Archiv

"Die Orestie"
Aischylos am Theater Oberhausen

Der Jungregisseur Simon Stone wird zurzeit viel beachtet, weil er Stücke aus dem Kanon nicht neu deutet, sondern auf die Gegenwart hin umschreibt. Aus Aischylos' dreiteiliger Tragödie "Orestie" macht der Australier in Oberhausen ein Generationen-Drama von heute.

Von Karin Fischer |
    Die Zuschauerreihen sind im Viereck sehr nah um ein kleines quadratisches Podest herum angeordnet, auf dem wenig Requisiten und selten mehr als drei Personen zu sehen sind. Ein schwarzer Kubus aus Stoff senkt sich viele Male von oben über diese Spielfläche, trennt die vielen Einzelszenen, dient als Schwarzblende wie beim Film und informiert auf allen vier Seiten über den Inhalt des Geschehens. Während die Leuchtschrift streng und sachlich ist - "Orest bringt den Fluch zu Ende" - herrscht auf der Bühne der forcierte Slang von Jugendsprache und die super-aufgeklärte Weltsicht des Wohlstands-Jetsets.
    "Also ich nehme das jetzt auf." – "Mit deinem Handy?" – "Mit meinem Handy." – "So ne Art Diktiergerät?" – "Ganz genau." – "Und du kannst das jetzt praktisch direkt jemandem mailen, sofort?" – "Ja." – "Also, man sagt mir ja immer, ich soll mir mal so ein Smartphone zulegen, aber ... wo bleibt da die Ruhe?"
    Das mag man "gegenwartsgesättigt" nennen oder aber "albern" - jedenfalls geht einem dieser Signal-Sprech gehörig auf die Nerven. Von Facebook, Skype und Instagram über Breaking Bad, Star Trek und Madagaskar bis hin zu den üblichen vielen F-Wörtern wird im ersten Akt ein Tsunami aus Chiffren für "Gegenwart" ausgekippt, der nur eines deutlich macht: Dass die "Götter" in diesem Drama von Cash-Kards und Kommunikationsmedien ersetzt wurden. Dazu trägt die Musik dick und gefühlig auf wie in einer TV-Soap.
    Simone Stone erzählt in seiner neuen "Orestie" als ein Generationen-Drama von heute und mit "Sex and Crime im Königshaus" zunächst einmal von den ganz normalen Problemen einer Oberschichtenfamilie. Agamemnon war halt schon sehr lange weg, kein Wunder, dass seine Frau sich einen Liebhaber hält. Weil Klytämnestra und Aigisth nicht nur das Bett, sondern auch Kokain auf der Käseplatte teilen, haben sie die Kinder früh weg organisiert. Orest kam ins Internat, Elektra sitzt ohnehin im Rollstuhl, seit sie nach dem Tod ihrer Schwester Iphigenie von einer Brücke gesprungen sein soll.
    Zwischen den fast karikaturhaft auf heute getrimmten Dialog-Zeilen erzählt Simon Stone dann aber auch noch vom Drama verlassener Kinderseelen, die über den Verlust ihrer Schwester nie hinweggekommen sind. Oder er erzählt vom Trauma einer Mutter, Klytämnestra, die sich von ihrer sterbenden Tochter nicht verabschieden konnte und deshalb ihren Mann umbringt. Dass diese neu erdachte Mords-Geschichte rückwärts erzählt wird, birgt dabei den zusätzlichen Reiz, dass die Zuschauer immer näher und dramatischer an den Kern und Ursprung des Familiendramas herangeführt werden, wie in einem Krimi.
    "Ich hatte doch keine andere Wahl!" – "Es gab 1000 Möglichkeiten. Ich hätte zehn Jahre mit ihr haben können. Es hätte ihr gut gehen können!" – "Es wäre ihr nie wieder gut gegangen!"
    Die überraschende Enthüllung kommt dann ganz zum Schluss. Sie ist dramatischer Höhepunkt und sinnreicher Clou einer Überschreibung, die allerdings viel zu gewollt ist, um wirklich gut zu sein. Und viel zu bombastisch, um wirklich unter die Haut zu gehen. Was die Aufführung rettet, ist das durchweg überzeugend spielende Ensemble, das der forcierten amerikanischen Serien-Ästhetik viel Tiefe, Ernst und Intensität abzuringen vermag. Die Kritik ist sich noch nicht einig, ob der gehypte australische Jung-Regisseur Simon Stone das Theater an das Niveau von Vorabendserien im Privatfernsehen verrät oder ob er als die Antwort des Regietheaters auf HBO gelten darf. Sicher ist: Simon Stone wird als "Marke" einen kurzen Siegeszug durch europäische Festivals antreten. Er hat die Klassiker-Adaption fürs Publikum des Nintendo-Zeitalters erfunden. Dass er deren Lernziel – unkomplizierte, kurzfristige Unterhaltung – damit auch fürs Theater adaptiert, macht seine Stücke affirmativ und sein Konzept sehr angreifbar.