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Die nie vollendete, abschweifende Autobiografie

Mark Twains "Meine geheime Autobiografie" ist der Traum eines jeden Anglisten, Philologen und Historikers, aber ein Albtraum für durchschnittlich interessierte Leser oder normale Mark-Twain-Fans. Eine Sensation ist sie jedenfalls nicht.

Von Florian Felix Weyh | 04.11.2012
    Sensationen sind das tägliche Brot des Literaturkritikers. Kein anderes Metier ist davon so geprägt, denn der Literaturkritiker braucht nur morgens sein Postfach zu öffnen, schon quellen ihm sensationelle Debüts, Enthüllungen, Ausgrabungen entgegen. Oft sind sie ein bisschen dilettantisch aufgemacht – zu viele Ausrufezeichen, zu fette Überschriften –, manchmal aber kommen sie auch wirkungssicher daher. Zum Beispiel beim viel verschweigenden Titel "Meine geheime Autobiografie", gepaart mit dem bescheidenen Etikett "Die Sensation", nicht eine, einfach nur die. Und die bekommt auch gleich noch ein glänzend gemachtes Werbevideo auf Youtube spendiert, starring Harry Rowohlt:

    "In dieser Autobiografie werde ich stets im Hinterkopf behalten, dass ich aus dem Grab spreche. Ich spreche buchstäblich aus dem Grab, denn wenn das Buch aus der Druckerpresse kommt, werde ich tot sein."

    Voilà! Nach 102 Jahren zehrenden Wartens gibt Samuel Langhorne Clemens alias Mark Twain, gestorben im April 1910, zum ersten Mal Einblick in seine intimste Gedankenwelt – und der Aufbau-Verlag hat sich die deutschen Rechte daran gesichert. Dumm nur, dass die ersten Zeilen von Twains bereits 1977 im Hanser Verlag erschienenen Autobiografie irgendwie vertraut klingen:

    "In dieser Autobiografie werde ich immer daran denken, dass ich aus dem Grab spreche. Ich spreche im wahrsten Sinn des Wortes aus dem Grab, denn ich werde tot sein, wenn dieses Buch erscheint." ["Autobiografie", zusammengestellt von Charles Neider, Hanser Verlag 1977, Seite 7]

    Ups, da entweicht schon ein ganz klein wenig Luft aus einem zum Platzen gefüllten Heißluftballon, der in den Himmel des Literaturherbstes als "Die Sensation" aufzusteigen trachtet. Doch bleiben wir unvoreingenommen, schauen wir uns das Ganze genauer an, denn soviel ist wahr: Twain hat zu Lebzeiten etwas auszusparen verfügt:

    "Meine Herausgeber, Erben und Rechtsnachfolger sind hiermit angewiesen, in der ersten Auflage sämtliche Charakterisierungen von Freunden und Feinden auszulassen, die die Gefühle der charakterisierten Personen oder ihrer Familien und Verwandten kränken könnten. Dieses Buch ist kein Rachefeldzug. Wenn ich unter jemandem ein Feuer anzünde, dann nicht nur wegen des Vergnügens, das es mir bereitet, diesen Menschen braten zu sehen, sondern weil er die Mühe lohnt. Es handelt sich also um ein Kompliment, eine Auszeichnung; möge er es mir danken und den Mund halten. Die Kleinen, die Gemeinen, die Unwürdigen brate ich nicht. In der ersten, zweiten, dritten und vierten Auflage müssen alle vernünftigen Meinungsäußerungen ausgelassen werden. In einem Jahrhundert mag es einen Markt für derartige Waren geben."

    Geradezu prophetische Worte, zumindest was Mark Twains Heimatmarkt in den USA angeht. Dort wurde das erstmals vollständig publizierte Konvolut der autobiografischen Fragmente nach 100 Jahren tatsächlich zum Bestseller. Wenig überraschend, wenn man die Stellung Twains als Nationaldichter der Nachbürgerkriegszeit in Rechnung stellt, aber doch erstaunlich ob der Poetik dieses Werkes:

    "Ich bin nur daran interessiert, draufloszuschwatzen und nach Belieben abzuschweifen, ohne Rücksicht auf das Ergebnis für den künftigen Leser. Folglich haben wir hier eine Kombination aus Tagebuch und Geschichte; denn sobald ich von dem vorliegenden Text – dem heutigen Gedanken – abschweife, führt mich die Abschweifung über ein unerforschtes Meer der Erinnerung, und das Resultat ist Geschichte. Insofern ist meine Autobiografie eine Kombination aus Tagebuch und Geschichte."

