Capellan Herr Bisky, Kultursenator in Berlin wollten Sie ja nicht werden. Denken Sie denn jetzt schon über Ministerwürden in Brandenburg nach?
Bisky Nein, nein. Ich sehe das sehr gelassen. Zunächst einmal ist es so, dass die Dinge noch nicht entschieden sind. Stolpe ist immer für Überraschungen gut. Die kurze Zeit kann ich noch warten. Wir sehen das ja nicht nur mit einem lachenden Auge, sondern auch mit einem weinenden, denn ich weiß ja nicht, was man bei dem Haushalt politisch noch ausgestalten kann. Aber ich sage auch, die Zuwanderung, wenn Stolpe zustimmt und die große Koalition platzt, dann kann man verhandeln, denn die PDS hat im Wahlkampf _99 gesagt, wir sind auch Bereit, Verantwortung zu übernehmen. Es hängt aber natürlich davon ab, ob man sich einig wird oder nicht. Wir haben schon mal verhandelt und sind uns nicht einig geworden. Da hat Stolpe sich für die CDU entschieden. Das ist die Realität und ich sehe jetzt ganz ruhig den nächsten Tagen entgegen.
Capellan Sie haben ja lange mit Manfred Stolpe zusammengearbeitet. Kann er sich dem Drängen Schröders widersetzen, dem Zuwanderungsgesetz zuzustimmen?
Bisky Natürlich kann er. Er ist manchmal einsam in bestimmten Entscheidungen. Ein Ministerpräsident muss unabhängig sein. Davon gehe ich mal aus: er kann! Nur ob ihm das hilft weiß ich nicht, denn Tatsache ist ja, dass er vier Forderungen von Schönbohm nachgegeben hat, am 20. Dezember im Bundesrat eine Rede zu diesen vier Punkten bezüglich Zuwanderungsgesetz gemacht hat. Das hat ihm viel Kritik aus eigenen Reihen und von der Bevölkerung eingetragen. Jetzt kommt Schönbohm und die CDU und sagen, die vier Punkte sind uns nicht genug, Stolpe, du musst noch mal weitere Punkte springen lassen. Wenn er das nun auch wieder macht, dann ist natürlich die Frage, ob er dadurch besonders glaubwürdig wird, oder ob sich dadurch der Eindruck verstärkt, er folgt überall hin, wo Schönbohm ihn hinhaben will. Das wäre für ihn im Ruf sicher schädlich!
Capellan Es heißt ja, Schönbohm, der dieses Gesetz eigentlich wollte, habe gehofft, die Union würde ihm am Ende doch die freie Wahl geben, vor allem weil er ja argumentieren könnte, damit rot/rot in Potsdam verhindert zu haben. Hat er sich da verkalkuliert?
Bisky Na sicher! Ich glaube aber bei Schönbohm, wie ich ihn kenne oder beurteile, hängt es davon ab, ob er einen festen Platz bei Stoiber hat und wie er die Wahlaussichten bei der Bundestagswahl einschätzt, ob er denn in die Bundesregierung nach Berlin will oder ob er in Potsdam bleiben will. Davon hängt es ab. Das andere glaube ich sind mehr Legitimationen für die Öffentlichkeit oder Versuche, der Öffentlichkeit einen Grund zu geben. Ich glaube bei Schönbohm ist es schon entschieden, unabhängig davon was Stolpe macht.
Capellan Was wäre wenn? Was wäre, wenn die Koalition morgen platzen würde? Hätten wir dann rot/rot für zwei Jahre ohne Neuwahl?
Bisky Es wäre ja eine Möglichkeit. Die Wahlergebnisse in Brandenburg waren ja so, dass die CDU mit wenigen Prozentpunkten mehr - ich glaube vier Prozentpunkte - gewählt wurde als die PDS. Die Meinungsumfragen zeigen, die politischen Verhältnisse im Land sind stabil zwischen diesen drei Parteien verteilt. Also wäre eine Koalition durchaus denkbar. Das setzt natürlich voraus, dass man sich einigen kann. Von PDS-Sicht wäre das die Landespolitik in Richtung mehr soziale Gerechtigkeit zu bringen, etwas mehr für Wissenschaft, Bildung, Kultur zu tun, natürlich in Ansehung der nötigen Pflicht einer Konsolidierung des Haushalts. Wenn man sich dort einigen kann, dann wäre es denkbar.
