Sonntag, 28. April 2024


Die Ölsandfelder im Norden von Alberta

Ich sitze schon wieder im Flugzeug und versuche, meine persönliche CO2-Bilanz zu verdrängen. Dabei fällt mir der geringe Frauenanteil in der Maschine auf. Außer der Stewardess und mir sehe ich genau fünf. Die restlichen etwa 80 Passagiere sind Männer.

Von Monika Seynsche | 10.11.2011
    Eine Stunde später landen wir in Fort McMurray und in der Empfangshalle wartet Nathan Lemphers auf mich. Der Spezialist für Ölsande arbeitet beim Pembina Institute, einer privaten Forschungsorganisation, die sich mit Energie- und Klimathemen befasst. Er will mich zu den Ölsandfeldern führen.

    Aber wenn ich neu in Kanada sei, sagt er, müssten wir zuerst einen Stopp bei Tim Hortons einlegen. Das sei eine kanadische Legende und der Kaffee dort mache süchtig. Wir fahren in die Innenstadt auf den Parkplatz eines Schnellrestaurants, vor dessen Drive-in-Essensausgabe sich eine lange Schlange von Pick-up-Trucks reiht. Während wir frühstücken, erzählt mir Nathan Lemphers von den Versuchen der kanadischen Regierung, europäische Klimaschutzbemühungen zu torpedieren. Die EU plant zurzeit eine neue Richtlinie, die nur noch Treibstoffe erlauben soll, bei deren Herstellung nur geringe Mengen Treibhausgase entstehen. Öl aus Ölsanden könnte dann nicht mehr nach Europa importiert werden, da bei seiner Produktion wesentlich mehr Treibhausgase frei werden als bei der Produktion von Öl aus konventionellen Quellen. Deshalb betreibe Kanada zurzeit intensive Lobbyarbeit in Brüssel, um zu verhindern, dass diese für den Klimaschutz sinnvolle EU-Richtline zustande komme, sagt Lemphers.

    Kurze Zeit später sind wir auf dem Highway 63 Richtung Norden unterwegs. Braun eingestaubte Lkw überholen uns. Nach etwa 40 Kilometern kommen die gigantischen Stahlkonstruktionen und Schornsteine von Syncrudes Mildred Lake Operations in Sicht, einer der größten Firmen hier. Allein 2010 hat Syncrude mehr als 17 Milliarden Liter Rohöl aus den Ölsanden gewonnen. Nathan Lemphers hält auf dem Seitenstreifen und wir steigen aus. In der Luft hängt ein penetranter Geruch nach Öl und Schwefel.

    Alle paar Sekunden erschallen Kanonenschüsse. Mit ihnen versuche man Vögel zu verscheuchen, erzählt er. Denn für die Tiere stellten die großen Seen, die sich rechts und links des Highways erstrecken, tödliche Fallen dar.

    Es sind keine natürlichen Seen, sondern Gruben, in welche die bei der Ölsandproduktion anfallenden Rückstände gepumpt werden. Ein zähflüssiger Giftcocktail aus Naphtensäuren, polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen, Ammoniak, Arsen, Selen, Quecksilber und anderen Schwermetallen. Jeden Tag werden 200 Millionen Liter dieser Rückstände produziert und unter freiem Himmel endgelagert.

    Als wir gerade wieder einsteigen wollen, hält neben uns ein Jeep und eine Frau in Warnweste steigt aus. Security steht darauf. Sie fragt uns, was wir hier wollten, lässt sich unsere Ausweise zeigen und notiert sich die Namen. Dann dürfen wir weiterfahren. Mit ihrem Auto verfolgt sie uns noch einige Kilometer und achtet darauf, dass wir dem Firmengelände nicht noch mal zu nahe kommen.

    Auf die Minengelände selbst gelangt man nur mit organisierten Touren. Eigentlich hatte ich vor, am nächsten Tag an einer solchen für US-amerikanische Journalisten organisierten Veranstaltung teilzunehmen. Die Pressedame war auch optimistisch, dass für mich und ein niederländisches TV-Team noch Plätze frei sein sollten. Dann allerdings kam die Absage. Die Regierung von Alberta und das kanadische Konsulat hätten unsere Teilnahme untersagt. Sie befürchteten, dass europäische Reporter die US-amerikanischen Journalisten zu sehr ablenken würden.

    Die weiteren Tagebucheinträge von Monika Seynsche finden Sie unter:
    Wunden der Erde - Ein Reisetagebuch

    Die Recherchereise wurde mit Mitteln der Robert Bosch Stiftung im Rahmen der Initiative Wissenschaftsjournalismus gefördert.
    Nathan Lemphers ist Spezialist für Ölsande beim Pembina Institute
    Nathan Lemphers ist Spezialist für Ölsande beim Pembina Institute (Monika Seynsche)
    Gewaltige Maschinen holen die Ölsande aus dem Boden
    Gewaltige Maschinen holen die Ölsande aus dem Boden (Monika Seynsche)
    Vogelscheuchen sollten Tiere von den giftigen Seen fernhalten
    Vogelscheuchen sollten Tiere von den giftigen Seen fernhalten (Monika Seynsche)