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Die normative Kraft des Faktischen

Früher war die Rüstungsexportpolitik für die Parteien ein dankbarer Anlass, eine mit moralischen, politischen und wirtschaftlichen Argumenten geführte Debatte loszutreten. Heute sind die Exporterfolge verblüffend: Im letzten dokumentierten Geschäftsjahr 2003 exportierte Deutschland Waffen für fast fünf Milliarden Euro und zählte damit zu den fünf größten Rüstungsexporteuren weltweit.

Von Daniel Blum | 20.12.2005
    Mit einer Rüstungsexport-Entscheidung, die in früheren Zeiten zu heftigen Diskussionen geführt hätte, verabschiedete sich die rot-grüne Bundesregierung: Kurz vor dem Ende ihrer Amtszeit billigte sie den Export von U-Booten an Israel, sicherte dafür eine Teilfinanzierung aus dem Bundeshaushalt zu und versicherte, diese Entscheidung sei mit der damals noch nicht gewählten Kanzlerin Angela Merkel abgesprochen. Früher war die Rüstungsexportpolitik für die Parteien ein dankbarer Anlass, eine mit moralischen, politischen und wirtschaftlichen Argumenten oft hitzig geführte Debatte loszutreten.

    SPD und Grüne hatten zu Zeiten der Kohl-Regierung gegen das Handeln mit Militärgütern gewettert. Sie wussten sich in Übereinstimmung mit entwicklungspolitischen und Menschenrechtsorganisationen. Als Rot-Grün 1998 die Wahlen gewann, versprach die neue Koalition, die Waffenausfuhren einzudämmen. Jetzt wollte sie alles besser machen.

    Im Jahr 2000 erließ die Regierung neue "Politische Grundsätze" zu Rüstungsexporten. Diese verbieten die Lieferung von Waffen, wenn in den Empfängerländern Menschenrechte verletzt werden, wenn die Staaten in bewaffnete Konflikte verwickelt sind oder wenn die Waffenkäufe die Entwicklungschancen des Landes stören würden. Die deutsche Rüstungsindustrie, nach dem Ende des Ost-West-Konflikts mit Absatzproblemen, reagierte erschrocken.

    Doch bald stellte sich heraus, dass die Sorgen unbegründet waren. Im letzten dokumentierten Geschäftsjahr 2003 exportierte Deutschland zum Beispiel Waffen für fast fünf Milliarden Euro und zählte in jenem Jahr damit zu den fünf größten Rüstungsexporteuren weltweit. Solche Exporterfolge verblüfften selbst den CDU-Abgeordneten Eich Fritz, der im Wahlkampf in die Rolle schlüpfte, die in den Jahren zuvor die Rot-Grünen ausgefüllt hatten: Er beschwerte sich bei der Regierung, dass sie bei der Genehmigung der Waffenexporte die Menschenrechte nicht genügend beachte.

    "Wir haben auch im letzten Jahr wieder Exporte in Ländern, wo der Menschenrechtsstatus eindeutig negativ ist, wo die regionale Sicherheit gefährdet ist. Und trotzdem wird dahin exportiert. Also ich nenne zum Beispiel nur Indonesien, alles andere als ein stabiles, gesellschaftlich gefestigtes Land, in dem die Menschenrechte verwirklicht wären. Aber das gilt auch für Nigeria. Saudi-Arabien, Vereinigte Emirate sind solche Länder, von denen man weiß, dass sie natürlich nach unseren Auffassungen überhaupt keinen gesellschaftlichen Zustand haben, der es rechtfertigt, Waffen dorthin zu liefern. "

    In diese vier genannten Länder wurden zuletzt unter anderem Munition, Militärfahrzeuge, Fahrzeug- und Schiffsteile sowie Militärelektronik exportiert. Gernot Erler, altgedienter SPD-Außenpolitiker und jetzt Staatsminister im Auswärtigen Amt, fuchst der Vorwurf, der Menschenrechtslage bei den Rüstungsausfuhren keine Beachtung geschenkt zu haben:

    "Man darf ja nicht vergessen, in den sechzehn Jahren, wo diejenigen, die das kritisiert haben, Gelegenheit hatten, Verantwortung hatten, gab es überhaupt nicht das Kriterium Menschenrechte. Dann kann man es natürlich leicht machen, jetzt plötzlich zu fordern, nachdem man vorher diesen Gesichtspunkt überhaupt nicht berücksichtigt hat, dass er mehr angewandt wird. Insofern fühlen wir uns durch eine solche Kritik eigentlich bestätigt, dass der Weg richtig war, mit der restriktiveren Praxis der Rüstungsexporte und vor allem mit den neuen Kriterien, die wir 1999 eingeführt haben. "

