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"Die Nacht ist schon im Schwinden"

Seine Lieder sind längst zu geistlichen Volksliedern geworden. Kaum eine evangelische Gemeinde, in der sie nicht gesungen werden. Doch über das Leben und Sterben des Dichters und Theologen Jochen Klepp weiß heute kaum noch jemand etwas.

Von Kirsten Serup-Bilfeldt | 27.12.2012
    "Es gab damals jedenfalls in den Kreisen, die erschrocken waren und versuchten, über diesen Schock des Dritten Reichs nicht nur wegzukommen, sondern ihn auch zu verstehen, ein reiches Angebot an Büchern, in denen versucht wurde, zu erklären, was geschehen war. Gucken wir auf die Weihnachtstische in den 50er und auch 60er Jahren: 1958 ein Riesenerfolg 'Unter dem Schatten deiner Flügel'. Jochen Klepper gehörte zu den Quellen, die erhellten, was geschehen war."

    Thomas Hübner, evangelischer Theologe und Klepper-Experte.

    In der Tat - in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg ist Jochen Kleppers Leben und Leiden oft beschrieben worden. Sein Tagebuch "Unter dem Schatten deiner Flügel" gehörte neben den Aufzeichnungen von Victor Klemperer und Sebastian Haffner zu den anrührendsten autobiografischen Zeugnissen dieser Zeit. Die Chronik des protestantischen Theologen und Pfarrerssohnes wurde in evangelischen Kirchengemeinden, Jugendgruppen, Pfarrhäusern und Bildungseinrichtungen zum Bestseller.

    Gleichzeitig gab sie den Anstoß für den Versuch, die Ereignisse zwischen 1933 und 1945 literarisch zu beleuchten und aufzuarbeiten.

    "Es ging los 1951 mit Helmut Gollwitzer. Er schrieb einen Roman über seine Kriegsgefangenschaft und das setzte er unter ein Bibelwort, Johannes 21, Vers 18: 'Und führen, wohin du nicht willst.' Das war damals ein Riesenbucherfolg. Ein Jahr später erschien von Dietrich Bonhoeffer 'Widerstand und Ergebung'. Man hatte Interesse nicht mehr an historischer Aufklärung, sondern in der Luft lag etwas, was eigentlich aus dem 19. Jahrhundert übergekommen war, nämlich der sogenannte Existenzialismus, die existenziale Interpretation des Menschen durch Kierkegaard, jetzt wieder aufgelegt durch die großen Romane von Antoine de Saint-Exupéry, Jean Paul Sartre, Albert Camus und in Deutschland Karl Jaspers. Die existenziale Interpretation geht davon aus, dass der Mensch aus Existenzialien besteht und sich darin als Mensch nicht ändert, durch die Jahrhunderte hindurch. Angst, Furcht, Vertrauen, alle seelischen Erfahrungen, das interessierte damals die Menschen."

    Das Thema dieser existenzialen Interpretation, so Hübner, sei von Jochen Klepper praktisch literarisch ausgelöst worden.

    "Und zwar 1937, mitten im Dritten Reich durch seinen Roman "Der Vater.""

    Dieser Roman über Friedrich Wilhelm I. von Preußen, den "Soldatenkönig", spiegelt zunächst einen dramatischen Vater-Sohn-Konflikt. Das Werk ist aber auch ein Loblied auf preußische Tugenden: auf Pflichterfüllung, Genügsamkeit, Gottesfurcht und Staatstreue. Der Staat des "Soldatenkönigs" ist bei aller Rigidität ein Hort des Glaubens, der Ordnung, der Gerechtigkeit - ein christliches Gegenbild zum NS-Staat.

    Klepper nimmt Korrekturen an jenem eingeschliffenen Bild vor, das Preußen mit Militarismus gleichsetzt.

    "Es gab nur ein einziges Schloss in der Welt, das Hohenzollernschloss in Berlin, wo eben nicht davor ein Exerzierplatz war, sondern: Worauf guckte der Herrscher von Preußen? Geradeaus auf die Museumsinsel, Kultur und Kunst und Geistesgeschichte; er guckte rechts auf den Berliner Dom: das Christentum, der Glaube; und er guckte links auf die Universität. Wissenschaft, Kultur und Kirche - das waren die Säulen Preußens"

    Das Buch "Der Vater" wird ein durchschlagender Erfolg und macht seinen Autor über Nacht berühmt.

