wird breiter, an den Kastanien vorbei steigt er zum Herrenhaus an. Elegant liegt das Anwesen in der Landschaft, ein graues Säulenportal, umrahmt von violettem Rhododendron. Eine Lady holt Kekse aus ihrer Tasche. Als sie die Packung herumreicht, fallen Krümel ins Gras. Ein Rotkehlchen landet an ihren Schuhen und pickt sie auf.
" Das ist Tony! Wir haben drei, vier Rotkehlchen im Garten. Wenn Sie geduldig sind, fressen sie Ihnen sogar aus der Hand. Das macht Eindruck, sage ich Ihnen. Einmal habe ich meiner Mutter den Garten gezeigt und hatte etwas Brot dabei. Dann habe ich meine Hand ausgestreckt und ein Rotkehlchen ist darauf gelandet. Meine Mutter war hingerissen, sie war so stolz auf mich! "
Unterhalb des Herrenhauses bleibt Alan Power stehen. Er streift sich mit der Hand über seinen Stoppelbart, wartet bis alle Besucher versammelt sind.
" Wenn Sie Rhododendron Blue Peter da links mal außer Acht lassen, schauen Sie direkt ins 18. Jahrhundert. Sie sehen alte Eichen, weidende Kühe und zauberhaftes englisches Parkland im Hintergrund. Heutzutage pflanzen wir riesige Hecken um unsere Gärten, damit keiner uns beim Grillen beobachten kann. Aber bohren sie mal ein Loch da hinein. Und ich sage Ihnen, der Blick wird Ihren Garten viel größer erscheinen lassen. Sehen Sie, Stourhead muss diese Felder dort gar nicht besitzen. Sie sind einfach da und werden so ein Teil des Gartens. Der Garten leiht sich die Landschaft aus. "
Nirgendwo wurde die Idee des englischen Gartens so konsequent verwirklicht wie in Stourhead. Ein englisches Arkadien wollte Henry Hoare erschaffen. Mit antiken Tempeln und Brücken, einer Grotte und Wasserfall. Vorbilder fand er in der klassischen Dichtung und Malerei. Noch heute rätseln Forscher über das komplexe System von Blickachsen und Botschaften: Nicht umsonst trug Hoare schon zu Lebzeiten den Beinamen "The Magnificent" – der Großartige.
Stetig steigt die Sonne über den Hügeln empor, wenn sich der Nebel lichtet, will Alan Power am See sein. Zwischen Koniferen und Lorbeersträuchern senkt sich der Weg immer weiter nach unten. Alan Power bleibt stehen. Hinter ihm ist ein steinernes Tor – der Eingang zu einer Grotte.
Im Halbdunkel thront eine weiße Nymphe über der Quelle,
in Stein gemeißelt ein Vers des englischen Dichters Alexander Pope:
Der heiligen Quelle Hüterin bin ich,
zum Rauschen dieses Wassers schlafe ich.
Verschon denn meine Träume und geh behutsam in die Höhle.
Dann trink und schweig und schweigend geh hinaus.
[Alexander Pope]
Nacheinander kommen die Spaziergänger aus der dunklen Grotte ans Tageslicht zurück. Alan Power kneift die Lider zusammen: Die Sonnenstrahlen stechen in den Augen, fressen gierig die letzten Nebelschwaden über dem Wasser auf. Alan Power zögert, blickt gebannt auf den See.
" Aus diesem Grund liebe ich die Wanderungen bei Sonnenaufgang. Egal, ob es regnet oder ob es so schön ist wie heute. Niemals schleppe ich mich durch die Gegend und denke, oh Gott, ich wünschte die Sonne würde scheinen. Der Garten ist einfach zauberhaft, und er macht das alles ganz allein. Ich erinnere mich noch an die Werbekampagne für den neuen Peugeot. Die wollten ihre Autos im Morgennebel ablichten, hier am See. Drei Tage haben sie den See eingenebelt, der Wind hat die Nebelmaschinen umgepustet – es war furchtbar. Naja, am dritten Morgen hat die Natur es ganz allein gemacht. Zauberhaft. Die Typen haben fix ihre Fotos gemacht und weg waren sie. "
Zwei Kilometer Wegstrecke haben die Wanderer hinter sich: Das Herrenhaus, die Blicke auf Apollo und Flora, den Gang durch die Grotte, den See. Sie sind am Pantheon angekommen. Zwischen den Säulen des Tempels haben Stourheads Gärtner einen Picknicktisch aufgebaut. Äpfeln liegen darauf, Pfirsiche und Butterkekse. Alan Power gießt Orangensaft in ein Glas und reicht es einer Dame, sich selbst steckt er ein Stück Banane in den Mund. Zwischen den Weiden am Seeufer haben sich Schwäne eingefunden, eine Frau gibt ihnen Brot.
" Mir ist so friedlich zumute. Es ist zauberhaft, den Garten im Morgengrauen zu erleben. Ich komme oft hierher, wissen Sie. Ich kann kommen so oft ich will, ich bin Mitglied im National Trust. Er kümmert sich um den Erhalt der alten Gärten und Schlösser. Aber ich sage Ihnen: Stourhead ist immer anders. Jedesmal denke ich, jetzt kennst du den Garten. Und dann komme ich her und sehe, dass es nicht so ist. Er ist immer wieder anders. "
" Es geht auf acht Uhr zu. Über eine kleine Eisenbrücke führt der Weg zum
anderen Seeufer, das Pantheon liegt im Sonnenlicht. Langsam schlendern die Wanderer hinter dem Gärtner her, sind dankbar, als Alan Power an einem Steintor stehen bleibt. Wasserrauschen dringt nach draußen, ein Pfad steigt steil die Böschung empor: Der Aufstieg zum Apollo. "
" Es gibt ein Gemälde in der Sammlung von Stourhead, da steht Herkules an einem Ort wie diesem hier. Er muss sich entscheiden zwischen zwei Damen: Tugend und Laster. Tja, wir müssen uns auch entscheiden: Entweder nehmen wir den steinigen Weg zum Tempel des Apollo, wo wir einen wundervollen Blick haben werden. Oder wir gehen ins Pub, frühstücken gemütlich und steigern unseren Cholesterinspiegel für die nächsten Wochen. "
Durch Eden zog ein breiter Strom
Und wandelte den Lauf nicht, sondern ward
Vom rauh bewachsnen Hügel eingeschlurft,
Den Gott als Gartenwall dahin gestürzt,
Hoch auf dem raschen Strome,
der, von Adern
Der lockern Erde durstig eingesogen,
Als frischer Quell entsprang und wässerte
Mit manchem Bach den Garten.
[John Milton]
Alan Power hat sich an die Säule des Apollo-Tempels gelehnt. Ein paar
Wanderer setzen sich zu Power auf die Stufen. Zwischen Rhododendren und Buchen liegt der See im Tal, am Flora-Tempel haben die Gärtner mit dem
Mähen angefangen.
" Wissen Sie, wenn man als Gärtner eine Blumenrabatte plant, weiß man nach zwei Jahren, ob sie gut aussieht. In Stourhead dauert es 60, 70 Jahre, ehe man ein Ergebnis sieht. Ich muss also verdammt aufpassen, dass ich keine Fehler mache. Manchmal fragen mich die Leute, mein Gott, warum gärtnerst du nicht einfach? Aber ich muss mir die Gestaltung gut überlegen, denn eines Tages wird jemand ein Buch über Stourhead lesen und sich fragen: Warum hat Alan Power damals diesen Baum gepflanzt? Ich muss eine Zukunftsvision für den Garten haben! Und das ist eine großartige Herausforderung für mich. "