Burkhard Müller-Ullrich: Fangen wir an mit einem Design-Subjekt und –Objekt der französischen Philosophie, mit Bernard-Henri Lévy. Man nehme die Rechthaberei eines Günter Grass, die Heldenpose eines Günter Wallraff, die Selbstüberschätzung eines Rolf Hochhuth und das Nervensägenhafte aller drei, um nur ein paar Gramm jener Substanz zu gewinnen, aus der Lévy zu hundert Prozent besteht. Dabei fehlt aber noch etwas Entscheidendes: nämlich die politische, zumindest die kulturpolitische Macht, die er kraft seiner vielen Ämter und Funktionen besitzt. Diesem Bernard-Henri Lévy ist nun in seinem jüngsten Buch mit dem Titel "De la guerre en philosophie" eine fürchterliche Peinlichkeit unterlaufen, er hat nämlich ein angebliches Kant-Zitat aus einem anderen Buch abgeschrieben und nicht gemerkt, dass er damit einem Jux aufgesessen ist. Jürgen Ritte in Paris: Wie laut ist denn jetzt das Lachen über Lévy zu hören?
Jürgen Ritte: Na, das hört man sehr laut, weil die Fallhöhe ist natürlich gewaltig. Wenn man Bernard-Henri Lévy heißt, oft den Zeigefinger ausstreckt und moralisch belehrt und dann bei so einem kleinen dummen Fehler erwischt wird, also auf einen "Canular" nennt man das in Frankreich, auf eine Witzgeschichte hereinfällt – das ist in Frankreich sehr populär, solche erfundenen Zitate, erfundenen Schriftsteller, erfundenen Philosophen in Umlauf zu bringen. Und er zitiert einen davon, einen gewissen Monsieur Botul, der seit vielen Jahren sein Unwesen treibt, auch eine Gesellschaft der Freunde hat, die über seine Philosophie, die nicht existiert, lange diskutiert. Und ein Canard-enchaîné-Journalist hat diesen Herrn erfunden und ihm auch das ein und andere Zitat in den Mund gelegt. Eines davon hat Bernard-Henri Lévy aufgenommen, um es auf Immanuel Kant anzuwenden in sehr kritischer Absicht.
Müller-Ullrich: Das erinnert uns natürlich ein bisschen an die herrliche Geschichte, über die ein einstiger "Zeit"-Kulturchef namens Fritz Raddatz stolperte, weil er auch auf den "Canular" seines Kollegen von der "Neuen Zürcher" hereinfiel, der im Zusammenhang mit der Frankfurter Buchmesse damals etwas von der Eisenbahn schrieb, die es in Frankfurt zu jener Goethe-Zeit natürlich noch nicht gab.
Ritte: So ist es. Und das ist damit sehr schön erklärt, was ein "Canular" ist, nur liegt bei Bernard-Henri Lévy der Fall etwas anders. Geirrt hat er sich schon häufiger, gelacht ist auch schon oft worden über seine Bücher, aber er ist im Unterschied zu Fritz J. Raddatz, der damals Feuilletonchef der "Zeit" war, doch ein bedeutend unabhängigerer Mensch. Er ist von Haus aus sehr reich, er hat auch sehr viel Reichtum dazugescheffelt durch seine erfolgreichen Publikationen, und insofern droht ihm da keine Gefahr, dass er irgendwie am nächsten Morgen entlassen werden könnte und nicht mehr wüsste, wie er die Miete am Ende des Monats bezahlen könnte.
Müller-Ullrich: Tatsächlich, sein Vermögen stammt aus dem väterlichen Holzhandel und wird, wie ich gelesen habe, auf 150 Millionen Euro geschätzt.
Ritte: Ja, diese Summe kursiert, ob das genau stimmt – aber es ist genug, nicht, für uns alle, um uns vorzustellen, dass man damit ein sorgenfreies Leben hat. Bernard-Henri Lévy ist ja auch eher eine Marke, er läuft ja gar nicht unter seinem vollen Namen in den Medien, sondern er ist immer nur BHL (französisch ausgesprochen), BHL heißt das. Und das ist eine Marke, das ist eine Darstellung von Philosophie und von Politik und von Engagement. Dazu hat er eine Pose ersonnen, die vom ästhetischen Gesichtspunkt her gesehen vielleicht etwas ansprechender ist als die der drei, die Sie eben genannt haben. Und dieses Geschäft funktioniert seit vielen Jahren, seit über 30 Jahren. Und er ist jemand, der auch nie einen Hehl daraus gemacht hat, wie strategisch er umzugehen pflegt auf dem literarischen Feld. Er ist im Grunde genommen eine Fallstudie dafür, wie man Macht und Einfluss behauptet und gewinnt auf dem literarischen Feld, und das beweist er jedes Mal mit jedem Buch, mit jedem Film, mit allem, was er tut, aufs Neue: Alle, die jetzt lachen, reagieren. Und sie lachen eben laut genug, dass das Buch in aller Munde ist. Und schon wieder ist die Operation Marketing perfekt gelungen.
