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Die nördliche Ostsee veralgt immer mehr

Noch ist die Ostseeküste ein Urlaubsparadies, denn das kontinentale Klima macht das Wetter viel sicherer als an der rauhen Nordsee. Um die Wasserqualität ist es allerdings vor allem in den nördlicher gelegenen Regionen schlecht bestellt. Besonders die Blaualgensituation ist kritisch, haben finnische Wissenschaftler herausgefunden.

Von Stefan Tschirpke |
    Der Seurasaarenselkä - eine idyllische Bucht des Finnischen Meerbusens mitten in Helsinki. Vor Anker liegende Segelboote, Holzstege zum Teppichwaschen, ein Badestrand. Aber weder Teppichwäscher noch Segler - geschweige denn Badende - sind in Sicht. Die Stille hat offenbar auch etwas mit dem Wasser zu tun:

    "Wir sehen abgestorbene Algen – harmlose Darmalgen. Aber auch Blaualgen, die einen richtigen Teppich bilden…,"

    …sagt Pauliina Oranen, Wissenschaftlerin vom Finnischen Umweltzentrum. Der Wasser-Experte Seppo Knuuttila ergänzt:

    "Das Wasser ist beige-braun. Ein Zeichen von Eutrophierung. Eigentlich widerspiegelt diese Bucht die Lage im gesamten Finnischen Meerbusen. "

    Wie es um den östlichen Teil der Ostsee bestellt ist, darüber konnten sich Oranen und Knuuttila kürzlich ein genaues Bild verschaffen. Zwei Wochen lang waren sie auf den Forschungsschiffen "Aranda” und "Muikku” im Finnischen Meerbusen unterwegs. Untersucht wurde die Blaualgensituation, gemessen wurden die von Algen produzierten Giftmengen und an knapp 50 Orten wurden Proben vom Meeresgrund genommen. Die Auswertung des Materials steht noch an, aber bereits erste Resultate haben die Wissenschaftler alarmiert:

    "Weite Teile des Meeresbodens sind abgestorben. Seit Beginn der Analysen im Jahre 2000 war die Lage noch nie so ernst. Ein toter Meeresgrund ist ein klares Zeichen, dass sich die Gesamtsituation verschlechtert hat."

    Die Folgen können schon vom Laien mit bloßem Auge besichtigt werden: Schlick, Algenteppiche, trübes Wasser. Wichtigste Ursache ist die Überlastung mit Phosphor:

    "Algen brauchen Phosphor. Reichlich auftretendes Algenwachstum ist ein deutliches Zeichen, dass auf dem Meeresboden viel Phosphor freigesetzt wird."

    Mit möglichst einfachen Worten versuchen Knuuttila und Oranen die komplizierten Zusammenhänge im Meerbusen zu erklären. Die Überlastung mit Phosphor resultiere vor allem aus den Sünden der Vergangenheit. Über Jahrzehnte hätten die Anrainerstaaten ihre Abfälle im Meerbusen entsorgt und in der Landwirtschaft sei ungehemmt gedüngt worden. Auf dem Meeresgrund liege viel altes Pflanzenmaterial, das erst allmählich zersetzt wird und dabei den Sauerstoff am Meeresgrund aufbraucht:

    "Geht der Sauerstoff aus, stirbt der Meeresgrund ab. Es wird Phosphor frei, das das Algenwachstum angetreibt. Ein Teufelskreis."

    Verschärft wird der Sauerstoffmangel am Meeresgrund noch durch eine natürliche Besonderheit des Meerbusens - Schichten mit unterschiedlichem Salzgehalt, die eine Vermischung von sauerstoffreichem und sauerstoffarmem Wasser verhindern:

    "Jetzt ist sehr salzhaltiges Wasser in den Meerbusen geströmt. Es verhindert die Durchmischung des sauerstoffarmen Wassers am Meeresgrund mit dem sauerstoffreichen Wasser an der Oberfläche. "

    Früher sorgten Herbststürme für die Durchmischung. Sie scheinen jedoch nicht mehr auszureichen. Die Phosphorbelastung hat mittlerweile ein derart hohes Niveau erreicht, das ab 50 Meter Tiefe ständig Sauerstoffmangel herrscht. Schwedische Experten haben radikale, teure und auch deshalb umstrittene Vorschläge unterbreitet: Zum Beispiel die Installierung riesiger Unterwasserrotoren, die die Sauerstoffsituation durch Aufwirbeln des Wassers verbessern sollen. Einig sind sich die Fachleute, dass an einer deutlichen Verringerung des Phosphoreintrags kein Weg vorbei führt. Neben der Metropole Sankt Petersburg sind die Landwirtschaften der Anrainer das Hauptproblem:

    "Die Landwirtschaft ist deutlich hinter den gesteckten Zielen zurückgeblieben. Obwohl die Düngung bedeutend reduziert wurde, enthält der Boden viel altes Phosphor, das über die Gewässer in den Meerbusen gespült wird. Ganze Uferzonen müssten für landwirtschaftliche Produktion gesperrt werden. Aber politisch sind solche Forderungen schwer durchsetzbar. "

    Ein toter Meeresgrund bedeute, dass den Heringsbeständen ein wichtiger Teil ihrer Nahrung fehlt und die Bestände – bereits seit Jahren rückläufig – würden noch weiter abnehmen. Und Pauliina Oranen prophezeit, dass man sich dann daran gewöhnen müsse, jeden Sommer in einem Brei aus Algen und Schlick zu schwimmen.
    Die Wissenschaftlerin Pauliina Oranen bei der Probennahme im Finnischen Meerbusen
    Die Wissenschaftlerin Pauliina Oranen bei der Probennahme im Finnischen Meerbusen (Stefan Tschirpke)