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Die Panzer-Krise der Regierung Schröder

Koczian: Dass im Bundessicherheitsrat der Außenminister vom Kanzler überstimmt wurde, das hat die FDP weder in der sozial-liberalen Koalition mit Brandt und Schmidt noch in der christlich-liberalen mit Kohl fertig gebracht. Das Schauspiel blieb dem Grünen-Außenminister Fischer mit seinem SPD-Kanzler Schröder vorbehalten. - Am Telefon in Berlin begrüße ich den Außenamtschef der vergangenen Regierung, Klaus Kinkel. Guten Morgen Herr Kinkel!

    Kinkel: Guten Morgen Herr Koczian.

    Koczian: Ist ein derart abgemeierter Außenminister eigentlich noch voll handlungsfähig?

    Kinkel: Sie haben es ja gesagt. Das hat es in der Vergangenheit nie gegeben - und ich war lange Jahre Mitglied des Bundessicherheitsrates -, dass der Außenminister, der ja zugleich Vizekanzler ist, überstimmt wird. Wir haben in der praktischen Durchführung der Vorbereitung solcher Entscheidungen eben immer die Dinge abgestimmt. Außerdem sind sie nicht nach draußen getragen worden. Ich habe den Eindruck, hier sind die Grünen wirklich plattgewalzt worden, und ich frage mich natürlich, ob Fischer als Außenminister und Vizekanzler in der Regierung bleiben kann, wenn er offensichtlich in einer zentral wichtigen Frage überstimmt wird.

    Koczian: Wären Sie denn in einer solchen Lage zurückgetreten?

    Kinkel: Ich hätte es zu dieser Lage nicht kommen lassen. Wir haben das ja in den vergangenen Jahren 100mal in der Praxis praktiziert. Es war glasklar: Wenn in der Koalition, in der ich als Außenminister Verantwortung getragen habe, im Bundessicherheitsrat Fragen anstanden, wo ich nicht mitmachen konnte, habe ich deutlich und klar erklärt, geht nicht, Koalitionsfrage. Und der Bundeskanzler war klug genug, das dann entweder gar nicht zur Abstimmung zu bringen oder eben einen Ausgleich zu suchen. Jedenfalls ist der Außenminister, weder Herr Genscher noch Klaus Kinkel, je im Bundessicherheitsrat überstimmt worden.

    Koczian: Man könnte natürlich auch umgekehrt fragen: Wie viel außenpolitische Sensibilität hat ein Kanzler, der seinen Außenminister so behandelt?

    Kinkel: Hier geht es natürlich auch um parteipolitische Fragen, die stark in die Innenpolitik hineingehen. Schröder will als Bundeskanzler zeigen und muss es bei dem Desaster, das in der Innenpolitik bisher angerichtet wurde, auch zeigen, dass er in solchen außenpolitischen Fragen handlungsfähig ist. Er will auch der Wirtschaft zeigen, dass er für sie ist. Fischer hat hingegen ganz einfach Angst. Ich meine, die Situation in der Grünen-Partei ist, was Rüstungsexporte anbelangt, was Wirtschaftsfragen anbelangt, so, dass er vieles nicht tun kann. Ich werfe ihm ja beispielsweise auch vor, dass er in Außenwirtschaftsfragen praktisch nichts tut. Ich höre jedenfalls nichts. Still ruht der See! Das hat eben mit der innenpolitischen Situation zu tun, und da geht es dann jetzt massiv an die Glaubwürdigkeit.

    Koczian: Außenpolitik, Sie haben darauf hingewiesen, eignet sich ja nur bedingt zu parteipolitischen Auseinandersetzungen. Was sehen Sie nach einem Jahr grüner Außenpolitik als anerkennenswert, als gut erledigt?

