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Die Natur ist der Gewinner

Die Natur kann bei Umweltverstößen nur leiden. Dagegen klagen vor den zuständigen Gerichten kann sie nicht. Das muss schon der Mensch übernehmen. Nur ist das wiederum gar nicht so einfach. Wenn beispielsweise durch eine Industrieansiedlung eine Vogelart in ihrem Bestand bedroht wird, dann kann Herr Krause von nebenan nicht so einfach klagen. Dieses Anliegen muss schon ein Interessenverband wie eine Umweltorganisation übernehmen. Das ist ein Rechtsweg, der noch relativ neu ist - und zudem nicht unumstritten. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat sich zu dieser Thematik in Berlin in einer Stellungnahme geäußert. Wie wichtig ist die Verbandsklage für den Naturschutz? Und welche Erfahrungen gibt es mit diesem Rechtsmittel bisher.

Von Ralph Ahrens |
    Niemand ist vor Fehlern gefeit - auch nicht Behörden. Daher dürfen Firmen sich vor Gericht gegen behördliche Umweltschutzauflagen wehren. Allerdings sieht das deutsche Rechtssystem keinen Kläger vor, wenn eine behördliche Entscheidung möglicherweise etwa die Qualität des Trinkwassers gefährdet oder zur Aufheizung des Klimas beiträgt, erklärt Hans-Joachim Koch, Vorsitzender des Sachverständigenrates für Umweltfragen der Bundesregierung:

    Das sind Dinge, die kann niemand vor Gericht bringen - und insofern fehlt es an einer ‘Waffengleichheit’ zwischen denen, die die Umwelt nutzen und sich gegen Auflagen vor Gericht verteidigen können auf der einen Seite, und den Gütern der Allgemeinheit, die keinen Rechtsschutz genießen, weil niemand sie vor Gericht bringen kann.

    Hier hilft die Verbandsklage, meint der Umweltrat. Mit anderen Worten: Umweltverbände sollen im Namen der Natur, der Umwelt oder des Klimas die Rechtmäßigkeit behördlicher Entscheidungen vor Gericht hinterfragen dürfen. Eingeschränkt haben die Verbände diese Möglichkeit bereits durch die Naturschutzgesetze des Bundes und von zwölf Bundesländern. Und die Erfahrungen mit diesem Instrument seien positiv, meint Hans-Joachim Koch:

    Es ist besonders bemerkenswert, dass nicht nur in Deutschland mit seiner relativ noch geringen Erfahrung mit Verbandsklagen, sondern auch andere Länder in der Europäischen Union, die sehr viel mehr Verbandsklagen haben, übereinstimmend das Ergebnis bringen, dass Verbandsklagen durchschnittlich wesentlich erfolgreicher sind als Individualklagen. In%en gesagt über den Daumen gepeilt: 20 Prozent der Individualklagen vor Verwaltungsgerichten führen zum Erfolg und 28 Prozent der Verbandsklagen.

    Dabei braucht es nicht einmal immer ein Gerichtsverfahren, schon die Ankündigung einer Verbandsklage könne Behörden zum Einlenken bringen, meint Dirk Jansen vom nordrhein-westfälischem Landesverband des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - so geschehen etwa bei der Verlängerung der Autobahn A 33. Die neue Trasse sollte den Tatenhauser Wald in Nordrhein-Westfalen durchqueren. Dieser Wald steht jedoch unter anderem wegen seltener Fledermäuse unter besonderem Schutz:

    Da hat die Androhung und die Vorbereitung der Verbandsklage zum Einlenken des Verkehrsministers geführt, der dann gemeinsam mit Umweltministerium und BUND eine Alternative hat, die die Natur schützt. Wir mussten gar nicht klagen - und die Natur war trotzdem der Gewinner.

    Und Dirk Jansen ergänzt:

    Entgegen der Befürchtung - die vor allen Dingen aus Kreisen der CDU und der FDP immer schon fast hysterisch geäußert werden - gehen die Verbände mit dem Instrument der Verbändeklage sehr verantwortungsbewusst, sehr sorgsam um. Nur wenige ausgewählte, auch von ihrer Bedeutung herausragende Verbandsklagen wurden geführt. Und das zumeist auch mit beachtlichem Erfolg.

    Auch die EU sieht diese Erfolge und gab den Umweltverbänden daher mehr Rechte. Sie dürfen jetzt auch vor Gericht ziehen, wenn Behörden Umweltinformationen zurückhalten, und künftig auch, wenn sie Rechtsverstöße in Genehmigungsverfahren von industriellen Anlagen oder bei Umweltverträglichkeitsprüfungen vermuten.Doch selbst das ist dem Umweltrat noch zu wenig. Aus seiner Sicht sollten Umweltverbände in der Lage sein, alle umweltrelevanten Entscheidungen von Behörden überprüfen zu können. Und das ließe sich im deutschen Gesetz sogar auf eine einfache Weise verankern, meint Hans-Joachim Koch:

    Wenn man der Auffassung ist, dass die Verbandsklagen nichts Zweifelhaftes sind, dann gehören die Verbandsklagen natürlich auch in das zentrale Gesetz, in dem der Zugang zur Verwaltungsgerichtsbarkeit normiert ist, und das ist die Verwaltungsgerichtsordnung.

    Der rot-grünen Bundesregierung fehle jedoch der Mut, die Verbandsklage in einem Schritt auf das gesamte Umweltrecht auszudehnen. Sie will den Umweltverbänden nur das zugestehen, was sie ihnen nach europäischem Recht auch zugestehen muss.