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Die neue Macht der Opposition

Verursacht durch die Abwahl von Schwarz-Gelb in Nordrhein-Westfalen, verlieren Union und FDP bald die Mehrheit im Bundesrat. Um in dieser Situation umstrittene politische Reformen realisieren zu können, werden die Regierungsparteien wohl mit Tricks arbeiten müssen.

Von Korbinian Frenzel | 08.07.2010
    Morgen wird sie zum letzten Mal läuten, die Glocke im Bundesrat. Zum letzten Mal vor der Sommerpause. Alljährliche Routine – und doch: so, wie sich die Runde morgen in den Urlaub verabschieden wird, so wird sie nicht wieder zusammen kommen. Denn einer wird fehlen: Jürgen Rüttgers, CDU, der geschäftsführende Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Und ohne ihn wird auch etwas anderes fehlen: die schwarz-gelbe Mehrheit im Bundesrat, auf die sich Bundeskanzlerin Angela Merkel bisher verlassen konnte.

    "Schwarz-Gelb ist abgewählt. Und eine Botschaft geht von Nordrhein-Westfalen raus ins ganze Land: die SPD ist zurück."

    Der 9. Mai – ein Jubeltag für die SPD und ihre NRW-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft. Und die Frau, die sich zunächst nicht traut, aus dem halben Sieg einen ganzen zu machen, wird schließlich auch mit einem bundespolitischen Argument überzeugt, den Weg in Richtung rot-grüner Minderheits-Regierung in Düsseldorf einzuschlagen: Nur dann nämlich, wenn sich Hannelore Kraft zur Ministerpräsidentin wählen lässt, ist auch die schwarz-gelbe Mehrheit im Bundesrat gebrochen. Für die SPD im Bund ein wichtiger Schritt, sagt Heribert Prantl, der stellvertretende Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung:

    "Das war ein ganz wichtiger Punkt, um wieder allmählich etwas zu kriegen, was man Macht nennen kann. Der Bundesrat ist ein Machtinstrument; das weiß man seit den großen Zeiten von Lafontaine als SPD-Vorsitzenden, als er via Bundesrat die Regierung Kohl schier in den Wahnsinn trieb – durch Total-Blockade."

    Damit ist die SPD zurück im Spiel – was aber bedeutet das für die zentralen Pläne der Regierung von Angela Merkel und Guido Westerwelle? Müssen sie bei wichtigen Projekten von nun an auf die Sozialdemokraten oder auch die Grünen zugehen, etwa beim Sparpaket oder in der Gesundheitspolitik? Oder droht ihnen gar eine Total-Blockade aus der Länderkammer?

    Die jüngste Debatte über die Atompolitik lässt bereits ahnen, welche Konflikte in Zukunft anstehen könnten. Die Fronten sind klar: Die Koalition will längere Laufzeiten für die deutschen Kernkraftwerke, die Opposition will das auf gar keinen Fall. Regierung und Opposition streiten daher erst einmal um eine formelle Frage – die Frage nämlich, ob die Länder einer Verlängerung der Laufzeiten überhaupt zustimmen müssen. Nein, sagt die Union. Kanzleramtsminister Ronald Pofalla ist sich sicher: Der Ausstieg aus dem Atomausstieg ist nicht zustimmungspflichtig. Eine Einschätzung, die SPD-Chef Sigmar Gabriel naturgemäß nicht teilt. Eine Warnung an die Adresse der Regierung:

    "Wenn sie trickst, wenn sie versucht, mit Umgehungstatbeständen - wie normalerweise in Bananenrepubliken regiert wird - Deutschland zu regieren, dann werden wir Klage erheben, natürlich – ich gehe davon aus – gemeinsam mit den Grünen wegen der Verletzung der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland."

    Doch ob Bananen- oder Bundesrepublik: Wie wichtig Politikern die Rolle der Länder bei der Gesetzgebung des Bundes ist, hängt stark davon ab, in welcher Position sie sich selbst gerade befinden. Bundeskanzler Gerhard Schröder sah es im Jahr 2000 – in der Vorbereitung des rot-grünen Atomausstieges so:

    "Erstens werden wir – wenn wir ein Ausstiegsgesetz machen müssen ohne Konsens mit der Wirtschaft – es so formulieren, dass man den Bundesrat nicht braucht. Das geht, die Union hat das übrigens gelegentlich auch schon getan."

