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Die Neonazis unter uns

Während verurteilte Rechtsextreme unbehelligt weiter ihren menschenverachtenden Ideologien frönen, werden viele Projekte gegen Rechts nicht weiter vom Staat gefördert - eine schlechte Bilanz für die deutsche Politik.

Von Dorothea Jung, Susanne Lettenbauer und Thilo Schmidt |
    Geisenhausen, eine Gemeinde in Niederbayern. Seit zehn Monaten wohnt hier Martin Wiese, ein verurteilter Terrorist und bekennender Rechtsextremer. Ein Mädchen wartet am Straßenrand auf ihren Vater, der aus dem Kosovo stammt:

    "Wir haben jetzt schon Nachbarn, die auch rechtsradikal sind, ich finde das nicht ok. Aber bis jetzt habe ich von denen noch nicht gehört, dass sie was gegen Ausländer haben."

    Dem Vater gefällt es in dem 6400-Seelen-Dorf. Ihn stört der Neonazi als Nachbar nicht. Ihn stört auch nicht, dass die rechtsextremen Republikaner jedes Jahr ihren politischen Aschermittwoch am Ort abhalten.

    "Ich habe da keine Angst. Habe es nie gehabt."

    Die Marktgemeinde - 15 Kilometer südlich von Landshut - ist ein gemächlicher Ort. Am Ortseingang zwei Lebensmitteldiscounter, gegenüber der katholischen Backsteinkirche ein Bäcker, vor dem Rathaus ein Kriegerdenkmal. Nur wenige Einwohner wissen genaueres über Wiese:

    "Das wäre für mich schon ein rotes Tuch. Normal gehörte das wirklich verboten. Solange er uns in Ruhe lässt, ist mir das wurscht. Ich habe mit denen nichts am Hut. Mei, wenn man das jetzt verbietet, die ändern sich deswegen nicht."

    Der aus Mecklenburg-Vorpommern stammende Martin Wiese wurde wegen eines im Jahr 2003 geplanten Sprengstoffattentats auf das Jüdische Gemeindezentrum München festgenommen. Das Oberlandesgericht München verurteilte ihn als Rädelsführer einer terroristischen Vereinigung zu sieben Jahren Haft.

    Im August 2010 kam der ehemalige Wortführer der sogenannten Kameradschaft Süd frei und zog zunächst nach Landshut. Wie vom bayerischen Verfassungsschutz schon vor seiner Haftentlassung befürchtet, spielt der 35-Jährige wieder eine aktive Rolle in der rechten Szene. So versucht Wiese, die rechte Szene im Raum München unter einer neuen Dachorganisation namens "Nationale Soziale Bewegung", kurz NSB, zu vereinen. Und er trat mehrfach bei Veranstaltungen von Neonazis, unter anderem als Mitorganisator, in Erscheinung. In Landshut setzten sich viele Bürger gegen das offensive Auftreten von Wiese und seiner Gesinnungsgenossen zur Wehr. Doch dieses Engagement gefiel Sicherheitsbehörden und Verfassungsschutz nicht, wie ein Mitglied der Bürgerinitiative "Runder Tisch gegen Rechts" erzählt.

    "Aus deren Kreisen ist eher der Ratschlag: Ruhig halten, nicht provozieren. Sie als Sicherheitsbehörden haben es im Griff und können für unsere Sicherheit garantieren. Es ist für sie vielleicht die angenehmere und ruhigere Strategie, wenn sie da nicht auch noch mit zivilgesellschaftlichem Protest konfrontiert sind."

    Doch die Landshuter lassen sich nicht einlullen. Auf der Webseite der Stadtverwaltung wirbt eine Initiative "Landshuter Wirte gegen Rassismus" um Mitstreiter. 34 Lokale, von der Eckkneipe bis zum Biergarten, beteiligen sich mittlerweile an der Aktion. Mit Aufklebern und Plakaten mit der Aufschrift "Kein Raum für Rassismus" sollen unerwünschte Gäste in Zukunft ferngehalten werden. Am "Runden Tisch gegen Rechts" bleibt man derweil skeptisch. Immer wieder werden Mitglieder der Bürgerinitiative von der Polizei verhört. Fotografien, die Hakenkreuze und Nazi-Schmierereien in Landshut dokumentieren, werden der linken Szene zugeschrieben.