    Der Ruhm kommt zu einer Zeit, in der sich der 1903 im schlesischen Beuthen geborene und in einem großbürgerlichen Kokon aufgewachsene Pfarrerssohn in schwierigen Lebensumständen befindet: Sein Theologiestudium hat er abgebrochen und sich ganz aufs Schreiben verlegt. Sein Elternhaus bricht mit ihm, als er die 13 Jahre ältere Witwe Johanna Stein, eine Jüdin, heiratet. Als die Nationalsozialisten an die Macht kommen, verliert er wegen seiner jüdischen Ehe seine journalistische Arbeit beim Rundfunk.

    Auch "Der Vater" darf nur mit einer Sondergenehmigung gedruckt werden. Kurz nach Erscheinen des Romans erfolgt der Ausschluss aus der Reichsschrifttumskammer, was einem Berufsverbot gleichkommt. Klepper fühlt sich als "Emigrant im Vaterland", erwägt die Flucht ins Ausland und - kann sich doch dazu nicht durchringen:

    "Als dann die Judenverfolgung einsetzte, hat Klepper von einem Tag auf den anderen, in Absprache mit seiner Frau vereinbart, dass er nun keine Zeile mehr schreiben würde. Er würde nur noch Liederdichter sein."

    Wiederum nur mit einer Ausnahmegenehmigung kann er 1938 den Gedichtband "Kyrie" herausgeben.

    "Ganz unvorstellbar, dass mitten im Dritten Reich diese Liedersammlung erschien. Wahrscheinlich, weil keiner es ernst nahm. 'Kyrie' - griechisch 'die Anrufung des Herrn' war wahrscheinlich ein zu harmloser Titel."

    "Der du allein der Ew'ge heißt,

    Und Anfang, Ziel und Mitte weißt

    Im Fluge uns'rer Zeiten

    Bleib du uns gnädig zugewandt

    Und führe uns an deiner Hand,

    Damit wir sicher schreiten."


    Schreibt Klepper in seinem Neujahrslied 1939. Mag sein Glaube ihm in diesen Zeiten Trost sein - seine Kirche ist es nicht.

    Zu den "Deutschen Christen", die die Kirche "gleichschalten" wollen, geht er auf Distanz, aber auch in der "Bekennenden Kirche" findet er keine Heimat. Er irrlichtert zwischen den unterschiedlichsten Positionen: er betet um Hitlers Bekehrung, vertraut immer wieder der großmäuligen Propaganda, hofft auf deutsche Siege, wird nach einem Jahr an der Ostfront wegen seiner jüdischen Ehe wieder aus der Wehrmacht entlassen. Klepper, der loyale Preuße bricht mit der Obrigkeit. Und taugt dennoch nicht zum Helden. Auch, wenn es heute schwerfällt, seine Geschichte nicht von ihrem Ende her zu lesen.

    "Jochen Klepper war wie die Mehrheit dieser Schicht: politisch zu arglos, innerlich zu wenig vorbereitet und im Grunde seines Wesens dem Staat gegenüber zu gehorsam, um gänzlich zu begreifen, was um ihn vorging",

    schreibt der Kritiker Dietrich Lattmann 1957 über ihn.

    Kleppers Biografin Rita Thalmann dagegen merkt an, Klepper sei weder ein "Märtyrer der Kirche" noch ein "deutsches Schaf" gewesen. Sein Lebenslauf bekunde nur mit besonderer Prägnanz die Irrungen und Wirrungen eines Bürgertums, dessen Erziehung zur "gottgewollten Gemeinschaft in Volk und Vaterland" keinen Raum für eine kritische Auseinandersetzung gelassen habe.

    Als die Bedrängnis immer größer wird, versucht Klepper, wenigstens für seine Stieftochter Renate die Genehmigung zur Ausreise nach Schweden zu bekommen. Als der Ablehnungsbescheid eintrifft und der Deportationsbefehl für Renate und Hanni Klepper droht, nimmt sich die Familie am 11. Dezember 1942 gemeinsam das Leben.

    Hinweis

    Den ersten Teil des Beitrags haben wir am 24.12.2012 ausgestrahlt:

    "Die Nacht ist schon im Schwinden"
    Vor 70 Jahren ging der Dichter und Theologe Jochen Klepper in den Tod (Teil 1)