    Und sie will es offenbar wieder tun. Beim Atomausstieg, der ja – so die Argumentation aus den Reihen der Bundesregierung - auch damals, also unter Rot-Grün, ohne die Zustimmung der Länder durchgesetzt wurde. Kann Schwarz-Gelb also ohne Zustimmung des Bundesrates die Laufzeiten verlängern? Ist eine Blockade dieser Entscheidung – von Rot und Grün im Landtagswahlkampf NRW versprochen – gar nicht möglich? Harald Georgii, Föderalismusexperte beim Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages, ist dieser Frage nachgegangen:

    "Geht es nur darum, die Laufzeiten zu verlängern, dann ist da wahrscheinlich keine Zustimmung erforderlich. Allerdings, das hat die Koalition von Anfang an immer betont, soll mit der Verlängerung der Laufzeiten auch ein höheres Maß an Sicherheit einhergehen. Sicherheit bedeutet Kontrollen, Sicherheit bedeutet neue Auflagen, Überprüfungen. Die Länder müssen das Ganze ja konkret ausführen. Und wenn neue Aufgaben den Ländern übertragen werden, dann braucht man die Zustimmung des Bundesrates."

    Wenn die Atomkraftwerke nur wenige Jahre zusätzlich am Netz bleiben sollen, die Verlängerung also moderat ausfalle, dann könnten die Länder umgangen werden, zu diesem Ergebnis kommt auch ein internes Gutachten, das die Bundesregierung in Auftrag gegeben hat. Ein Vorgehen, das aber – so die warnenden Worte der Juristen – mit einem nicht unerheblichen verfassungsrechtlichen Risiko verbunden sei. Der Ausstieg aus dem Ausstieg – er wird wohl letztlich vor dem Bundesverfassungsgericht landen.

    Es wäre nicht das erste Mal: Schon häufiger mussten die Richter in Karlsruhe eingreifen, wenn Bundestag und Bundesrat sich nicht einigen konnten, wie weit er reichen soll: der deutsche Föderalismus.

    "Artikel 50 des Grundgesetzes: "Durch den Bundesrat wirken die Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes und in Angelegenheiten der Europäischen Union mit."

    Ein knapper Satz in der Verfassung, doch einer mit weitreichenden Folgen. Die Länder regieren mit, wenn der Bund Politik machen will. Aus Sicht von Harald Georgii eine grundsätzlich vernünftige Idee:

    "Der Bundesrat ist schon eine tolle Einrichtung. Um es mal ganz pauschal auszudrücken: der Bund macht die meisten Gesetze und die Länder machen die Verwaltung komplett – bis auf wenige Ausnahmen. Wenn man jetzt in der Zentrale in Berlin sitzt und Gesetze schreibt, ist man schon sehr weit weg von der praktischen Umsetzung der Gesetze."

    Wenn also die Länder gleich mitmachen bei der Gesetzgebung, so die föderale Idee, können die Regelungen eigentlich nur besser werden. Politik so bürgernah wie möglich zu machen, das ist der hehre föderale Anspruch. Für die Wirklichkeit der täglichen Gesetzgebungsarbeit bedeutet das viel Abstimmungsbedarf – und im Zweifel Streit. Besonders um die so genannten Zustimmungsgesetze, jene also, die auf jeden Fall von einer Mehrheit der Länder im Bundesrat bejaht werden müssen, um in Kraft zu treten. Und das sind nicht allzu wenige: mehr als die Hälfte der Bundesgesetze brauchte seit der Wahl im vergangenen September das Plazet des Bundesrates – trotz groß angelegter Föderalismus-Reform. Und es sind häufig Politikfelder mit Substanz. Harald Georgii:

    "Bei allen Steuergesetzen wird es schwierig, den Bundesrat draußen zu halten. Nach Artikel 105 Grundgesetz müssen einfach bei allen Gemeinschaftssteuern – und das ist die ganz überwiegende Zahl der Steuern, also wenn Teile des Steueraufkommens den Länder zufließen, dann muss der Bundesrat immer dabei sein. Da gibt's auch keine Möglichkeit, das zu umgehen. Keine Chance."

    Wenn sie sich nicht selbst davon verabschiedet hätte: die große Steuerentlastung, die sich die schwarz-gelbe Regierung auf die Fahnen geschrieben hatte, sie würde wohl kaum durch den Bundesrat kommen. Eine Erkenntnis, die sicher auch Auswirkungen auf künftige Pläne haben wird.