    "Grundsätzlich hat man eher den Eindruck, Nazis, die in geordneten Reihen durchs Dorf marschieren, die möchte man lieber ignorieren, um nicht sein Image zu gefährden. Und auch von staatlicher Seite ist da eher eine Toleranz zu beobachten, dass man diese Naziaufmärsche genehmigt, schützt und durchführen lässt. Während kritisches Engagement schnell in den Verdacht gerät kriminell zu sein oder die Situation nur zu verschlimmern. Das ist natürlich ein fatales Zeichen."

    Mittlerweile hat Wiese Landshut verlassen. Er lebt unbehelligt mit Freundin und neugeborenem Sohn in einer kleinen Wohnung in der Ortsmitte von Geisenhausen. Und arbeitet bei einer Speditionsfirma, der Inhaber ist ein Kroate. Vor kurzem erst gründete Wiese den Neonazi-Bund "Kameradschaft Geisenhausen". Zusammen mit anderen rechtsextremen Gruppierungen wie der sogenannten "Jagdstaffel Süd" in Oberbayern, baut er ein überregionales Netzwerk mit Namen "Freies Netz Süd" auf – das sich wohl als Konkurrenz zur NPD versteht. Erst im August drohte er öffentlich – Zitat – "Alle, die uns hier denunzieren, werden vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und standrechtlich erschossen". Mit dieser Äußerung beim sogenannten "Nationalen Frankentag" im unterfränkischen Roden-Ansbach wird der Neonazi in der örtlichen "Mainpost" zitiert. Die Staatsanwaltschaften ermitteln. Unter anderem soll Wiese gegen seine Haftentlassungsauflagen verstoßen haben. Ihm wurde für fünf Jahre der Kontakt zu Mitgliedern seiner ehemaligen terroristischen Vereinigung untersagt. Gegen diese Kontaktsperre hat er nachweislich mehrmals verstoßen – was bislang ohne Konsequenzen für ihn blieb.

    Vergangenen Samstagabend legte Martin Wiese am Geisenhausener Kriegerdenkmal unangekündigt einen Gedenkkranz nieder – eskortiert von sechs Gleichgesinnten: "Dem ehrenvoll gefallenen deutschen Soldaten zum Gedenken. Kameradschaft Geisenhausen" steht auf einem Band. Die Farben: Schwarz, Weiß, Rot. Weil verbotene NS-Zeichen fehlten, winkte die herbeigerufene Polizeistreife sofort ab: Kein Straftatbestand. Man habe diesen Kranz sofort entfernt, beteuert Bürgermeister Robert Maier, sonst wäre kein Platz für den Ehrenkranz der Gemeinde gewesen:

    "Das ist doch nichts Ehrenrühriges eigentlich, sondern….jeder kann einen Kranz niederlegen, das ist klar, aber nicht ungefragt natürlich. Das kann eine Provokation sein, aber so schaut es nicht aus."

    Der Bürgermeister ist ein vorsichtiger Mensch. Er möchte weder provozieren noch insistieren. Am Montag schrieb Maier seinem Neubürger einen freundlichen Brief. Der entfernte Kranz läge abholbereit im Gemeindebauhof. Wiese bedauerte dies ebenso freundlich per Email.

    "Man spitzt natürlich die Ohren, und wenn irgendwas Melderelevantes da ist, dann gebe ich es an die Polizei weiter. Und die geben es halt wieder zum Verfassungsschutz."

    In Geisenhausen wartet man einfach ab. Observiert wird Martin Wiese derzeit nicht, glaubt der Bürgermeister zu wissen. Er hofft einfach darauf, dass der Neonazi keine Schwierigkeiten macht.

    "Warten Sie’s doch ab! Wenn der erste Reporter umgelegt ist, der erste Richter umgelegt ist, dann wissen Sie: Es geht los. Reporter, Richter, Polizisten, Sie!"

    Es klingt wie ein böses Orakel, was Jürgen Rieger, der 2009 verstorbene Neonazi, Holocaust-Leugner und NPD-Funktionär einem Reporter des NDR vor Jahren ins Mikrofon sagte. Auch wenn unter den Opfern der Zwickauer Neonazi-Gruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) keine Journalisten und Richter waren, sondern Kleinunternehmer türkischer und griechischer Herkunft sowie eine junge Polizistin. In rechtsextremen Internetforen werden die Morde dennoch gefeiert, auch wenn Richter und Staatsanwälte in den Augen der sich hier äußernden Neonazis lohnendere Ziele wären.