    Das klingt, freundlich gesagt, postmodern, ist aber keineswegs ein zufälliger antizipatorischer Ausrutscher von der Ästhetik des 19. Jahrhunderts hinein in die des späten 20., sondern ein "durchdachtes System", sagt der Autor:

    "Das System ist ein vollkommener und beabsichtigter Wirrwarr – eine Route, die nirgendwo beginnt, die keinem spezifischen Lauf folgt und zu meinen Lebzeiten zu keinem Ende kommen kann, denn selbst wenn ich mit einem Stenografen hundert Jahre lang jeden Tag zwei Stunden sprechen würde, wäre nicht ein Zehntel der Dinge niedergeschrieben, die mich in meinem Leben interessiert haben."

    In aller Deutlichkeit tritt damit das Grundproblem der Herausgeber ans Licht, dass Mark Twain nämlich mehrfach im Leben seine Autobiografie begann, doch nie vollendete, weil ihn sein "System" ganz offenkundig selbst überforderte. Auch der letzte Versuch mit dem Sperrvermerk blieb ein Fragment. Um aus dem Berg an Dokumenten das vorliegende Buch zu zimmern und mit der Aura des vom Autor genau so Gewollten zu versehen, bedienen sich die Herausgeber daher einer Vermutung:

    "Die erarbeitete Fassung hält sich an seinen Plan, so wie er sich mithilfe der verbindlichsten verfügbaren Dokumente erkennen oder ableiten lässt. Soweit möglich, werden die Texte so präsentiert, wie Twain sie veröffentlicht hätte – das heißt, es wird versucht, die Texte so zu präsentieren, wie sie waren, als er aufhörte, sie zu ändern."

    Das klingt ein bisschen verschwiemelt, als solle nur die Ratlosigkeit der Editoren maskiert werden. Und genauso ratlos wirkt das Endprodukt denn auch immer wieder. Neben der Anordnung der Fragmente jenseits einer erzählerisch überzeugenden Zeitachse, wie sie frühere Bearbeiter willkürlich erstellten, verstärkt eine besondere Eigenart den flatterhaften Eindruck noch: Mark Twain diktierte den Großteil seiner Texte. Trotz vielerlei Korrekturen in den Abschriften merkt man dem Text diesen gesprochenen Ton noch deutlich an – als belebendes wie abschweifendes Moment. Doch genug der vorläufigen Editionskritik. Man ahnt, was einen erwartet. Und kann sich dem Inhalt widmen, dem Leben des Samuel Langhorne Clemens alias Mark Twain: Bestsellerautor, gewiefter Geschäftsmann, zuvor Druckergeselle, Goldgräber, Schiffslotse und Journalist.

    "Die Eigentümer der "Sacramento Union", einer großen, einflussreichen Tageszeitung, schickten mich zu den Sandwichinseln, wo ich im Monat vier Briefe für 20 Dollar das Stück schreiben sollte. Dort hielt ich mich vier oder fünf Monate auf. Und als ich zurückkehrte, stellte ich fest, dass ich so ungefähr zum bekanntesten Ehrenmann an der pazifischen Küste geworden war. Thomas Maguire, Besitzer mehrerer Theater, sagte, es sei der richtige Augenblick, dass ich mein Glück machte – schmieden sie das Eisen, solange es heiß ist! Verlegen sie sich aufs Vortragsgeschäft! Das tat ich denn auch. Ich kündigte einen Vortrag über die Sandwichinseln an und schloss die Anzeige mit der Bemerkung: 'Eintritt: ein Dollar; Einlass ab 7:30, der Ärger beginnt um 8.' Eine wahre Prophezeiung. Der Ärger begann in der Tat um 8, als ich mich dem ersten Publikum gegenübersah, vor dem ich bisher gestanden hatte, denn die Angst, die mich von Kopf bis Fuß durchdrang, lähmte mich. Sie hielt zwei Minuten an und war bitter wie der Tod, die Erinnerung daran ist unzerstörbar, aber sie hatte auch ihr Gutes, denn sie machte mich für alle Zeit immun gegen Schüchternheit vor Publikum. Ich hielt Vorträge in allen bedeutenden Städten Kaliforniens und in Nevada, dann hielt ich noch einmal zwei, drei Vorträge in San Francisco, dann zog ich mich, reich geworden – für meine Verhältnisse –, aus dem Geschäft zurück."