    Denn es sind gerade die Steuerreformen, die wie kaum andere durch den Bundesrat zu Fall gebracht werden können. So geschehen in der Endphase der letzten schwarz-gelben Koalition unter Helmut Kohl. Der Bundesrat ist Mitte der 90er-Jahre eine sozialdemokratische Nein-Sage-Maschine.

    Bei der feierlichen ersten konstituierenden Sitzung des Bundesrates am 7. September 1949 mag wohl kaum einer ahnen, wie sehr das Verfassungsorgan später einmal in die Kritik geraten wird – als Bremse der deutschen Politik. Ein Phänomen, das die Bundesrepublik gut 20 Jahre nach ihrer Gründung zum ersten Mal richtig ereilt. Rückblende in die 70er-Jahre – der Deutschlandfunk debattiert:

    "Es sieht auf den ersten Blick aus wie die Ankündigung eines Fußballspieles: Bundesrat gegen Bundestag."

    Die CDU-Opposition im Bundestag erkennt damals das Potenzial des Bundesrates, die Politik der sozialliberalen Koalition zu blockieren. Eine Blaupause für alle künftigen Minderheiten im Bundestag, die es mithilfe gewonnener Landtagswahlen zu einer Mehrheit der Stimmen im Bundesrat bringen. Und das geschieht nicht selten in der jüngeren Geschichte: Nach Helmut Schmidt müssen auch die Kanzler Kohl und Schröder früher oder später mit einem Bundesrat anderer Couleur zurechtkommen. Keine guten Zeiten für den deutschen Föderalismus. Denn dadurch, so sagt es der Journalist Heribert Prantl,

    "... hat der Bundesrat den Ruf des Bundessündenbocks gekriegt, also der Blockademaschinerie, dem Politikzerstörer, dem Reformverhinderer, dem destruktiven Bundesorgan. Das hat sich entwickelt vor etwa 20, 25 Jahren, hat dann intolerable Höhepunkte genommen. Und diese Entwicklung hat sich wieder ein bisschen abgeflacht. Ich denke, dass alle Parteien wissen, dass ich den Bundesrat mit der Blockadepolitik kaputt mache."

    Eine Erkenntnis, die beim Streit um das rot-grüne Zuwanderungsgesetz offenbar keine Beachtung fand. 22. März 2002 – Rückblende auf eine umstrittene Abstimmung:

    Wowereit: "Brandenburg?"
    "Ja" (Landwirtschaftsminister, SPD) – "Nein" (Innenminister Schönbohm, CDU)

    Wowereit:" Damit stelle ich fest, dass das Land Brandenburg nicht einheitlich abgestimmt hat."

    Eine große Koalition, zwei Antworten aus den Reihen der Brandenburger. Der amtierende Bundesratspräsident Klaus Wowereit, SPD, fragt nach:

    "Damit stelle ich fest, dass das Land Brandenburg zustimmt."

    Hessens Ministerpräsident Roland Koch schlägt auf das Pult, die Union läuft Sturm. Mit einer Enthaltung der großen Koalition in Brandenburg wäre das umstrittene Zuwanderungsgesetz gestoppt worden – so aber passiert es den Bundesrat. Zunächst. Denn schon bald verliert das Gesetz seine Gültigkeit. Es sei unrechtmäßig zustande gekommen, urteilt das Bundesverfassungsgericht nur wenige Monate später. Damals stellt das Gericht nochmals klar: Die Länder können ihre Stimmen im Bundesrat nur einheitlich abgeben. Und wenn es keine Einigung innerhalb einer Landeskoalition gibt, gilt in allen Bündnissen die sogenannte "Bundesrats-Klausel", dann nämlich wird sich enthalten.

    Für die Kanzlerin und ihre Regierung ist genau das wieder das Problem. Ministerpräsidenten mit CDU-Parteibuch gäbe es eigentlich genug. Doch ob Saarlands Peter Müller, Hamburgs Ole von Beust oder auch Thüringens Christine Lieberknecht – sie alle haben Regierungspartner an Bord, die sich kaum für schwarz-gelbe Politik in Reinkultur erwärmen dürften: Grüne und SPD. Die Konsequenz: Enthaltung im Bundesrat. Und Enthaltungen wirken wie Neinstimmen.

    Vielleicht wird Angela Merkel nun an mancher Stelle das gelingen, was Gerhard Schröder in seinen besseren Zeiten vollbrachte: einzelne Länder mit Gegenleistungen für ein Ja aus der Front der Opposition herauszubrechen. So geschehen bei der Unternehmenssteuerreform 2000.

