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Die Nada und die Folgen der Affäre Steinmeier

Der Bund Deutscher Radfahrer hat den Ausstieg von ARD und ZDF aus der Live-Tour de France-Berichterstattung kritisiert. Allerdings wird beim BDR auch verkannt, dass in den letzten Jahren die Chance verpasst wurde, mit einer konsequenten Anti-Dopingpolitik die Glaubwürdigkeit der Sportart und damit auch die Zuschauer zurückzugewinnen.

Von Grit Hartmann | 06.02.2011
    Erst letztes Wochenende hatte der Bund Deutscher Radfahrer wieder seinen prekären Umgang mit dem Doping-Thema demonstriert. Für die Cross-Weltmeisterschaft im saarländischen St. Wendel nominierte der Verband auch Johannes Sickmüller vom Stevens Racing Team Hamburg und löste damit einiges bei der Nationalen Antidopingagentur NADA in Bonn aus.

    Im letzten Herbst, im Oktober, musste sich die Nationale Antidopingagentur schon einmal mit der Causa Johannes Sickmüller und Co. befassen. Warum, so lautete die Frage, lässt der Bund Deutscher Radfahrer Athleten im Sattel, gegen die – ginge es mit rechten Dingen zu – längst Dopingverfahren laufen sollten? Zur Erinnerung: Im Jahr 2006 wurde der Hamburger Arzt Til Steinmeier als Dopingmediziner aktenkundig. Der Vorwurf: Er habe Radler aus dem Cross-Team Stevens Racing mit Modedrogen wie Epo, Andriol und Synacthen flott gemacht. Im Juni 2008 stellte die Staatsanwaltschaft dem Doktor einen Strafbefehl über 39.000 Euro zu. Und sie nahm sich auch der Steinmeier-Kunden an. Erwartbar scheiterte der Versuch, drei Radlern Betrug nachzuweisen. Die Pedaleure bestritten, mussten dennoch ein Monatsgehalt zahlen – aber strafrechtlich ist hierzulande Dopern nicht beizukommen.

    Nur blieb die Sache auch sportrechtlich ohne erkennbare Folgen: Sickmüller fuhr weiter, als wäre nichts gewesen. Ebenso Kollege Fabian Brzezinski, er betreut nebenher Nachwuchsathleten. Der Dritte, Jens Schwedler, stieg nach 30 Jahren im Sattel auf - zum Teamchef. Als im Herbst Fragen dazu aufkamen, agierte die Nada noch etwas unglücklich: Es habe, behauptete sie, lange gedauert, die Ermittlungsakten aus Hamburg zu bekommen – was nicht zutraf. Die kommissarische Geschäftsführerin Anja Berninger ließ aber auch wissen, sie habe nach Sichtung der Unterlagen den BDR aufgefordert, Verfahren einzuleiten. Die Bewertung der Nada liege seit Jahresbeginn 2010 vor.

    Der ohnehin skandalumtoste BDR unter dem aus der Öffentlichkeit weggetauchten Rudolf Scharping hingegen lässt sich weiter Zeit. Stattdessen ließ er Johannes Sickmüller jetzt in Schwarz-Rot-Gold bei der Cross-Weltmeisterschaft antreten.

    Damit scheint das Maß voll. Auf Deutschlandfunk-Anfrage teilt Nada-Sprecher Berthold Mertes mit, dem BDR sei dieser Tage eine Frist gesetzt worden, ein Termin, bis wann er über Disziplinarverfahren zu entscheiden hat. Ansonsten übernehme die Nada den Fall.

    Der Nada-Code legt fest, dass ein Verband innerhalb von zwei Monaten nach Bekanntwerden eines Dopingverstoßes, sprich: nach Erhalt der Ermittlungsakten, Disziplinarverfahren einleiten muss – oder aber den Verzicht auf Dopingsperren begründen. Käme es so weit, dass die Nada dem BDR den Fall entzieht, wäre das ein einmaliger Vorgang; der Verband dürfte sich auf die Rückzahlung von Fördergeldern einrichten. Die Nada also hat ein veritables Drohszenario aufgebaut.

    Das ist neu. Bisher hinterließ die Bonner Agentur allzu oft den Eindruck, sie schone die Verbände. Der im Herbst verabschiedete Geschäftsführer Göttrik Wewer stand für diesen Kurs. Der Sportbürokrat, er marschierte aus dem Bundesinnenministerium direkt in die Nada, pflegte eher die Kultur des Aussitzens als den offensiven Umgang mit Dopingsündern. Und die im Nada-Kuratorium mächtigen Sportfürsten goutierten das: Michael Vesper, der Generaldirektor des DOSB, Christa Thiel, die Sprecherin der Spitzenverbände, auch der Sportabteilungsleiter aus dem BMI. Wewer war erst dann nicht mehr zu halten, als intern das Ergebnis eines kuriosen Rollentausches debattiert wurde: Ein einzelner Sportverband hatte die Institution geprüft, die seine Athleten prüft, und hernach die Trainingstests gerügt. Nach Ansicht des Verbandes waren die wenig intelligent. Eher waren sie geeignet, keinen der Leistungsträger zu erwischen.

    Das missliche Erbe, das Nada-Mitarbeiter jetzt korrigieren, geht also weit über den BDR-Altfall hinaus. Genau deshalb darf man das Vorgehen in dieser Sache als couragiert interpretieren. Denn die Agentur ist mitten im Umbau; gesucht werden zwei künftig hauptamtliche Vorstände. Die Personalfrage ist derzeit Feld für jenes Tauziehen, das die Nada seit je bremst – jene, die für eine unabhängigere Institution streiten, gegen die, die den Antidopingkampf lieber als Schauübung betreiben. In dieser Gemengelage ist das Ultimatum an die BDR-Adresse schon fast eine eindeutige Bewerbung der agierenden Mannschaft. Wie sie ankommt im Kuratorium, das ist eine durchaus spannende Frage.