Müller-Ullrich: Und wie schafft er es denn tatsächlich, dann das überleben, diesen Skandal, dem er ja jetzt nun tatsächlich ausgesetzt ist? Liegt es – also am Geld sicherlich nicht, dazu ist er unabhängig genug – liegt es daran, dass er genügend Truppen hat? Er sitzt ja in x Aufsichtsräten, beim Fernsehsender ARTE, im Verlagshaus Grasset, bei der Tageszeitung "Libération", früher war er auch noch bei der Filmförderungskommission im Vorstand und so weiter und so fort. Sind das seine Truppen?
Ritte: Das sind zum Teil seine Truppen, obwohl "Libération" beispielsweise einen sehr kritischen Artikel über diesen Ausrutscher gebracht hat. Er ist jemand, der Schlägereien im intellektuellen Feld gewöhnt ist und der sich wehren kann und auch die Eleganz besitzt – und die hat er besessen diese Woche schon im Fernsehen –, auf eine sehr humorvolle Art seinen Fehler einzugestehen und damit gleichzeitig auch wieder für Sympathie zu werben. Also ich glaube, das wird ihm nicht sehr schaden. Es ist …
Müller-Ullrich: Sind die Franzosen verzeihensbereiter in diesen Dingen? Also es gibt ja schon öfter mal solche Fälle, zum Beispiel der frühere Präsidentenberater Mitterands, Jacques Attali, dem wurde ja nachgesagt, dass er seine Bücher auch mit Schere und Klebstoff erzeugt statt mit Papier und Bleistift, das heißt, morgens um vier hörte man die Fotokopiermaschine im Élysée-Palast, wo er arbeitete, summen, und er ist ja einigen Skandalen damals ausgesetzt gewesen, weil man ihm Plagiate nachweisen konnte.
Ritte: Ja, und das hat ihn nie daran gehindert weiterzuschreiben und auch auf die gleiche Art und Weise weiterhin Bücher zu machen, die alle sehr gut verkauft werden in Frankreich. Und so ähnlich wird es Bernard-Henri Lévy gehen. Ja, das ist ein Betriebsphänomen, und ja, da ist man offenbar verzeihensbereiter in der Öffentlichkeit.
Müller-Ullrich: Und verzeihensbereiter auch gegenüber dieser Pose, weil an sich ist das doch eine Art von Selbstdemontage eines Intellektuellen, wenn man sich immer mit zur Brustmitte aufgeknöpftem Hemd präsentiert, sich nur am Nachmittag fotografieren lässt und lauter solche Scherze.
Ritte: Ja, aber das gehört zum Zirkus dazu, und ich glaube, es würde uns etwas fehlen, wenn wir ihn nicht mehr hätten. Das ist das Resument, das hier in Frankreich herrscht bei solchen Figuren.
Jürgen Ritte: Na, das hört man sehr laut, weil die Fallhöhe ist natürlich gewaltig. Wenn man Bernard-Henri Lévy heißt, oft den Zeigefinger ausstreckt und moralisch belehrt und dann bei so einem kleinen dummen Fehler erwischt wird, also auf einen "Canular" nennt man das in Frankreich, auf eine Witzgeschichte hereinfällt – das ist in Frankreich sehr populär, solche erfundenen Zitate, erfundenen Schriftsteller, erfundenen Philosophen in Umlauf zu bringen. Und er zitiert einen davon, einen gewissen Monsieur Botul, der seit vielen Jahren sein Unwesen treibt, auch eine Gesellschaft der Freunde hat, die über seine Philosophie, die nicht existiert, lange diskutiert. Und ein Canard-enchaîné-Journalist hat diesen Herrn erfunden und ihm auch das ein und andere Zitat in den Mund gelegt. Eines davon hat Bernard-Henri Lévy aufgenommen, um es auf Immanuel Kant anzuwenden in sehr kritischer Absicht.
Müller-Ullrich: Das erinnert uns natürlich ein bisschen an die herrliche Geschichte, über die ein einstiger "Zeit"-Kulturchef namens Fritz Raddatz stolperte, weil er auch auf den "Canular" seines Kollegen von der "Neuen Zürcher" hereinfiel, der im Zusammenhang mit der Frankfurter Buchmesse damals etwas von der Eisenbahn schrieb, die es in Frankfurt zu jener Goethe-Zeit natürlich noch nicht gab.