Capellan Dann müsste man nicht die Wähler noch fragen, ob sie das wollen?
Bisky Ja natürlich, das sollen wir dann. Wenn wir die Landespolitik verändern können, beeinflussen können in diese Richtung - das haben wir zu den Wahlen gesagt -, dann sind wir bereit, Verantwortung zu übernehmen.
Capellan Dann aber auch vorgezogene Neuwahlen?
Bisky Neuwahlen muss es geben, wenn es zu keiner Einigung kommt. Das ist dann ja auch eine Möglichkeit. Ich habe überhaupt nichts gegen Neuwahlen, meinetwegen morgen!
Capellan So weit sind wir ja noch nicht. Die PDS stimmt dem Zuwanderungsgesetz zu. In Mecklenburg tut sie das, auch in Berlin. Da wird Ihnen ja vorgeworfen, sich doch allzu sehr an die SPD anzubiedern aus koalitionstaktischen Überlegungen. Dem würden Sie wahrscheinlich widersprechen. Sind Sie ein Überzeugungstäter?
Bisky Nein, nein. Ich sage nur, die PDS hat das Gesetz im Bundestag abgelehnt. Das geht in Ordnung. Jetzt regiert sie aber mit und sie hat auch gesagt, es gibt Verbesserungen. Es ist jetzt die Frage: wird dieses Gesetz eine Chance haben mit den Verbesserungen und kann man in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern landespolitisch noch etwas ausgestalten, nicht rechtlich, aber landespolitisch etwas für die Betroffenen tun? Dann kann man sich dafür entscheiden. Ich habe Verständnis dafür, dass in Mecklenburg-Vorpommern und auch in Berlin die PDS sagt ja, wir wollen das annehmen, damit Stoiber mit dieser harten Position und ich sage auch mit den fremdenpolitischen Tönen, die im Untergrund und im Hintergrund mitschwingen, nicht durchkommt. Das ist eine Haltung, die kann ich verstehen, die kann ich billigen. Wer in die Politik geht, kann nicht jeden Tag nur und ausschließlich Grundsatztreue streicheln, sondern er muss auch bereit sein, vernünftige Kompromisse einzugehen, und das tut die PDS ja.
Capellan Herr Bisky, lässt sich das dem Wähler vermitteln, im Bundestag nein zu sagen, im Bundesrat ja?
Bisky Das ist eine Frage, wie kann die PDS überhaupt glaubwürdig an Politik teilnehmen. Wir haben ja auch eine Umverteilung von Arbeit und Reichtum vor und Jedermann weiß, dass das nicht mit einer 5- oder 6-Prozent-Partei geht, sondern wir sagen, wo wir langfristig hin wollen, was wir erreichen wollen, was wir auf demokratische Weise erreichen wollen. Zugleich haben uns die Wähler in eine politische Verantwortung in einigen Ländern im Osten gestellt und die müssen wir wahrnehmen. Die Wählerinnen und Wähler wissen sehr genau, was wir dort erreichen können. Das fordern sie von uns. Dem müssen wir entsprechen. Sie sind aber Realisten genug und wissen, dass natürlich die PDS nicht die Mehrheiten hat, um beliebig das zu tun, was sie denn laut Parteiprogramm will. Dieses Verständnis ist da. Da habe ich überhaupt keine Bange und das erschreckt die Wählerinnen und Wähler nicht.
Capellan Lothar Bisky war das, PDS-Fraktionschef im Landtag von Brandenburg. - Herr Bisky, vielen Dank und auf Wiederhören!
Link: Interview als RealAudio