    Der bayerische NPD-Funktionär Rainer Biller veröffentlichte einen Ausschnitt aus dem Bekennervideo der Zwickauer Terrorzelle in seinem Facebook-Auftritt. Darauf zu sehen: Die Comicfigur Paulchen Panther neben einem Schriftzug: "Deutschlandtour. 9. Türke erschossen". Die NPD schloss Biller daraufhin postwendend aus – denn es geht auch um ihre Existenz und ein drohendes Verbotsverfahren. Der Berliner Theologe Benjamin Schöler beobachtet die rechtsextreme Szene und ihre volksverhetzenden Aktivitäten im Internet seit Jahren. Einige Verurteilungen gehen auf seine Strafanzeigen zurück. Auch die Reaktionen auf die Enttarnung der Zwickauer Terrorzelle hat er beobachtet.

    "Was bedeutet es für die rechte Szene in der Außenwahrnehmung, was denkt jetzt die Öffentlichkeit natürlich. Das sehen viele Nazis kritisch, weil sie versucht haben, als Biedermänner sich zu präsentieren. Auf der anderen Seite gibt es aber auch jene, die sagen: Das ist genau das richtige Zeichen, das hat’s gebraucht, es gibt viele, die unter der Hand, oder so halb unter der Hand, diese Mordtaten feiern oder verherrlichen."

    Die drei Rechtsterroristen aus Zwickau werden dem "Thüringer Heimatschutz" zugerechnet. Ein ehemaliger Kader dieser rechtsextremen Organisation, der unerkannt bleiben will:

    "Damals war mir klar: Die drei kommen nicht wieder aus dem Untergrund zurück. Hätte ich damals gewusst, welchen Weg sie einschlagen, hätte ich mich nicht daran beteiligt. Aber jeder in der Bewegung sucht sich seinen Platz und geht seinen eigenen Weg, und mit dem Weg, den die drei eingeschlagen haben, habe ich kein Problem. Widerstand ist legitim."

    In der rechten Szene scheut man scheinbar nichts. An Geschmacklosigkeit nicht zu überbieten, ist ein musikalisches Stück mit Titel "Döner-Killer", das seit dem vergangenen Jahr kursiert.

    "Bei allen Kebaps herrscht Angst und Schrecken / der Döner bleibt im Halse stecken / denn er kommt gerne spontan zu Besuch / am Dönerstand, denn neun sind nicht genug…"

    "…na, ne rechtsextreme Musikgruppe, Gigi und die braunen Stadtmusikanten, hat in einem Album 'Adolf Hitler lebt' letztes Jahr die Mörder gefeiert, als Döner-Killer, das ist ganz offene Volksverhetzung. Und das ist den meisten Staatsanwälten keine Anklage wert gewesen, und fast alle, die diese Musik gehandelt haben, aber auch der Produzent bisher, haben sich da aus der Affäre ziehen können."

    20 Händler aus der rechtsextremen Musikszene, die dieses Stück in Online-Shops vertreiben, hat Schöler angezeigt. Nur in zwei Fällen kam es überhaupt zur Anklage.

    "Tja, also da hat es den Ermittlungsbehörden offensichtlich erstens an Phantasie gefehlt und zweitens auch am Problembewusstsein. Das ist ein Skandal, der sprachlos macht. Und betroffen."

    David Petereit, Landtagsabgeordneter der NPD in Mecklenburg-Vorpommern, vertreibt ebenfalls rechte Szenemusik über einen Online-Shop. Und bietet eine CD der gleichen Gruppe an. Darauf unter anderem ein Stück mit dem Titel "Kanacken zerhacken".

    Auch in rechtsextremen Internetforen wird die Mordserie der Zwickauer Terrorzelle diskutiert. Im "Altermedia"-Forum schreibt ein Benutzer unter dem Decknamen "Schwabe" dieser Tage:

    Auch wenn völlig klar ist, dass für eine militante NS-Widerstandgruppe irgendwelche unwichtigen Kleindöners keinerlei "Zielgruppe" wären, das Ganze also von hinten bis vorne absoluter Blödsinn ist, ändert es nichts an der Tatsache, dass auch "harmlose" Kleindöners Zivilokkupanten sind, welche die BRD als Einwanderungsland nutzen, um sich zu bereichern und nicht mehr in ihre Heimat zurückzukehren. Von daher konnte ich mich damals anlässlich der "Mafia-Dönermordserie" einer "klammheimlichen Freude" nicht erwehren…