    "Die oppositionelle CDU/CSU wollte das über den Bundesrat blockieren und der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder hat dann den Regierenden Bürgermeister Diepgen davon überzeugen können, dass es für Berlin doch vielleicht von Vorteil ist, wenn es dem Gesetz zustimmt. Und dann hat der Bund das Olympiastadion finanziert."

    Doch von solchen Versuchen einmal abgesehen, mit der Neuordnung im Bundesrat dürfte wieder einmal die Stunde des Vermittlungsausschusses gekommen sein. Dort landen die Gesetze, die umstritten sind. 16 Vertreter des Bundesrates und ebenso viele aus dem Bundestag verhandeln so lange, bis es einen Konsens gibt. Wenn es denn den Willen auf allen Seiten gibt, einen zu finden. Doch eine Rückkehr zur Blockade-Politik hält Heribert Prantl angesichts der nordrhein-westfälischen Verhältnisse für unwahrscheinlich.

    "Diese Regierung in Nordrhein-Westfalen ist eine Minderheits-Regierung. Die ist sozusagen im laufenden Geschäft angewiesen auf ein gewisses Wohlwollen oder Entgegenkommen der Opposition. Und das ist das besondere an der Minderheits-Regierung und warum ich ihr gar nicht so abgeneigt bin: es zwingt die Regierenden zu konsensualem Verhalten."

    Übung darin dürfte Angela Merkel auch noch aus ihrer Zeit als Oppositionschefin haben, etwa aus den Verhandlungen um die Agenda 2010, die Arbeitsmarktreform der Regierung Schröder, die damals schon lange weit von einer eigenen Mehrheit in der Länderkammer entfernt war. Und die Union wusste ihre Macht zu nutzen: Während die SPD-Basis am Hartz-Kurs ihrer eigenen Spitze leidet und ihr zumindest kleine soziale Korrekturen bei den Zumutbarkeitsregeln abringen kann, nutzt die Union den Bundesrat, um genau diese wieder zurückzufordern. Föderalismus-Experte Harald Georgii:

    "Wahrscheinlich hätte Rot-Grün mit den Hartz-IV-Gesetzen erheblich weniger Probleme gehabt, wenn damals der Bundesrat nicht zu diesen Veränderungen beigetragen hätte."

    Merkel und die Ministerpräsidenten haben mitregiert, doch der Zorn über die Arbeitsmarktreformen entlud sich vor allem über der SPD. Der Ausgang der Geschichte ist bekannt. NRW-Wahldesaster, Neuwahlen, das Ende von Rot-Grün. Und alle Beteiligten ahnen: unabhängig von der aktuellen Konstellation ist die deutsche Politik zwischen Bund und Ländern so verflochten, dass die Bürger kaum noch wissen, wer was zu verantworten hat. Hinzukommt: Den jeweiligen Regierungen kann das Regieren enorm schwer gemacht werden. Denn beinahe 60 Prozent aller Bundesgesetze müssen von den Ländern abgesegnet werden. Ein enormes Blockadepotenzial.

    "Ich habe heute den 15. Deutschen Bundestag aufgelöst und Neuwahlen für den 18. September angesetzt. Unser Land steht vor gewaltigen Aufgaben."

    Es ist offenbar auch der Zustand des deutschen Staatswesens, der Bundespräsident Horst Köhler dazu bewegt, den umstrittenen Weg zu den vorgezogenen Bundestagswahlen 2005 frei zu machen.

    "Die Haushalte des Bundes sind in einer nie da gewesenen kritischen Lage. Die föderale Ordnung ist überholt."

    Blockadepotenzial reduzieren, mehr Raum schaffen für den Bund, aber auch für die Länder, in Eigenregie zu entscheiden – das sind die Wünsche, die zu jener Zeit parteiübergreifend immer lauter werden. Kurzum: eine Reform des schwerfällig agierenden deutschen Föderalismus. Als "Mutter aller Reformen" wird sie vom damaligen Ministerpräsidenten Bayerns, Edmund Stoiber, bezeichnet. Gemeinsam mit Franz Müntefering von der SPD bekommt er den Auftrag von Bund und Ländern, genau diese in Angriff zu nehmen. Der Versuch gelingt im zweiten Anlauf 2006 – ein Jahr nach dem Start der großen Koalition unter Angela Merkel. Die Bundeskanzlerin umreißt 2006, was mit der Neuordnung gelungen sein soll:

    "Die verflochtenen Verantwortlichkeiten neu zu ordnen, Freiheit zu schaffen für eigenverantwortliches Handeln, aber auch bundesstaatliche Kompetenzen zu schaffen, wo dies in einer veränderten Welt notwendig ist."