    In den im Jahr 2000 von der rot-grünen Regierung überarbeiteten Richtlinien für Rüstungsexporte wurde – wie bisher - betont, dass bei der Genehmigung von Waffenausfuhren auch eine Rolle spielen soll, dass die deutsche Rüstungswirtschaft davon profitiert und dass die Exporte keine Feindstaaten stärken. Hinzugefügt wurde, dass die Empfängerregierungen mit den Waffen nicht die eigene Bevölkerung unterdrücken oder ihre Nachbarländer bedrohen. Diesem Anspruch hielt die Realität nicht immer stand, wie der sicherheitspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Winfried Nachtwei, einräumt:

    "Das wurde leider längst nicht immer so umgesetzt. Wir haben immer wieder erhebliche Auseinandersetzungen um die Prioritäten zwischen den Ressorts in der Koalition. Und es gibt eine Tendenz, Wirtschaftsinteressen, Außenwirtschaftsinteressen vor den Interessen einer weitsichtigen Sicherheitspolitik zu nehmen. "

    Gelegentlich erhalten andere Staaten gebrauchte Waffen aus Deutschland, die aufgrund von internationalen Rüstungskontrollabkommen und wegen der hier erfolgten Modernisierung von der Bundeswehr nicht mehr benötigt werden. Sie werden manchmal verkauft, gelegentlich aber auch geschenkt - in der Regel an NATO-Länder, die man als Bündnispartner stärken möchte. So hat Rot Grün zum Beispiel in den letzten Monaten noch rasch beschlossen, jeweils etwa dreihundert Leopard-Panzer an Griechenland und die Türkei abzugeben. In den Rüstungsexportstatistiken werden solche Lieferungen genauso mitgezählt wie die Verkäufe der Industrie.

    Die Exporte müssen vom Bundessicherheitsrat genehmigt werden. In diesem geheim tagenden Gremium sitzen neun Mitglieder. Acht sind Minister, unter ihnen der Verteidigungs- und der Außenminister. Vorsitzender ist der Bundeskanzler. Entschieden wird nach dem Mehrheitsprinzip. In diesem Kreis verliefen die Abstimmungen nicht immer entlang der Parteigrenzen der rot-grünen Koalition. Es ist bekannt, dass der grüne Außenminister Fischer solchen Exporten gelegentlich zugestimmt hat, während die sozialdemokratische Entwicklungshilfeministerin Wieczorek-Zeul in der Regel dagegen gestimmt hat. Offiziell wird dies nicht bestätigt: Diskussionsverlauf und Abstimmungsergebnisse dieses Gremiums werden nicht öffentlich bekanntgegeben.

    Manche Vertreter der Opposition behaupten sogar, dass der Bundessicherheitsrat in den letzten Jahren mehr Rüstungsexporte abgenickt hätte als zuvor die Regierung Kohl. Tatsächlich wiesen die jährlichen Rüstungsexportberichte zuletzt Spitzenwerte aus. Allerdings wurden in diesen Zeiträumen für teures Geld Korvetten nach Südafrika und Malaysia verkauft. Diese ungewöhnlich großen Einzelgeschäfte haben die Bilanz beeinflusst. Der Politikwissenschaftler Bernhard Moltmann, Vorsitzender einer gemeinsamen Fachgruppe für Rüstungsexporte bei den christlichen Kirchen in Deutschland, hat die Zahlen über längere Zeit beobachtet:

    "Die Rüstungsexporte der Bundesrepublik bewegen sich mit Ausschlägen sowohl nach oben und unten auf einem relativ gleichmäßigen Niveau. Das ist insofern ein gewisser Anstieg, weil der Weltrüstungshandel insgesamt in den letzten fünf bis sechs Jahren gesunken ist. "

    Die Bundesregierung hat zwar die Kriterien der so genannten Politischen Grundsätze für Rüstungsexporte verschärft, für die Praxis ist das aber oft ohne Belang. So gilt zum Beispiel, dass eine Waffenkomponente frei exportiert werden darf, wenn sie erst in anderen europäischen Staaten mit weiteren Komponenten zu einer funktionsfähigen Waffe zusammengebaut wird. Wenn also ein deutsches Zielfernrohr nach Frankreich gebracht, dort auf ein Gewehr montiert und dann in eine Krisenregion wie den Nahen Osten verschifft wird, dann muss die französische Regierung mit ihrer laxen Genehmigungspraxis entscheiden - die deutsche schaut nur zu.