    Kinkel: Innenpolitisch ist ja nun so ziemlich alles schief gegangen, was schief gehen konnte bei dieser Regierung. Der Kosovo-Konflikt, der schwierig zu meistern war, an dessen Meisterung aber die Oppositionsparteien FDP und CDU/CSU nun wirklich massiven Anteil hatten. Was wäre passiert, wenn Kohl, Rühe und Kinkel diesen Krieg hätten führen müssen? Da wären wahrscheinlich die Grünen, die heute dafür sind, auf der Straße gewesen und hätten gegen uns protestiert. Dieser Kosovo-Konflikt hat vieles gnädig verdeckt. Nun war es ja so, dass die Regierung erklärt hat, in der Innenpolitik ist vieles schief gegangen, aber in der Außenpolitik haben wir alles toll gemacht. Das ist nun auch nicht so. Die Kosovo-Krise ist - das will ich sagen - nicht schlecht gemeistert worden, und das war eine große Herausforderung. Aber ich habe jetzt den Eindruck, dass im übrigen sowohl der Kanzler wie der Außenminister in allen anderen außenpolitischen Fragen völlig erschöpft sind. Man hört nichts zu Afrika, man hört ichts zu Asien und zur Pazifik-Region, man hört nichts zu Nahost, ich höre nichts zu Lateinamerika, nichts zu Außenwirtschaftsfragen. Still ruht der See! Da muß man nur sehen, was schief gegangen ist. Denken Sie mal an die deutsch-französischen Beziehungen. Ich meine, ich will nicht nur schimpfen. Das wäre falsch. Ich habe aber das Gefühl, dass nach einem Jahr des ruhigen Zusehens wir eben auch in der Opposition und gerade auch ich als früherer Außenminister schon ein klein wenig sagen können, dürfen, müssen, da ist viel, viel schief gegangen. Sehen Sie sich das Schröder-Blair-Papier an ohne Abstimmung mit Frankreich.

    Koczian: Herr Kinkel, nehmen wir doch mal den Auslöser der Sicherheitsrats-Auseinandersetzung. Die christlich-liberale Koalition hätte doch wohl auch einen Panzer zur Ansicht geschickt, denn es geht ja um 14.000 Arbeitsplätze.

    Kinkel: Ja sicher, selbstverständlich. Das haben wir ja auch bei uns in der Fraktion eindeutig jetzt nochmals so beschlossen. Da gibt es überhaupt gar keine Frage. Den hätten wir selbstverständlich geschickt. Das Problem liegt doch darin, dass die Grünen einen Eiertanz vollführen. Der Außenminister möchte auf der einen Seite, dass die Türkei möglichst schnell in die EU hineinkommt und will ihr die Kandidatenrolle zubilligen. Darüber kann man ja nun wahrhaftig reden. Aber auf der anderen Seite geht er dann hin und sagt, der NATO-Partner Türkei soll keine Kampfpanzer bekommen. Das ist absurd! Dann wird noch der Eiertanz aufgeführt, als ob man jetzt in der Tat ein Musterexemplar schickt, um dann in ein, zwei oder drei Jahren entscheiden zu können, wenn die Türken sagen, ja, den wollen wir kaufen - sie wollen ihn ja auf dem freien Markt kaufen -, nein, da stimmen wir nicht zu. Das ist absurd! Das ist ja nun die Argumentationsweise der SPD, um den Zusammenhalt zu retten.

    Koczian: Kommen wir auf eine weitere Herausforderung dieser Tage: der Tschetschenien-Konflikt, aber auch die Instabilität in Armenien. Hat die OSZE genügend Einfluß im Kaukasus und was könnte Berlin tun?

    Kinkel: Es ist relativ wenig Möglichkeit, in Tschetschenien Einfluß zu nehmen. Man muß auf der einen Seite das Recht Russlands sehen, auf dem eigenen Territorium für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Aber natürlich erfordert die Situation an den geographischen und ethnischen Rändern Toleranz und vor allem die Acfhtung der Menschenrechte. Die Beurteilung der Situation ist auch nicht ganz einfach, weil man eben Transparenzdefizite hat. Wir wissen ja gar nicht genau was dort vorgeht. Das ist auch eine Sache, die massiv zu kritisieren ist. Natürlich ist es auch so, dass die Verhältnismäßigkeit der Mittel eindeutig verletzt erscheint. Darunter leidet vor allem die Zivilbevölkerung, und das muß man Russland deutlich und klar sagen.

    Koczian: Kommen wir noch zur Innenpolitik. Früher galt ja für die Demokratie, politisches Handeln ist zustimmungsabhängig und daher begründungsbedürftig. Inzwischen gilt, Politik in der Demokratie sei vor allem eine mediengerechte Inszenierung. Damit immerhin hat Gerhard Schröder die christlich-liberale Koalition abgelöst. Nun rächt sich diese Art von Politik aber, weil der Bürger jedesmal beim Tanken an die Wahlentscheidung erinnert wird. Nur von einer derartigen Simplifizierung von Politik profitieren die stets abwägenden Liberalen nicht. Nur die Union gewinnt. Wie die FDP wieder aus dem Tal herausführen?

