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Die neuen Leiden der Mittvierziger

Das Gewinner-Hörspiel "Der Kauf" von Paul Plamper sei fast ein Porträt der heute Mitte 40-Jährigen. Es geht um Wohnungskauf, Immobilienspekulation und den Verrat von alten Werten. Die Dialoge sind durchweg improvisiert und wirken darum besonders authentisch.

Jochen Hieber im Gespräch mit Beatrix Novy |
    Beatrix Novy: Die ARD-Hörspieltage sind gerade in Karlsruhe zu Ende gegangen. Dort, im Zentrum für Kunst und Medientechnologie, begingen heute Scharen von Kindern den Tag des Kinderhörspiels und bewiesen mit ihrem Zulauf die Anziehungskraft dieses Gottlob nicht totzukriegenden Genres. Gestern Abend wurde auch der Hörspielpreis der ARD verliehen, ein anderer Höhepunkt der ganzen Veranstaltung, die jetzt zum zehnten Mal in Karlsruhe stattgefunden hat. Karlsruhe ist damit sozusagen Hörspielhauptstadt, sagte Jochen Hieber, Mitglied der fünfköpfigen Jury, den ich vor der Sendung zum Hörspielpreis befragt habe. Aber er erklärte in diesem Jahr auch die Stadt Köln dazu. Warum?

    Jochen Hieber: Weil das Hörspiel, das aus dem großen Hörspielpreis der ARD als Sieger hervorging, in Köln spielt. Das Stück heißt "Der Kauf" und ist von dem jungen Hörspielmacher Paul Plamper, eine Produktion auch des WDR, und es geht sehr effektvoll und situationskomisch um den Verrat von ökologischer Utopie an ökonomische Interessen. Zwei Ehepaare streiten sich um eine Wohnung, die einst gebaut und errichtet wurde als bezahlbares Wohnen. Nun ist sie in einer ehemaligen Brache im Wert gestiegen und wird zum Spekulationsobjekt. Das eine Paar möchte die Wohnung kaufen, das andere will verkaufen und dann doch nicht recht, und was sich daraus entspannt, ist fast so etwas wie das Porträt einer Generation der heute so Mitt-40-Jährigen, die eigentlich immer nur das Gute wollten und jetzt vor der Situation stehen, dass sie das Böse, das ökonomisch Gierige geschafft haben.

    Novy: Das ganze kombiniert mit den Themen Wohnungsknappheit und Immobilien-Boom. Gab es auch formal künstlerische Argumente?

    Hieber: Das ist fabelhaft gemacht. Es ist so, als würden die Leute direkt so wie im Leben reden. Und natürlich ist das handwerklich sehr aufwendig zu machen. Es gibt kein abgeschlossenes Drehbuch dabei, kein Skript, sondern der Plamper hat mit seinen Schauspielern, unter anderen Milan Peschel, die Szenen so ein bisschen überlegt und dann haben die spontan reagiert, dann hat man die Szene noch mal gemacht. Das ganze hat einen unglaublichen Live-Charakter. Es ist, als würden die Leute bei Ihnen am Tisch sitzen und miteinander streiten und reden und schimpfen und alles.

    Novy: Gegen wen hat sich dieses Hörspiel durchgesetzt? Wen hatten Sie in der engeren Wahl, noch ganz kurz?

    Hieber: Ja da kommt dann noch mal Köln ins Spiel, denn es ist eine Kölner Produktion. Es ist eine Produktion sogar des Deutschlandfunks. Das sind die "Traumrollen" von Jean-Claude Kuner, ein wundersam, einfühlsames, dabei sehr lakonisches, auch reflektierendes, selbstironisches Stück. Der Kuner hat zwei nun betagte Schauspieler besucht, Nadja Tiller und Fritz Lichtenhahn, die beide in einem Seniorenheim in Hamburg leben. Die erzählen aus ihrem Leben. Aber der eigentliche Clou dieses sehr sensibel gemachten Stückes ist, dass die beiden sich verabreden, wir spielen oder lesen vom Blatt mal die Rollen, die wir in unserer Schauspieler-Karriere nie hatten, also eigentlich unsere Traumrollen. Also nehmen sie Szenen von Karl Valentin, sie nehmen den "Schwanengesang" von Tschechow, "Anatol" von Schnitzler, gar "Romeo und Julia" - Nadja Tiller hat nie Julia gespielt -, und probieren das mit ihren jetzigen Stimmen, und das ist eine wirkliche Wörter-Symphonie über die Würde des Alters.
    Aber auch das dritte Stück vom Südwestrundfunk – es heißt "Fügung" und ist das erste genuine Hörspiel, also nicht eine Adaption einer Erzählung, sondern das erste genuin fürs Hörspiel geschriebene Werk von dem großen schottischen Erzähler John Burnside, und dieses Stück hat nun eine ungeheuere Sprachwucht und ich glaube, dass diese drei Einheiten, die wir in die engere Wahl nahmen, für den aktuellen Stand des Hörspiels ein fabelhaftes Zeugnis ausstellt. Das Hörspiel ist wirklich wieder im Kommen, gerade auch durch seine Cross-Medialität, also mit CDs, mit dem, was man im Internet machen kann, mit Podcast, mit einer jungen Hörspielszene, und andererseits in der Spitze, in der aktuellen Spitze handwerklich und ästhetisch großartig gemachte Sachen.

    Novy: Immer wieder erfindet es sich neu, das Hörspiel. Das war Jochen Hieber, Mitglied der Jury zum ARD-Hörspielpreis.


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