    Industriepolitisch machen solche europäischen Kooperationen Sinn, weil sie die technologischen Kompetenzen von Rüstungsunternehmen grenzüberschreitend bündeln und erfolgreich auf den Weltmarkt führen. Sie sichern damit technologische Fähigkeiten der europäischen Industrie trotz geringen Bedarfs in den Ländern.

    Rot-Grün hatte in die nationalen Genehmigungsrichtlinien eine Endverbleibskontrolle festgeschrieben. Das heißt: Man wollte ein Auge darauf haben, in wessen Hände die europäisch produzierten Waffen schließlich kommen. Diese Regelung hält allerdings nicht nur der CDU-Außenpolitiker Erich Fritz für nicht praxistauglich:

    "Wenn man einen Binnenmarkt hat, kann man eigentlich nicht mehr nachvollziehen, welches Teil wo eingebaut wird. Und dann soll man auch sagen, dass das so ist und man das in Wirklichkeit nicht nachvollziehen kann."

    Dass rot-grüner Reformanspruch und tagespolitische Realität weit auseinanderklafften, zeigte sich auch bei den Rüstungsexporten in Drittländer. Als solche werden im Behördendeutsch Staaten bezeichnet, die nicht zur EU oder der NATO gehören und mit ihnen auch nicht eng befreundet, damit gleichgestellt, sind. Waffenexporte in solche Drittländer sollten eigentlich nur Ausnahmecharakter haben. In den Politischen Grundsätzen der alten Bundesregierung hieß es wörtlich, solche Exporte würden

    "… nicht genehmigt, es sei denn, dass im Einzelfall besondere außen- und sicherheitspolitische Interessen der Bundesrepublik Deutschland … für eine ausnahmsweise zu erteilende Genehmigung sprechen. "

    Nach dem letzten Rüstungsexportbericht kamen alleine 2003 91 Drittländer in den Genuss einer solchen Ausnahmegenehmigung. Dazu gehörten insbesondere die Tigerstaaten der Rüstungsproduktion, Länder wie Indien oder Israel. Die aufstrebende Rüstungswirtschaft dieser Länder verfolgen eine wenig restriktive Rüstungsexportpolitik und machen daher auch Geschäfte mit Ländern, mit denen Deutschland nicht zusammenarbeitet. Diese Tigerstaaten hinken den Weltmarktführern der Rüstungsbranche wie Deutschland technologisch noch hinterher. Christopher Steinmetz vom Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit meint, dass deutsche Firmen bereit sind, aus kurzfristigem Gewinnstreben ihre Konkurrenten von morgen technologisch aufzurüsten, mit dem …

    "…Export von Fertigungsanlagen und Technologien, also praktisch ganz originären Elementen für die Entwicklung eines Waffensystems - Software, Blaupausen, Baupläne. Denn damit wird überhaupt erst der Aufbau einer Rüstungsindustrie in anderen Staaten ermöglicht."
    Deutsche Rüstungsunternehmen erteilen möglichen Konkurrenten von morgen oft Lizenzen, so dass damit ein Technologieexport erfolgt. Sie argumentieren damit, dass – wenn sie die Lizenzen nicht verkauften - Rüstungsunternehmen anderer Industriestaaten diese Kooperationen tätigen würden. Jährliche Rüstungsexporte in 91 Drittländer, darunter auch der Transfer von Know-how und Technologie – fällt das unter die "ausnahmsweise zu erteilenden Genehmigungen", von denen die rot-grüne Bundesregierung in ihren Politischen Grundsätzen sprach? Der CDU-Außenpolitiker Erich Fritz verneint:

    "Bei dieser Zahl kann man nicht mehr von Ausnahmen sprechen. Natürlich kann man solche Maximen aufstellen. Aber im Umgang mit dem Rest der Welt ist jede einzelne Frage eine Frage der bilateralen Beziehungen. Im einen Fall sind es Kompensationen für Dinge, die man gegenüber diesem Land sonst nicht machen kann. Im anderen Fall ist es der Versuch, einer Regierung zu signalisieren, dass man mit ihrem Weg einverstanden ist, auch wenn man die Ergebnisse noch nicht kennt. Das akzeptiere ich alles. Mich stört nur daran, dass man eben solche Regeln aufstellt, aber hinterher diese Regeln nicht einhält."