    Kinkel: Ich meine, wir würden natürlich auch gerne profitieren von diesem unwahrscheinlichen Frust, der sich gegen diese Chaos-Kombo rot/grün aufgebaut hat. Das ist gar keine Frage. Die CDU/CSU profitiert davon, wir nicht. Im Prinzip will man aber in der Politik nicht nur von der Schwäche der anderen profitieren, sondern will durch eigene Stärke gewinnen. Ich glaube, dass jetzt die Fraktionsvorsitzenden-Neuwahl unseres Bundesvorsitzenden Gerhardt Ruhe bringt in unseren Beritt, und wir müssen durch eigene gute Politik überzeugen, mit unseren Themen durchdringen. Wir haben ganz offensichtlich Schwierigkeiten, was die Rolle der Opposition anbelangt, als kleine Partei, die über Jahre an der Regierung beteiligt war. Ich bin aber persönlich davon überzeugt, dass bei den bevorstehenden Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen die FDP wieder aufholen wird, gewinnen wird. Sehen Sie sich die Trendwende in Baden-Württemberg, meinem Heimatland an. Dort haben wir doch wirklich sehr gute Ergebnisse erzielt und haben nicht unwesentlich aufgeholt. Das zeigt, dass immer noch genügend Humus vorhanden ist für liberales Gedankengut. Wenn Sie sich die Situation in Europa ansehen, wo die Liberalen ja geradezu phänomenale Fortschritte haben. Jetzt denke ich nicht an Herrn Haider in Österreich, sondern an die anderen europäischen Länder, wo Liberale gute Ergebnisse erzielt haben. Es muß doch auch in Deutschland möglich sein, dass dieser Partei FDP, den Liberalen, die in der Nachkriegszeit nun entscheidend am Aufbau dieses Landes in Kommunen, in Ländern und im Bund beigetragen haben, dass es uns wieder gelingt und dass auch die Wähler uns wieder Vertrauen schenken. Ich bin da eigentlich zuversichtlich. Im Augenblick haben wir schweres Fahrwasser; kein Zweifel!

    Koczian: Vor 15 Jahren stand es ja vergleichsweise schlimm um die FDP: total verschuldet, kaum in den Parlamenten vertreten. Martin Bangemann brachte sie nicht nur aus dem Sterbebett, sondern verlieh ihr gar einen zweiten Frühling. Warum läßt sich das nicht wiederholen?

    Kinkel: Es läßt sich wiederholen! Sehen Sie, ich bin persönlich der Überzeugung, dass in der Politik es notwendig ist, in erster Linie Vertrauen zu schaffen, dann Vertrauen zu binden. Das müssen sie über Personen tun. Über gebundenes Vertrauen werden wieder Wählerstimmen gewonnen. Wir sind offensichtlich in den Augen von einigen im Augenblick nicht notwendig. Wir stehen nicht so im Vordergrund. Es ist uns sehr schwer, mit unseren guten Initiativen im Bundestag durchzudringen, weil wir halt einfach nicht so wahrgenommen werden. Das sage ich nicht, indem ich mich weinend ins Bett lege, sondern ich sage das ruhig und nüchtern analysierend. Wir dürfen aber nicht auf die anderen zeigen. Wir müssen auf uns selber zeigen. Wir müssen vor allem eben auch mit unserem Personalgequatsche jetzt endgültig aufhören. Das heißt nicht Grabesstille oder nicht Diskussion von Sachthemen, bei Gott nicht, aber offensichtlich müssen wir die Steuerthematik, müssen wir die Mittelstandsprobleme, müssen wir die Bildungspolitik, müssen wir all das, wo klassische liberale Themen auch im Bürgerrechtsbereich quasi auf der Straße liegen, stärker, eckiger, kantiger durchbringen, um wieder so wahrgenommen zu werden, dass die Menschen sagen, ja, die brauchen wir, die wollen wir auch wählen. Ich bin da eigentlich ziemlich sicher. Wissen Sie, das Totenglöcklein für die FDP ist zu oft vergeblich oder ich will mal sagen zu früh geleutet worden. So weit sind wir ja auch noch nicht, dass es geleutet wird.

    Koczian: Herr Kinkel, mit der Bitte um eine kurze Antwort: Wird es einen Sonderparteitag geben?

    Kinkel: Nein, es wird keinen Sonderparteitag geben. Davon bin ich tief überzeugt.

    Koczian: Im Deutschlandfunk war das der Bundesaußenminister außer Dienst, Klaus Kinkel. - Danke nach Berlin!