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"Die Nähe der Kirche zum Militär war groß"

Der Militärdiktatur in Argentinien fielen in den 70er- und 80er-Jahren Tausende Menschen zum Opfer. Dennoch hat die Mehrzahl der katholischen Bischöfe das Regime unterstützt - zu diesem Schluss kommt der Historiker Stephan Ruderer in seiner Forschung.

Von Monika Konigorski | 15.03.2013
    Während der Militärdiktatur in Argentinien in den Jahren 1976 bis 1983 verschwanden Schätzungen zufolge etwa 30.000 Menschen - Regimegegner und solche, die als Regimegegner galten. Sie wurden entführt, gefoltert, ermordet. Bis heute sind viele dieser Verbrechen nicht vollständig aufgeklärt.

    Die Rolle der katholischen Kirche während dieser Zeit ist wenig ruhmreich, da ist sich der Historiker Stephan Ruderer sicher. Er hat Texte aus argentinischen und chilenischen Archiven untersucht, in denen sowohl Militärs als auch Bischöfe die Gewalt gegen die Bevölkerung mit religiösen Argumenten rechtfertigen.

    "In ihrer großen Mehrheit haben Bischöfe die Militärdiktatur unterstützt. Einmal dadurch, dass es öffentliche Aussagen für die Militärdiktatur gab, und zum anderen der große Vorwurf an die argentinische Kirche ist immer, dass sie sich sehr wenig für die Opfer der Diktatur eingesetzt hat und ganz großes Stillschweigen bewahrt hat und mit Geheimdiensten der Militärdiktatur zusammengearbeitet hat."

    Die Nähe der argentinischen Kirche zur Militärdiktatur sei nicht erstaunlich, sondern das Ergebnis eines langen Prozesses, erklären argentinische Forscher wie der Journalist Horacio Verbitsky, Autor mehrerer Untersuchungen zum Verhältnis der Kirche zum Regime. Diese Beziehung habe nicht erst mit dem Putsch 1976 begonnen, sondern reiche lange vor den Putsch zurück. Im Hintergrund stehe ein nicht zu Ende geführter Säkularisierungsprozess. Als Buenos Aires zu Beginn des 20. Jahrhunderts von einer Einwanderungswelle erfasst worden sei, habe sich das liberale Bürgertum bedroht gefühlt, auch durch die sozialistische und anarchistische Gesinnung der Immigranten. Das Bürgertum habe auf eine repressive Politik gesetzt und näherte sich der Kirche an. Sie lieferte den ideologischen Überbau für die Unterdrückung des Kommunismus. Auch die Nähe der Kirche zum Militär war groß. Stephan Ruderer:

    "Das liegt daran, dass das Feindbild der Diktatur und der damaligen argentinischen Kirche das gleiche war - nämlich der Kommunismus. Und es gibt durchaus Beispiele von Priestern - gerade auch Militärpriester, die mit religiösen Aussagen die Folter, Töten von Feinden der Diktatur gerechtfertigt haben."

    Der Wissenschaftler teilt das Verhalten der argentinischen Kirchenoberen zur Zeit des Militärregimes in drei Strömungen ein: eine konservative, die die Gewalt mit Worten rechtfertigte, dann die große Mehrheit der Moderaten, die geschwiegen habe, und eine kleine Gruppe, die sich eindeutig gegen die Diktatur positioniert habe.

    Zu welcher Gruppierung der jetzt gewählte argentinische Papst Franziskus gehörte, lasse sich nur schwer einschätzen, erklärt Ruderer, da dieser zur Zeit des Regimes noch kein Bischof gewesen sei. Wohl aber hatte Jorge Mario Bergoglio als Provinzial des Jesuitenordens eine kirchlich herausragende Position.

    Von 1973 bis 1979 übte Bergoglio dieses Amt aus. 1998 wurde er Erzbischof von Buenos Aires und 2001 zum Kardinal ernannt.