    Die Reform ist ein Tauschgeschäft. Kompetenz gegen Kompetenz. Die Bürger merken das vor allem an den Ladenöffnungszeiten, die seitdem von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich sind. Denn wie lange Geschäfte offen haben, ist jetzt alleinige Landeskompetenz. Genauso wie die Festlegung der Höhe der Gehälter von Lehrern oder anderen Landesbeamten. Im Gegenzug verzichten die Ministerpräsidenten auf einige Mitbestimmungsmöglichkeiten, wenn der Bund Gesetze macht. 60 Prozent der Gesetze sind vor der Reform zustimmungspflichtig - nach der Reform sollen es 35 bis 40 Prozent sein. Doch die Ergebnisse bleiben hinter den Erwartungen zurück.

    "Die Föderalismus-Reform hat ihr Ziel verfehlt, dem Bundestag mehr Spielraum zu geben. Die Macht der Länder im Bundesrat ist eigentlich ziemlich ungebrochen. Der deutlich geringere Anteil an Zustimmungsgesetzen war das Hauptziel der Föderalismus-Reform, die die größte Verfassungsreform war in der Geschichte der Bundesrepublik. Aber es hat nicht geklappt. Die ersten Analysen zeigen, die Zahl der zustimmungspflichtigen Gesetze im Bundesrat ist in den letzten zwei, drei Jahren eigentlich nicht entscheidend zurückgegangen."

    Stellt sich Deutschland also genau so unbeweglich dar wie vor der Reform? Nein, sagt Harald Georgii. Denn der Stresstest für die Föderalismus-Reform steht aus Sicht des Experten vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages noch aus.

    "Die Föderalismus-Reform 2006 muss sich ab jetzt beziehungsweise ab der Bildung einer Koalition in Nordrhein-Westfalen bewähren. Was bisher gelaufen ist, ist für die Bewertung der Reform noch relativ uninteressant."

    Denn bisher gab es keine wirkliche Blockadesituation. Weder für die große Koalition, noch für Schwarz-Gelb. Beide Koalitionen mussten die Opposition im Bundestag nicht als Mehrheitsführer im Bundesrat fürchten. Das aber wird sich mit der neuen Landesregierung in Nordrhein-Westfalen ändern.

    "Man muss sich einfach die Gesetze genau angucken und sich die Bestimmungen rauspicken, die zustimmungsfrei sind, die in ein Gesetz packen. Und die anderen Bestimmungen, die zustimmungsbedürftig sind, in ein anderes Gesetz packen."

    Und offenbar ist das genau der Weg, den die Regierung einschlagen will. Beim 80-Milliarden-Sparpaket soll es eine Aufteilung geben – in ein Paket, das ohne ein Ja der Länder passieren kann. Und ein anderes, das zum Beispiel die Streichung des Heizkostenzuschusses für Hartz-IV-Empfänger enthält – und von den Ländern genehmigt werden muss. Doch ob eine Aufsplittung in anderen Kernbereichen der Politik überhaupt möglich ist, gilt ohnehin als zweifelhaft. Etwa bei der Gesundheitspolitik. Zu stark sind die Länder beispielsweise in die Verwaltung vieler Krankenkassen verwickelt, so dass aus Sicht der SPD selbst ein höherer Zusatzbeitrag einer Zustimmung des Bundesrates bedürfte. Ganz zu schweigen von einer Situation, in der Steuergelder zum sozialen Ausgleich herangezogen werden sollten. Wenn sie wollen, können die Sozialdemokraten also über den Bundesrat bald wieder die Bremse ziehen. Für Heribert Prantl wäre das nicht das schlimmste Szenario:

    "Nun ja, jetzt könnte man negativ sagen: Es ist bisher wenig passiert mit dieser Bundesregierung, es wird künftig gar nichts passieren. Ich würde es gern positiver sehen wollen. Wir werden ein kleines Stück große Koalition erleben. Und diese Bundesregierung, wie sie sich bisher dargestellt hat, kann ein wenig großkoalitionäre Hilfe durchaus vertragen. Ich glaube im Gegensatz zur landläufigen Meinung, dass sich die Qualität der Regierungsarbeit und der Gesetzgebung unter der neuen Konstellation eher verbessern könnte."