Archiv


Die Ostfriesen Frankreichs

"Willkommen bei den Sch'tis" gilt schon jetzt als der erfolgreichste französische Film aller Zeiten. Die amüsante und heiterkomische Komödie unter der Regie von Dany Boon spielt mit regionalen Sonderheiten, Vorurteilen und Klischees. Der Postbeamte Philippe Abrams, der eigentlich für die Riviera schwärmt, wird in den kalten Norden Frankreichs strafversetzt - und lernt trotz aller Unwägbarkeiten Land und Leute lieben.

Von Josef Schnelle |
    "Ich hielt das nicht mehr aus. Das Schlimmste war die Kälte."

    "Ach, dort ist es sehr kalt?"

    "Oh, so ist der Norden"

    Frankreich - das ist Paris und der Süden. Aber was ist mit dem Norden zwischen der Industriestadt Lille, dem Pas de Calais und der belgischen Grenze? Kalt und ungemütlich soll es da sein und die Bewohner ein bisschen eigenartig. Der beliebteste Käse stinkt, man trinkt den Schnaps aus Kaffeetassen, auch schon in der Früh, und dann ist da noch der eigenartige Dialekt den keiner versteht, der nicht aus der Region stammt - das Sch'ti.

    Die Bezeichnung basiert auf dem Ausdruck celui-ci - dieser da - karikiert auch die Angewohnheit im Sch'ti-Dialekt aus jedem S ein Sch zu machen und steht sowohl für die Sprache, wie für die Bewohner der Region, in die der Postbeamte Philippe versetzt wird, dem eigentlich der Sinn doch eher nach der sonnigen Cote D'Azur steht, weswegen ihn die kalten Aussichten in Nordfrankreich im kleinen Städtchen Bergues doch einigermaßen erschrecken. Am heftigsten stößt er sich allerdings an der Sprachbarriere. Erste Lektionen fördern zu Tage: Das wichtigste Wort scheint "Hä” zu sein.

    "Na, los! Probieren Sie es!"

    "Ich verstehe. Hä?"

    "Einwandfrei."

    "Hä"

    "Genau. Sie sprechen sch'ti."

    "Oh, verdammt."

    "Oh, nein. 'Oh, verdammt' sagen wir nicht. Das heißt 'Gott, verdaulicher'."

    "Hä."

    So klingt das jedenfalls in der deutschen Synchronfassung des Films, in der Stromberg-Darsteller Christoph Maria Herbst den nord-französischen eigentlich pikardischen Dialekt als dumme deutsche Comedy-Kunstsprache wiederauferstehen lässt. Das ist natürlich nicht die Idee des Schauspielers gewesen, sondern das Konzept der deutschen Vertonung des Films, schließlich erreichen Filme im Original mit Untertitel erwiesenermaßen dramatisch weniger Zuschauer als synchronisierte Fassungen.

    Insbesondere bei Filmen, die ihren Humor zu einem gewissen Teil aus der Dialektfärbung beziehen, wie zum Beispiel vor ein paar Wochen Mike Leighs Film "Happy Go Lucky” der im Londoner Cockney-Milieu angesiedelt ist. Bei solchen Filmen ist die Verführung groß für den Synchronregisseur "dem Affen Zucker zu geben” und eine komödiantische möglichst derbe Ebene draufzusatteln. Das geht meistens schief und wirft ein bedenkliches Licht auf das einst in Deutschland so hoch gehaltene Niveau der Filmsynchronisation. Besonders riskant ist das Verfahren der komödiantischen Verdopplung, wenn der Dialekt auch noch ausdrückliches Thema ist, wie in "Willkommen bei den Sch'tis”. Allerdings ist das in der französischen Originalfassung auch schon nicht besonders feinsinnig, wie man an dem folgenden kleinen Dialog schon hören kann: Der Südfranzose Phillipe versteht nur "Chien” also Hund wo doch sien - seines - gemeint ist.

    Eigentlich erzählt der Film eine dieser Geschichten, die gemeinhin im Süden spielen, wo ein gestandener steifer Nordländer endlich lernt, fünf gerade sein zu lassen und sich von der hedonistischen Lebensart der Sizilianer, Griechen oder ja auch Südfranzosen anstecken und verändern lässt. Auch Meisterregisseur Billy Wilder hat zu diesem Genre einen Film beigetragen mit "Avanti Avanti".

    Der Komödienregisseur Danny Boon hat das Muster also eigentlich nur geografisch umgedreht. Sein Held findet das Glück des "savoir vivre" ausgerechnet im Norden, den er anfangs, und das hat er sicher mit den meisten seiner Mitbürger gemeinsam, so kalt und abstoßend fand.

    "Willkommen bei den Sch'tis" ist beherrscht von solchem derbem Comedy-Humor und trotz des großen Erfolgs beim französischen Publikum eine im Grunde belanglose flache Komödie. Und vor alle die deutsche Synchronisation kann man eher als vollkommen misslungen bezeichnen, weil sie das Niveau noch einmal drückt.