    Dieser Abschnitt enthält den ganzen Twain in nuce: seinen Humor, seinen Fokus auf erfolgreichen Gelderwerb, seine Eitelkeit, die sich im Understatement verbirgt. Und sein Prinzip, die Welt als Abfolge von Anekdoten zu sehen. Zugleich spiegelt sich der Anbruch eines Systems darin wider, das vorwegnahm, was Hollywood später perfektionierte: die Star-Produktion. Mark Twain hielt Vorträge in Theatern, die schon mal 2.500 Zuschauer fassten. Und eine andere, damals avantgardistische Einnahmequelle, verführte ihn zu beißendem Spott, wenngleich er dennoch davon Gebrauch machte.

    "Zu der Zeit beging ich Wegelagerei in Begleitung eines anderen Banditen, George W. Cable. Wir raubten vier Monate lang die Öffentlichkeit mittels Lesungen aus unseren Werken aus."

    Mark Twain war eine Berühmtheit. Und als solche verwandelte er seinen Status in klingende Münze wie in politischen Einfluss. Amüsiert – aber auch geschmeichelt – erzählt er von falsch adressierten Briefen, die ihn umso besser erreichten, je höher der Adressat in der nationalen Hierarchie stand.

    "Mark Twain, c/o Präsident Roosevelt, Das Weiße Haus, Washington, Amerika."

    Ein US-Präsident, der Demokrat Grover Cleveland, war ihm sogar so freundlich zugetan, dass er in dessen Personalpolitik einzugreifen vermochte. Und auch die Wirtschaftsmagnaten ließen sich satirische Ausfälle gefallen, wussten sie doch, dass deren Urheber trotzdem gerne in ihren Salons zu Gast blieb: ein Satiriker im Gewande des Parvenüs – oder ein Parvenü, der sein Gerechtigkeitsempfinden nicht immer zu unterdrücken vermochte. Welche Rolle Mark Twain in der US-Society zwischen amerikanischem Bürgerkrieg und der Jahrhundertwende spielte, ist schnell erkannt: Er war ein demokratischer Narr und gegenüber höfischen Narren mit erweitertem Spielraum ausgestattet. Man leistete sich seine Attacken gegen die Verbindung zwischen heuchlerischem Christentum und kapitalistischem Geschäftsstreben, indem man die Appelle durch Applaus unhörbar machte. Den eigenen Zwiespalt als wohlhabender Steuerzahler beschreibt Twain in einem Vortrag 1906:

    "Früher war ich ein ehrlicher Mann. Ich zerbrösle. Nein – ich bin schon zerbröselt. Als ich vor vierzehn Tagen einen Steuerbescheid über 75.000 Dollar erhielt, ging ich aus dem Haus und versuchte, mir das Geld zu leihen, es gelang mir nicht. Als ich herausfand, dass man einen ganzen Haufen Millionäre für ein Drittel der Summe, mit der man mich belastet, in New York leben lässt, war ich gekränkt. Ich war empört und sagte: 'Das ist der letzte Tropfen! Ich werde diese Stadt nicht allein aus eigener Kraft finanzieren.' In diesem Augenblick – in diesem denkwürdigen Augenblick – begann ich zu zerbröseln. Nach 15 Minuten war der Zerfall vollständig. Nach 15 Minuten war ich zu einem moralischen Sandhaufen geworden."