Ritte: So ist es. Und das ist damit sehr schön erklärt, was ein "Canular" ist, nur liegt bei Bernard-Henri Lévy der Fall etwas anders. Geirrt hat er sich schon häufiger, gelacht ist auch schon oft worden über seine Bücher, aber er ist im Unterschied zu Fritz J. Raddatz, der damals Feuilletonchef der "Zeit" war, doch ein bedeutend unabhängigerer Mensch. Er ist von Haus aus sehr reich, er hat auch sehr viel Reichtum dazugescheffelt durch seine erfolgreichen Publikationen, und insofern droht ihm da keine Gefahr, dass er irgendwie am nächsten Morgen entlassen werden könnte und nicht mehr wüsste, wie er die Miete am Ende des Monats bezahlen könnte.
Müller-Ullrich: Tatsächlich, sein Vermögen stammt aus dem väterlichen Holzhandel und wird, wie ich gelesen habe, auf 150 Millionen Euro geschätzt.
Ritte: Ja, diese Summe kursiert, ob das genau stimmt – aber es ist genug, nicht, für uns alle, um uns vorzustellen, dass man damit ein sorgenfreies Leben hat. Bernard-Henri Lévy ist ja auch eher eine Marke, er läuft ja gar nicht unter seinem vollen Namen in den Medien, sondern er ist immer nur BHL (französisch ausgesprochen), BHL heißt das. Und das ist eine Marke, das ist eine Darstellung von Philosophie und von Politik und von Engagement. Dazu hat er eine Pose ersonnen, die vom ästhetischen Gesichtspunkt her gesehen vielleicht etwas ansprechender ist als die der drei, die Sie eben genannt haben. Und dieses Geschäft funktioniert seit vielen Jahren, seit über 30 Jahren. Und er ist jemand, der auch nie einen Hehl daraus gemacht hat, wie strategisch er umzugehen pflegt auf dem literarischen Feld. Er ist im Grunde genommen eine Fallstudie dafür, wie man Macht und Einfluss behauptet und gewinnt auf dem literarischen Feld, und das beweist er jedes Mal mit jedem Buch, mit jedem Film, mit allem, was er tut, aufs Neue: Alle, die jetzt lachen, reagieren. Und sie lachen eben laut genug, dass das Buch in aller Munde ist. Und schon wieder ist die Operation Marketing perfekt gelungen.
Müller-Ullrich: Und wie schafft er es denn tatsächlich, dann das überleben, diesen Skandal, dem er ja jetzt nun tatsächlich ausgesetzt ist? Liegt es – also am Geld sicherlich nicht, dazu ist er unabhängig genug – liegt es daran, dass er genügend Truppen hat? Er sitzt ja in x Aufsichtsräten, beim Fernsehsender ARTE, im Verlagshaus Grasset, bei der Tageszeitung "Libération", früher war er auch noch bei der Filmförderungskommission im Vorstand und so weiter und so fort. Sind das seine Truppen?
Ritte: Das sind zum Teil seine Truppen, obwohl "Libération" beispielsweise einen sehr kritischen Artikel über diesen Ausrutscher gebracht hat. Er ist jemand, der Schlägereien im intellektuellen Feld gewöhnt ist und der sich wehren kann und auch die Eleganz besitzt – und die hat er besessen diese Woche schon im Fernsehen –, auf eine sehr humorvolle Art seinen Fehler einzugestehen und damit gleichzeitig auch wieder für Sympathie zu werben. Also ich glaube, das wird ihm nicht sehr schaden. Es ist …
Müller-Ullrich: Sind die Franzosen verzeihensbereiter in diesen Dingen? Also es gibt ja schon öfter mal solche Fälle, zum Beispiel der frühere Präsidentenberater Mitterands, Jacques Attali, dem wurde ja nachgesagt, dass er seine Bücher auch mit Schere und Klebstoff erzeugt statt mit Papier und Bleistift, das heißt, morgens um vier hörte man die Fotokopiermaschine im Élysée-Palast, wo er arbeitete, summen, und er ist ja einigen Skandalen damals ausgesetzt gewesen, weil man ihm Plagiate nachweisen konnte.
Ritte: Ja, und das hat ihn nie daran gehindert weiterzuschreiben und auch auf die gleiche Art und Weise weiterhin Bücher zu machen, die alle sehr gut verkauft werden in Frankreich. Und so ähnlich wird es Bernard-Henri Lévy gehen. Ja, das ist ein Betriebsphänomen, und ja, da ist man offenbar verzeihensbereiter in der Öffentlichkeit.
Müller-Ullrich: Und verzeihensbereiter auch gegenüber dieser Pose, weil an sich ist das doch eine Art von Selbstdemontage eines Intellektuellen, wenn man sich immer mit zur Brustmitte aufgeknöpftem Hemd präsentiert, sich nur am Nachmittag fotografieren lässt und lauter solche Scherze.
Ritte: Ja, aber das gehört zum Zirkus dazu, und ich glaube, es würde uns etwas fehlen, wenn wir ihn nicht mehr hätten. Das ist das Resument, das hier in Frankreich herrscht bei solchen Figuren.