    Mit den Politischen Grundsätzen hatte sich die rot-grüne Regierung anfangs mit ein paar hübschen moralischen Girlanden geschmückt; im tagespolitischen Geschäft wurden sie aber schnell wieder abgehängt. Die Verteidigungspolitiker sahen das wohlwollend; sie hatten gefürchtet, dass eine schrumpfende heimische Rüstungsindustrie technologisch der ausländischen Konkurrenz bald hinterhinken würde. Dies könnte langfristig die Bundeswehr militärisch schwächen. Die Bundesregierung würde bei der Beschaffung von Rüstungsgütern dann von anderen Ländern abhängig.

    Doch es waren insbesondere die Außenpolitiker der Regierung, die – wie ihre Vorgänger auch – mit dem Instrument der Rüstungsexporte nüchterne Interessenpolitik betrieben. Ein Katalysator dafür waren die Anschläge vom 11. September 2001 in New York und Washington. Seitdem wurden Waffengeschäfte gerne mit dem Argument legitimiert, sie dienten dem Kampf gegen den Terror. Das ist nicht neu. Früher wurde die Unterstützung fremder Regierungen durch deutsche Waffenlieferungen nur sprachlich anders und weniger martialisch deklariert: als sicherheitspolitische Partnerschaft oder als Pflege bilateraler Beziehungen. Der Politikwissenschaftler Bernhard Moltmann, Rüstungsexperte der Kirchen:

    "Das ist bereits in der Ära Schmidt so getrieben worden, die Regierung Kohl hat das extensiv betrieben. "

    Dieser Trend hebelte die so genannten Politischen Grundsätze zu Rüstungsexporten aus, denn er hat die Folge, …

    "… dass gerade die Frage der Menschenrechte, die Frage der Entwicklungsverträglichkeit eher nachrangig behandelt werden gegenüber globalen sicherheitspolitischen Interessen oder regionalen sicherheitspolitischen Interessen. "

    Mit Waffenexporten kann man alte Freundschaften pflegen oder neue Freunde in der Welt gewinnen – eine Versuchung, der die rot-grüne Bundesregierung allen Vorsätzen zum Trotz nicht widerstehen konnte – und oft auch nicht wollte, wie die Rüstungsgeschäfte mit Israel zeigen.

    Waffenexporte nach Israel haben eine lange Tradition und sind moralisch hoch umstritten. Einerseits fühlten sich alle Bundesregierungen verpflichtet, zur Sicherheit des jüdischen Staates beizutragen. Andererseits gilt der Grundsatz, eigentlich keine Waffen in Krisenregionen liefern zu wollen. Umstritten war zuletzt insbesondere die Lieferung von weiteren U-Booten der Dolphin-Klasse nach Israel. Drei dieser Schiffe wurden vor fünf Jahren zur Verfügung gestellt. Die Kohl-Regierung hatte diese Rüstungshilfe geplant und größtenteils aus dem Bundeshaushalt finanziert. Die drei U-Boote wurden auf Wunsch Israels zum Teil mit extrabreiten Torpedorohren ausgestattet, mit denen sich prinzipiell auch Langstreckenflugkörper abschießen lassen. Mittlerweile löst das bei Politikern aller deutschen Parteien Besorgnis aus, wie der CDU-Außenpolitiker Erich Fritz bestätigt:

    "Die bisher gelieferten U-Boote sind mit großer Wahrscheinlichkeit umgebaut worden. Die Abschussvorrichtungen sind so verändert worden, dass auch Atomsprengköpfe abgeschossen werden können. "

    Jetzt liefert Deutschland zwei weitere U-Boote der Dolphin-Klasse an Israel. Bei Oppositionspolitikern wie dem FDP-Abgeordneten Harald Leibrecht hat sich die Ansicht durchgesetzt, dass man einen Fehler lieber nicht zweimal machen sollte:

    "Die Gefahr besteht tatsächlich, dass man diese U-Boote der Dolphin-Klasse mit atomaren Waffen ausstatten kann. Die Gefahr besteht, und deshalb muss man hier auch bei den Exporten auch sehr vorsichtig sein. Israel hat nukleare Waffen, und hätte durchaus die Möglichkeit, diese U-Boote aufzurüsten. Und deshalb ist eine restriktive Rüstungspolitik hier durchaus angesagt und notwendig. "

    Auf der Wunschliste Israels steht auch die Lieferung von 103 Truppentransportern des Typs Dingo. In diesen gepanzerten, minensicheren Fahrzeugen können Soldaten Patrouillenfahrten unternehmen, ein Bordschütze sitzt geschützt hinter einem Maschinengewehr. Für die Israelis kann der Dingo potentiell nützlich sein, um in den besetzten Gebieten gegen Palästinenser vorzugehen. Mit der Bewertung der israelischen Anfrage tun sich die deutschen Parteien schwer.