    Will ein Hofnarr den Hof verändern? Oder kritisiert er ihn nur aus psychischer Hygiene, um dabei sein zu können, ohne ganz dabei zu sein? Das lässt sich auch dieser Autobiografie nicht schlüssig entnehmen. Mark Twain stammte aus einfachen Verhältnissen, erwarb seine Bildung nicht in der Schule, sondern am Setzkasten einer Druckerei. Und wollte augenscheinlich beides: Nach oben kommen, dort aber seine Wurzeln nicht verraten müssen. In einer durchlässigen Gesellschaft wie der amerikanischen des 19. Jahrhunderts war dieser Spagat weniger schwierig als in den starren Klassengesellschaften der Alten Welt. Ihr Antlitz kannte der Bestsellerautor von langen Auslandsaufenthalten her, sodass er sich sozialrevolutionären Stimmungen nicht immer enthalten konnte:

    "Natürlich gilt meine Sympathie der russischen Revolution. Das versteht sich von selbst. Ich hoffe, sie wird erfolgreich sein. Eine Regierung der falschen Versprechungen, der Lügen, des Verrats und des Schlachtmessers, zur Bereicherung einer einzigen Familie von Schmarotzern und deren fauler und grausamer Sippschaft, ist, wie ich meine, in Russland lange genug ertragen worden."

    Das bezieht sich auf die Revolution von 1905, die kurz danach scheiterte. Doch wer Mark Twain damit als linken Autor vereinnahmen will, liegt gründlich schief. Allenfalls ist er – mit seiner politischen Heimat in der Republikanischen Partei – ein aufgeklärter Liberaler mit ungeheurem Geschäftssinn und sozialer Ader gewesen. In einer sozialistischen Gesellschaft hätte man ihn sich nur hinter Gittern vorstellen können, lautete doch eine seiner Maximen:

    "Dass ein Mann, der es vorzieht, sich von einem anderen Mann ernähren zu lassen, statt in Unabhängigkeit zu verhungern, erschossen gehört."

    Satirisch überzogen, gewiss, doch diese wirtschaftsliberalen Züge Twains treten aus dem neu veröffentlichten Material deutlich hervor. Auch der politisch aktive Mensch rückte stärker in den Fokus als der Literat, was historisch gesehen ein Vorzug, hinsichtlich der Lesbarkeit aber ein Nachteil ist. Denn der Aufsteiger Samuel Langhorne Clemens alias Mark Twain tut, was alle Aufsteiger tun: Er betreibt ein unaufhörliches Namedropping. Ein Gutteil des 350-seitigen Ergänzungsbandes füllen Anmerkungen zu längst vergessenen Persönlichkeiten, doch wie ungeheuer provinziell und im eigenen Sud köchelnd die amerikanische Politik vor dem Ersten Weltkrieg war, hat man schon nach ein paar Seiten mitbekommen. Darüber hinaus glaubt Twain, tagespolitische Ereignisse blieben für spätere Generationen interessant, wenn sie – wie etwa ein Bericht aus der "New York Times"– in voller Länge abgedruckt würden. Immer wieder kommt das vor. Und die Herausgeber folgen diesem Wunsch willfährig.

    "Diese Form der Erzählung kann das Interesse, das wir heute daran haben, für ewig und drei Tage wachhalten. Wohingegen, wenn sich der Vorfall vor 50 oder vor 100 Jahren ereignet und ein Geschichtswissenschaftler ihn ausgegraben, in seine Sprache übersetzt und ihnen eine Fernansicht zur Verfügung gestellt hätte, das Interesse des Lesers erlahmen würde."

    Da irrt sich Mark Twain. Diese längst vergilbten Texte ermüden gewaltig und fordern nachgerade dazu auf, das Buch beiseitezulegen. Ausnahmen machen nur einige journalistischen Arbeitsproben aus Twains eigener Feder. Gewiss, im Vergleich zur eigenmächtig komponierten Autobiografie-Variante von Charles Neider, die nolens volens auf weniger Material zurückgriff, schöpft die neue Ausgabe aus dem Vollen – doch wem ist damit gedient? Und wo steckt die Sensation, das Geheimnis der geheimen Autobiografie?

    "Als Susy 13 war, ein schlankes, kleines Fräulein mit geflochtenen Zöpfen von kupferbraunem Haar, die ihr über den Rücken fielen, fügte sie ihren Mühen aus eigenem Antrieb und aus Liebe heimlich eine weitere Aufgabe hinzu – die Abfassung meiner Biografie. Sie verrichtete diese Arbeit nachts in ihrem Schlafzimmer und versteckte ihre Aufzeichnungen. Nach einer Weile entdeckte die Mutter sie, nahm sie an sich und zeigte sie mir. Danach sagte sie Susy, was sie getan hatte und wie erfreut ich war und wie stolz."