    Der Menschenrechtler und Friedensnobelpreisträger Adolfo Perez Esquivel erklärte gegenüber dem spanischsprachigen Dienst der BBC, der neu gewählte Papst Franziskus habe nicht mit dem Militärregime paktiert. Es habe zwar Bischöfe gegeben, die Komplizen der Diktatur waren, Bergoglio gehöre aber nicht zu ihnen.

    Der Hauptvorwurf gegen den neuen Papst steht im Zusammenhang mit der Entführung zweier Jesuitenpriester, die im Mai 1976 von Marineoffizieren verschleppt und unter brutalsten Bedingungen gefangen gehalten wurden.

    "Es ist so, dass er diesen Priestern nahegelegt hat, dass sie ihre Arbeit in den Armutsvierteln beenden, nachdem die Priester das verneint haben und gesagt haben, wir wollen weiterhin dort arbeiten, hat er ihnen gesagt, dann müssten sie aus dem Jesuitenroden austreten. Und diese Aussage wurde von der Geheimpolizei als ein grünes Licht gedeutet, die beiden festnehmen zu können, ohne dass sie da Schwierigkeiten mit der Kirche kriegen würden."

    Dies entspricht auch der Version des Journalisten Horacio Verbitsky, der die Anschuldigungen nach Gesprächen mit einem der beiden Priester nach dessen Gefangenschaft in dem Buch "Das Schweigen" erhebt.

    Auch Bergoglio kommt darin zu Wort. Er bezeichnet die Vorwürfe als "verleumderisch". Seine Version: Er habe wenige Tage vor dem Staatsstreich 1976 die beiden Patres vor bevorstehender Gefahr gewarnt und ihnen angeboten, im Jesuitenhaus Schutz zu suchen. Die beiden Priester sollen dieses Angebot abgelehnt haben und zwei Monate später entführt worden sein.

    Bergoglio erklärt, er habe hinter den Kulissen versucht, das Leben der beiden Patres zu retten. Historiker Stephan Ruderer hält das für glaubwürdig. Aber:

    "Er sagt jetzt, dass er sich hinterher zweimal für sie eingesetzt hat, also nachgefragt hat bei offiziellen Stellen, was denn mit denen passiert sei, aber wohl nicht viel mehr. Das ist gerade, wenn man es mit dem Verhalten anderer Bischöfe zum Beispiel in Chile während der Diktatur vergleicht, insgesamt sehr wenig. Und das ist eben der große Vorwurf, den man an die argentinische Kirche insgesamt erheben kann."

    Die Beweislage ist letztlich schwierig, die Anschuldigungen umstritten, Dokumente wurden vernichtet und viele Opfer wie Täter aus der Zeit der Diktatur sind bereits verstorben. Die Wahl des argentinischen Kardinals zum neuen Oberhaupt der katholischen Kirche befeuert aber die Diskussion um seine Vergangenheit. Stephan Ruderer:

    "Die Menschenrechtsgruppen in Argentinien sind nicht sonderlich glücklich mit dieser Wahl, eben einmal aufgrund dieses Vorfalls, aber eben auch, weil sie Bergoglio vorwerfen, dass er sich auch in der ganzen Zeit danach, eben auch als Erzbischof in Buenos Aires, kaum zur Diktatur geäußert hat und sehr wenig zur Aufarbeitung und zur Versöhnung beigetragen hat."

    Auch heute verhalte sich die katholische Kirche in Argentinien sehr unterschiedlich zur eigenen Vergangenheit, erklärt Ruderer.

    "Es gibt da verschiedene Strömungen, und der neue Papst zählt eben eher zu einer moderaten, konservativen Richtung. Das heißt, es gibt sehr viel stärker konservative Bischöfe, die das Verhalten während der Diktatur teilweise verteidigen, es gibt aber viele andere Strömungen auch innerhalb der Kirche, die sehr kritisch mit der eigenen Institution umgehen, weil sie eben noch viel zu wenig zur Aufarbeitung beigetragen hat. Und es gibt Strömungen, die Bischöfe, Priester, die während der Diktatur umgebracht wurden, als Märtyrer neu für sich gewinnen wollen. Insgesamt würde ich aber sagen, es ist ein Kapitel, was zu wenig aufgearbeitet wurde."