    Jenseits aller sicherheitspolitischen Erwägungen hatte sich die Regierung Schröder aber auch deshalb für Rüstungsexporte erwärmt, weil sie in wirtschaftlichen Krisenzeiten der heimischen Industrie gute Geschäfte versprechen. Im Wahlkampf kam Rot-Grün in die überraschende Situation, sich ausgerechnet von der wirtschaftsnahen FDP vorwerfen lassen zu müssen, bei den Waffenexporten bedenkenlos als Anwalt der Rüstungsunternehmen aufzutreten. Der FDP-Außenpolitiker Harald Leibrecht kommentierte:

    "Gerade auch gerade in Zeiten wirtschaftlicher Schwierigkeiten bei uns im Lande scheint mir, dass diese Bundesregierung auch alle moralischen Werte über Bord wirft – Hauptsache, zum Teufel komm raus können Waffen exportiert werden. Ich finde diese Entwicklung verheerend. "

    Beispielhaft ist der Streit um das Waffenembargo der Europäischen Union gegen China. Es wurde 1989 verhängt, nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking. Bundeskanzler Schröder und Frankreichs Präsident Chirac setzten sich nun innerhalb der EU dafür ein, das Waffenembargo aufzuheben. Der Kanzler erklärte dazu im Bundestag:

    "Sanktionen zielen auf Isolierung und Diskriminierung. Die Bundesregierung setzt dagegen auf Kooperation, auf Integration und damit verbundenen Wandel. "

    Die EU hatte eine Aufhebung des Waffenembargos stets mit einer Verbesserung der Menschenrechtslage in China verknüpft. Amnesty international stellt dazu im letzten Chinareport zum Berichtsjahr 2004 fest:

    "Nach wie vor sind im ganzen Land schwere und massive Menschenrechtsverletzungen verübt worden. Zehntausende Menschen waren weiterhin inhaftiert, weil sie ihre grundlegenden Menschenrechte wahrzunehmen versucht hatten."

    Dazu kommt, dass der Nationale Volkskongress in China im März ein so genanntes Anti-Sezessionsgesetz beschlossen hat. Danach kann die Führung der Volksrepublik in dem Fall, dass sich Taiwan formell unabhängig erklären sollte, der Insel den Krieg erklären. Eine Aufhebung des EU-Waffenembargos, die nur mit einstimmigem Beschluss der Mitgliedsländer erfolgen kann, gilt seitdem als politisch chancenlos, weil Europa die USA, Taiwans Schutzmacht, nicht brüskieren möchte. Bundeskanzler Schröder hielt dennoch unbeirrt daran fest, das Embargo müsse vom Tisch. Dass er mit seiner Forderung keinen Erfolg haben konnte, wusste der Pragmatiker. Offensichtlich zielte Schröder mit seinem Vorstoß nicht auf Brüssel, sondern auf Peking: Er wollte sich dem neuen Wirtschaftsriesen als verlässlicher politischer Partner andienen, um der deutschen Wirtschaft den chinesischen Markt zu öffnen. Damit hatte der Kanzler allerdings sämtliche Fraktionen des Bundestags gegen sich, die sich parteiübergreifend hinter das EU-Embargo stellten.

    Die neuen Regierungspartner SPD und Union haben sich nun dem Vernehmen nach darauf geeinigt, das Thema Waffenembargo auf Eis zu legen. Während die China-Politik des bisherigen Kanzlers Schröder Schlagzeilen machte, lief die Masse der Rüstungsexporte hinter den Kulissen ganz unaufgeregt über die Bühne. Ein Eindruck, den Christopher Steinmetz vom Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit bestätigt:

    "Vom Ansatz her ist natürlich die Rüstungsexportpolitik der rot-grünen Bundesregierung wesentlich restriktiver, auf dem Papier. In der Praxis lassen sich kaum Unterschiede feststellen. In neunzig Prozent der Fälle hat die Bundesregierung unter Rot-Grün genauso entschieden wie Kohl entschieden hätte. Eigentlich wird eine allgemeine Strategie der Legitimation von Rüstungsexporten fortgeschrieben. "

    In einzelnen Entscheidungen waren CDU und CSU gelegentlich anderer Ansicht als die Regierung Schröder. Aber in der Gesamtschau störte die Opposition eigentlich nur eines: Dass Rot-Grün die Rüstungsexportpolitik der Kohl-Regierung fortsetzte, dabei aber so tat, als täte sie es nicht. Für die Große Koalition wird es bei den Waffenausfuhren wohl heißen: Business as usual – es bleibt alles beim alten.