    Gewöhnlich gilt das Familienleben als klandestiner Ort. Hier besteht am meisten Verschleierungsbedarf, hier waltet die größte Rücksichtnahme, auch wenn Susy, die älteste Tochter Mark Twains, nur 24 Jahre alt wurde. Die von ihr verfasste Biografie des Vaters weist kindlichen Charme auf, ja mehr als das, sie besitzt die literarische Qualität des Einfachen:

    "Wir sind eine sehr glückliche Familie. Wir bestehen aus Papa, Mama, Jean, Clara und mir. Ich schreibe über Papa. Und ich werde keine Schwierigkeiten haben, zu wissen, was ich über ihn sagen soll, weil er eine sehr bemerkenswerte Persönlichkeit ist."

    Die Beschreibungen der 13-Jährigen arbeitet der Vater stolz in seinen Text ein und lässt sich von seinen Erinnerungen forttragen. Das sind ergreifende, rührende Passagen von großer Kraft. Nur: Neu sind sie nicht. Auch nicht neu – sondern nur breiter ausgewalzt – sind die vielen, für Buchhistoriker freilich hochinteressanten Ausführungen zu Twains Tätigkeit als Verleger. Eine Zeitlang erwirtschaftete er damit fast mehr Geld denn als Schriftsteller, ließ ihn doch der richtige Riecher die Memoiren des Bürgerkriegshelden und späteren US-Präsidenten Ulysses S. Grant verlegen. Dass er bei aller Geschäftstüchtigkeit dennoch ein wirtschaftlicher Hazardeur blieb, zieht sich wie ein weiterer roter Faden durch sein Leben. Heute würde man ihn als Venture-Kapitalisten bezeichnen, der in den "Computer" seiner Zeit investierte, die automatische Setzmaschine:

    "Ich wusste aus praktischer Erfahrung einiges über Schriftsetzerei und war der felsenfesten Überzeugung, dass eine erfolgreiche Setzmaschine ein Ding der Unmöglichkeit sei, weil man eine Maschine nicht zum Denken bringen kann. Und etwas, was bewegliche Lettern setzt, muss entweder denken oder sich geschlagen geben. Die Vorführung, der ich beiwohnte, verblüffte mich daher sehr."

    Und machte bei ihm gewaltige Summen locker, die er allesamt verlor. Auch das ist weder neu, noch etwas, was nur entfernt nach Enthüllung klingt. Enthüllungen am nächsten kommen vermutlich die vielen politischen und persönlichen Meinungsäußerungen Mark Twains, die er beim Diktieren als peinlich oder entlarvend empfunden haben mag. Indes ist die Zeit darüber hinweggegangen. Und so liegt die Sensation dieser Publikation darin, dass ein derart sorgfältig edierter, mit ungeheurem archivarischen und wissenschaftlichen Können erbrachter Rekonstruktionsversuch überhaupt noch unternommen wird. Das dürfte freilich dem Status des Nationaldichters geschuldet sein.

    Und so bleibt "Meine geheime Autobiografie" der Traum eines jeden Anglisten, Philologen und Historikers, aber ein Albtraum für durchschnittlich interessierte Leser oder normale Mark-Twain-Fan. Der geschwätzige, mäandrierende Textstrom macht den uns durch Scharfzüngigkeit ans Herz gewachsenen Autor zuletzt viel kleiner, als wir ihn kennen. Es ist eben unmöglich, in der Rohmasse konzentriert zu sein. Dass der Aufbau Verlag das Buch als inhaltliche Sensation anpreist, lässt sich zwar wirtschaftlich nachvollziehen, allein: Für den Massenmarkt ist das nichts. Und wem dies zu scharf geurteilt erscheint, der halte sich einfach an Mark Twain:

    "Es ist der Wille Gottes, dass wir Kritiker, Missionare, Kongressabgeordnete und Humoristen haben. Ud so müssen wir diese Last tragen."

    Buchinfos:
    Mark Twain: "Meine geheime Autobiografie", Aufbau Verlag, 1129 Seiten, ISBN: 978-3351035136
    + 1. Band: Autobiografie, aus dem Amerikanischen von Hans-Christian Oeser
    + 2. Band: Hintergründe und Zusätze, aus dem Amerikanischen von einer Übersetzergruppe
    Preis: 49,90 Euro (bis 31.12.2012), danach 79,00 Euro