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Die Not der Forscher

Fischer: Die Debatte um die Elite-Universitäten, die derzeit heftig geführt wird, hat vor allem eines ans Tageslicht gebracht: die Diskrepanz zwischen den vollmundigen Bekenntnissen der Bundesregierung zum "Wissenschaftsstandort Deutschland" und der zum Teil gefährlichen Unterversorgung der ganz normalen deutschen Massen-Universität. Schöne Fotostrecken in den Zeitungen zeigten deshalb Männertoiletten aus der Kaiserzeit und Hörsäle im unfreiwilligen Retro-Stil der 70er Jahre. Und demnächst drohen auch noch jene Mittel auszulaufen, die aus dem Erlös der UMTS-Lizenzen in die Forschung geflossen sind, Hunderte Millionen Euro waren das. - In Frankreich scheint die Lage aber noch wesentlich dramatischer zu sein. Dort wurden im letzten Jahr Gelder, die den Wissenschaftlern und Instituten für Grundlagenforschung eigentlich bewilligt waren, erst gar nicht ausgezahlt. Nach Monaten des ungehörten Protests haben französische Forscher jetzt im Internet den "nationalen Notstand" ausgerufen. Am meinen Kollegen Jürgen Ritte in Paris die Frage: Worum genau geht es?

Karin Fischer im Gespräch mit Jürgen Ritte |
    Ritte: Es geht genau um das, was Sie angesprochen haben. Es geht darum, dass die bewilligten Mittel eingeklagt werden, die der Staat noch nicht ausgezahlt hat. Ganz konkret: Das Budget 2002 war Ende 2003 erst zur Hälfte überwiesen an die verschiedenen Forschungseinrichtungen in Frankreich, und die Vereinigung Forschung in Gefahr, die am 7. Januar eine Petition ins Netz gestellt hat, angeführt in der Regel von Molekularbiologen, zählt inzwischen über 8.000 Unterschriften von französischen Wissenschaftlern.

    Fischer: Wie abhängig sind denn französische Forschungseinrichtungen von diesen staatlichen Geldern, und wie dramatisch ist die Situation überhaupt?

    Ritte: Sie sind extrem abhängig, denn im Gegensatz zu Deutschland ist in Frankreich private Forschungsförderung fast abwesend. Das heißt, das französische Innlandsprodukt in Höhe von 1 Prozent für die Forschung ist ungefähr alles, mit dem die französische Forschung auskommen muss. Deutschland hat nicht wesentlich mehr an öffentlichem Geld für die Forschung bereitzustellen, aber es kommt noch eine ganze Reihe an privater Forschung hinzu. Das funktioniert in Deutschland und vor allen Dingen in den Vereinigten Staaten besser.

    Fischer: Was ja auch zu beobachten ist, ist die Parallele zwischen den Lippenbekenntnissen. Staatspräsident Jacques Chirac hat vor kurzem ja auch wieder die Konkurrenzfähigkeit des Landes in Sachen Forschung als nationale Priorität beschworen, ist ihr aber letztendlich nicht nachgekommen, oder?

    Ritte: Ja, das ist ein gesamteuropäisches Phänomen, das man vor allen Dingen im vergangenen Jahr beobachten konnte. Die Lippenbekenntnisse und die Absichtserklärungen der Politiker stehen in ganz eklatantem Widerspruch zu der Realität. Es ist ja nicht nur so, dass bestimmte Budget nicht ausgezahlt werden und damit Großforschungseinrichtungen gar nicht funktionieren, sondern gleichzeitig werden auch noch Stellen abgebaut, ganz drastisch, auch hier um über 50 Prozent reduziert für die Rekrutierung von wissenschaftlichem Nachwuchs, und das ist einfach katastrophal. Das heißt, der Wissenschaftsstandort Frankreich und damit - das muss man gesamteuropäisch sehen - eben Europa in der Konkurrenz mit Amerika oder Japan gerät ganz anständig ins Hintertreffen.

    Fischer: Wenn man, wie Sie vorher auch schon angedeutet haben, private Forschungsförderung in Frankreich etablieren wollte, dann käme das fast einer Kulturrevolution gleich. Worin bestünde die?

    Ritte: Die Kulturrevolution bestünde daran, dass in der Tat - und dagegen haben sich vor allen Dingen auch öffentliche Forschungseinrichtungen auch gewährt - die Angst überwunden werden müsste, dass privates Einmischen in Forschungsbelange nicht unbedingt negativ gesehen werden muss. Aber, um es noch einmal auf den Punkt zu bringen, der in Frankreich diskutiert wird, es geht weniger darum, dass man Widerstände überwinden will zur Einwerbung von privaten Mitteln und privatem Engagement. Es geht vielmehr darum, dass der Staat sich aus einer Pflicht verabschiedet, die Grundlagenforschung zu fördern, und Grundlagenforschung ist immer ein öffentliches Projekt. Das tun private Unternehmen selten, die sind interessiert an Forschungsanwendung, anwendungsorientierter Forschung - das ist ganz normal so -, aber die Grundlagenforschung, das ist eine öffentliche Sache, und sie wird sträflich vernachlässigt, nicht nur in Frankreich. Es ist eben sehr schwer, in Politikerhirne hineinzubekommen, dass diese Grundlagenforschung, die zunächst einmal interesselos betrieben wird, wo es wirklich um wissenschaftliche Basis geht, absolut sein muss, um neue Wege in der Anwendung zu bekommen. Also die ganze Revolutionierung der optischen Technologien, Lasertechnik usw., aber auch die Gentechnologie und die ganze medizinische Optik, was wir in den letzten 20 Jahren erlebt haben, all das sind Ergebnisse von Grundlagenforschung, die zunächst gar nicht unbedingt das Ziel der Anwendung hatte.

    Fischer: Ist denn diese wenig privat finanzierte Forschungsförderung in Frankreich, ist das auch der Grund, warum die Proteste der Forscher so lange nicht erhört wurden? Heißt es, sie haben eigentlich keine wirkliche Lobby?

    Ritte: Das mag sein, aber im Grunde genommen ist der Fall schon fast umgekehrt. Französische Unternehmen, die sich in der privaten Forschungsförderung engagieren könnten, sind in den letzten Jahren mit ihren Aufträgen ins Ausland gewandert, und da vor allen Dingen nach Amerika. Und warum? Das ist jetzt das Kuriosum und entspricht so gar nicht dem Vorurteil, das wir hier in Europa haben, deswegen, weil man in den USA seit langem erkannt hat - und selbst der jetzige Präsident Bush hat es erkannt - ,dass man ohne eine qualifizierte und gut ausgestattete Grundlagenforschung keine privaten Mittel an Land ziehen kann.