    Aber es muss gar nicht klammheimlich sein. Jeder Neonazi kann – so zynisch es klingt - seine Freude über die Morde öffentlich zur Schau stellen – mit Hilfe eines eigens entworfenen T-Shirts des rechten Berliner Textilienhandels "Reconquista. Aufschrift: "Killer-Döner. Nach Thüringer Art". Dazu zwei gekreuzte Dönerspieße, in der Mitte ein Totenkopf. Der Preis: 18 Euro 95. Die Terrorakte werden gefeiert. Oder verleugnet: mit kruden Verschwörungstheorien. Mal sollen, so wird in rechten Foren konstruiert, die drei Terroristen – Zitat - "aus dem Ruder gelaufene Verfassungsschutz-Agenten" sein, mal soll der ganze Terrorakt eine "Inszenierung der Verfassungsschutzbehörden" sein. Aber auch in diesen Kommentaren werden die Morde gebilligt. User "WolliGL" im rechtsextremen "Thiazi-Forum":

    "Es sind einige Ungereimtheiten, die mich daran zweifeln lassen, dass die Zwickauer Zelle diese Taten beging… Muss ich durch das ganze Land reisen, um ein paar Dönerladenbesitzer ihrer Bestimmung zuzuführen?"

    Was in kaum einer Diskussion in rechtsextremen Foren fehlt, ist die Verdrehung der Fakten. So sei die eigentliche Gefahr jene Gewalt, die von Linken und Ausländern ausgehe. "Thiazi-Forum", Pseudonym "Heimatdeutscher":

    "WIR DEUTSCHEN werden von KILLER-AUSLÄNDERN terrorisiert, verprügelt, abgestochen, getötet; tagtäglich, und das schon in jahrzehntelanger kulturbereichernder Tradition, DAS IST DIE WAHRHEIT! Das ist die Wahrheit, die die Medienhuren interessieren sollte! Und nicht, wenn alle zehn Jahre einmal ein vermeintlicher "Nazi" einen Ausländer umbringt…"

    Der Versuch der Neonazis, Ausländer und Linke zu kriminalisieren, findet längst auch in sozialen Netzwerken und harmlos klingenden Internetseiten wie "politikforen.net" statt. Mit Erfolg: Immer wieder werden Rechtsextremismus und Linksextremismus in einem Atemzug genannt.

    "Rechtsextrem motivierte, rassistisch, xenophob, antisemitisch motivierte Gewalttaten passieren in unserem Land jeden Tag. Und das kann man für Delikte, die linksextrem – was auch immer das dann im einzelnen heißen soll – motiviert sind, eben nicht sagen. Linksextremisten zünden Autos an. Rechtsextremisten bringen in diesem Land Menschen um!"

    Rückblick: Im Jahr 2000 rief die damalige rot-grüne Bundesregierung zum "Aufstand der Anständigen" auf. Das war die Geburtsstunde der sogenannten "Bundesprogramme gegen Rechts". Dahinter verbarg sich die Einsicht, dass rechtsextreme Gewalt nicht ausschließlich mit Polizei und Verfassungsschutz zu bekämpfen ist. In den Folgejahren entstanden - hauptsächlich mit Geldern des Bundesfamilienministeriums - zivilgesellschaftliche Projekte: Opferberatungsstellen und Vereine, die die Bürger vor Ort beim Kampf gegen Rechtsextremismus unterstützten. Unter der Verantwortung von Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen änderte sich die Förderpraxis: Nicht mehr die zivilgesellschaftlichen Initiativen waren federführend beim Kampf gegen den Rechtsextremismus, sondern die Kommunen. Die Gemeinden hatten sogenannte "lokale Aktionspläne" zu entwickeln und dafür beim Bund Gelder zu beantragen. Nach deren Bewilligung konnten sie die Geldmittel dann an Vereine und Initiativen vor Ort verteilen. Bianca Klose, die in Berlin eine "Mobile Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus" leitet, kritisiert diesen Ansatz.

    "Da liegt der Fehler in der Aufstellung des Bundesprogramms, dass viele Kommunen das Problem des Rechtsextremismus nicht deutlich benennen wollen, weil sie Angst haben, als Nazi-Kommunen dazustehen und deshalb auch keine lokalen Aktionspläne beantragen."

    Deswegen würden entweder Fördermittel aus dem Topf des Bundesfamilienministeriums gar nicht abgerufen oder nur an Projekte vergeben, die den jeweiligen Gemeindeverwaltungen vor Ort nahestehen, erklärt Annetta Kahane von der Amadeu-Antonio-Stiftung, die sich ebenfalls gegen Rechtsextremismus engagiert.

    "So dass eine Kommune, die sich ohnehin schwer tut, Rechtsextremismus als 'ne Gefahr und ein Problem wahrzunehmen, mitunter dann Geld bekommt und eben genau die Leute nicht fördert, die gegenüber Rechtsextremismus 'ne kritische Einstellung haben und verlangen, dass man da was gegen tut."

    Auf diese Weise wird nach Auffassung von Annetta Kahane ein gesellschaftliches Klima begünstigt, das eher ein Schönreden und Leisetreten unterstützt als den – auch von Bundespräsident Christian Wulff angemahnten - "Aufstand der Anständigen". Mit Folgen für die Betroffenen.

    "Zum Beispiel ein junger Mann wird von Nazis zusammengeschlagen, geht zur Polizei, versucht 'ne Anzeige loszuwerden, und man sagt ihm da, na ja, warum haste denn auch 'ne blau gefärbte Strähne im Haar, das ist doch deine eigene Schuld, bist du denn sicher, dass das Nazis waren, das Problem ist erfunden und so weiter."

    Ursula von der Leyens Amts-Nachfolgerin Kristina Schröder hielt jedoch am Konzept der lokalen Aktionspläne fest. Und die Ministerin erweiterte deren inhaltliche Zielrichtung: Jetzt fließen die Gelder auch in die Bekämpfung von Links-Extremismus und Islamismus. Gleich in ihrer ersten Bundestagsrede Anfang 2010 verteidigte Schröder diesen Ansatz gegen die Kritik der Opposition:

    "Dabei ist es doch eigentlich eine Selbstverständlichkeit, dass wir gegen alle Feinde unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung vorgehen. Gegen Rechtsextremisten, gegen Linksextremisten, gegen Antisemiten und gegen Islamisten. Es gibt keine guten Extremisten."

    Feinde der freiheitlich-demokratischen Grundordnung befürchtete die CDU-Ministerin auch in den Reihen der Bürger, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren und dafür finanzielle Mittel aus den Bundesprogrammen erhalten. Weshalb Kristina Schröder seit Anfang dieses Jahres von allen Projekten ein Bekenntnis zum Grundgesetz verlangt.

    "Die von Frau Schröder ins Leben gerufene Extremismusklausel sieht vor, dass wir uns verpflichten gegenüber der freiheitlich demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland. Das ist nicht das Problem für die geförderten Projekte; sondern als besonders antidemokratisch nehmen wir es wahr, dass wir auch unsere Partner, unsere Referenten auf ihre Verfassungstreue hin überprüfen sollen, anders formuliert: durchleuchten sollen."

    Bianca Klose und ihr Beratungsteam haben die Extremismusklausel nicht unterzeichnet. Daraufhin wurden dem Projekt die Bundesfördergelder gestrichen. Aber das Land Berlin sprang ein und sicherte die Finanzierung. Andere Projekte, die eine Unterschrift verweigerten, mussten ihre Arbeit jedoch einstellen. Eine sächsische Initiative hat inzwischen Klage gegen die Klausel eingereicht. Ulrich Battis, der an der Berliner Humboldt-Universität Staats- und Verwaltungsrecht lehrte, hält die sogenannte Extremismusklausel für unverhältnismäßig. Dem ZDF erklärte der emeritierte Rechtsprofessor:

    "Es ist fast eine Aufforderung zu Spitzel-Tätigkeit. Und vor allen Dingen sind die Anforderungen, die an die Geldempfänger gestellt sind, so, dass damit eine Bekämpfung des Rechtsradikalismus eher behindert als befördert wird."

    Nach Auffassung von Beratungsstellen, Initiativen und Bürgergruppen sind neue Ideen für eine stetige und verlässliche Finanzierung der Projekte dringend nötig. Bianca Klose von der "Mobilen Beratungsstelle" in Berlin verlangt einen Dialog auf Augenhöhe über die Zukunft der Projekte gegen Rechtsextremismus.

    "Für uns ist es unerträglich, dass der Staat die rechtsextreme Szene finanziell unterstützt, indem er V-Leuten für sehr problematische Informationen sehr viel Geld gibt, und auf der anderen Seite Projekte, die sich gegen Rechtsextremismus und für Demokratie engagieren, nicht mehr wissen, wie sie sich weiter finanzieren - das muss aufhören."