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Die Personifikation von Willkür und Grausamkeit

Als Kommandat mehrerer NS-Zwangsarbeiterlager in Polen ließ Josef Schwammberger jüdische Insassen willkürlich und besonders grausam töten. Almut Greiser zeichnet das Bild eines exzessiven Massenmörders, macht Schwammberger aber nicht zu einem abstrusen Einzeltäter.

Von Marc-Christoph Wagner | 04.04.2011
    Was die Form betrifft, fühlt man sich ein wenig an ein Puzzle erinnert. Denn der Band von Almut Greiser ist weder die Biografie eines NS-Täters, noch der Bericht über den Prozess gegen ihn. Vielmehr sind die Hälfte des Buches Stenografien von Aussagen, die Überlebende im Prozess gegen Josef Schwammberger vor dem Landgericht Stuttgart 1991 und 1992 machten. Diesen voraus geht eine knapp 150-seitige Einleitung Greisers, in der der historische Hintergrund des Prozesses und die Taten des NS-Verbrechers skizziert werden. Greiser schreibt:

    Meine Intention ist es, dass diese Berichte nicht einfach abgelegt werden als Beweismittel in einem Strafprozess gegen einen NS-Täter, der für eine begrenzte Zeit die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich gezogen hat, sondern dass sie unabhängig davon als bewegende Zeugnisse aus einer barbarischen Zeit gelesen werden können, einer Zeit, die selbst mit einem Gerichtsurteil nicht einfach zu den Akten gelegt werden darf.

    Und bewegend ist, was die Überlebenden während des Prozesses berichten. An vielen Stellen wirken die Mitschriften Greisers wie das Protokoll einer absoluten Gewaltherrschaft, etwa dann wenn sich eine Überlebende an den ehemaligen SS-Oberscharführer erinnert, der in Ostpolen das jüdische Zwangsarbeitslager in Rozwadów, und im nahe gelegenen Przemysl ein Konzentrationslager leitete.

    Die Juden pflegten sich durch Stichworte zu warnen, selbst die Kinder, wenn Schwammberger erschien, weil sie wussten, dass sein Kommen oft mit dem Tode verbunden war. Schwammberger zwang oft junge Mädchen, sich auszuziehen und dann in eine ausgeschaufelte Grube zu springen. Er liebte es, seinen Hund auf diese Mädchen zu hetzen, der sie oft schwer verletzte. Die Mädchen, die in die Grube zu springen gezwungen waren, wurden dann von Leuten des Schwammberger erschossen. Ich habe solche Akte mehrmals mit ansehen müssen.

    War es ein Sadist, der da auf der Anklagebank saß? Ein Juden hassendes Monster? Josef Schwammberger war 1912 in Österreich geboren worden, nach der Machtergreifung Hitlers war er frühzeitig der SS und NSDAP beigetreten. Noch 1941 aber als Mitarbeiter der SS- und Polizeidienststelle im polnischen Krakau charakterisiert ihn eine Kollegin eher als grauen Bürokraten:

    Schwammberger benahm sich unaufdringlich, immer höflich und ruhig. Ein militärisch anmaßendes und aggressives Verhalten, wie es damals üblich war, legte er nicht an den Tag. Ich würde ihn als einen Stubenhocker beziehungsweise als einen richtigen Büromenschen bezeichnen. Wenn er nicht Fähnchen steckte, so las er Zeitung oder machte Kreuzworträtsel.

    Mit dieser Zurückhaltung aber ist es kurze Zeit später vorbei. Am 1. September 1941 übernimmt Schwammberger die Leitung des jüdischen Zwangsarbeitslagers in Rozwadów, anderthalb Jahre später ist er Kommandant des Arbeitslagers und sog. Gettos A im ostpolnischen Przemysl. Orte, die für die Insassen zur Hölle werden, wie Almut Greiser berichtet:

    Der Kommandant musste sich an keine Regeln halten, um einen Häftling zu töten. Jeder Häftling konnte jederzeit getötet werden. In diesem Lager personifizierte Schwammberger das Gesetz der Willkür und hatte absolute Macht über Leben und Tod jedes einzelnen Häftlings. Und diese Macht nutzte er extensiv aus.

    Josef Schwammberger berauschte sich an der eigenen Macht. "Ich bin euer Gott", soll er laut übereinstimmender Zeugenaussagen oft geäußert haben. "Wenn ich sage, du stirbst, dann stirbst du. Wenn ich sage, du lebst, dann lebst du." Knapp ein halbes Jahrhundert später ist davon nichts mehr zu erkennen. Im Landgericht Stuttgart sitzt ein Mann, der sein Schicksal passiv über sich ergehen lässt, erinnert sich der Journalist
    Reinhold Erz, der den Prozess gegen Schwammberger ebenso wie Almut Greiser begleitete.

    "Nun sitzt der einstige Gott in SS-Uniform auf der Anklagebank. Ein alter Mann, der mit leerem Blick mühsam zu seinem Platz schlurft und das, was um ihn herum geschieht, kaum wahrzunehmen scheint. Während die Zeugen ihn schlimmster Gräueltaten bezichtigen, starrt er teilnahmslos vor sich hin und wenn ihn der vorsitzende Richter nach einer Aussage einmal fragt: "Können Sie sich daran erinnern, Herr Schwammberger?", dann schaut dieser treuherzig zu dem Mann in der schwarzen Robe auf und sagt: "Ach, wissen's, Herr Richter, das ist doch alles schon viel zu lang her."

    Das Buch von Almut Greiser – und das ist sein großes Verdienst – erreicht zweierlei. Es zeichnet einerseits das Bild eines exzessiven Massenmörders in seiner gesamten Brutalität. Es macht Schwammberger andererseits aber nicht zu einem abstrusen Einzeltäter, sondern skizziert die Strukturen, die es einem Menschen ermöglichten, sich quasi von einem Tag auf den anderen von einem zivilisierten Bürokraten zu einem sadistischen Lager-Kommandanten zu wandeln.

    Zusammen mit dem klugen Vorwort des Historikers Wolfram Wette von der Universität Freiburg, in dem dieser den Umgang der bundesrepublikanischen Justiz mit den NS-Verbrechen thematisiert, und vor dem Hintergrund der stetig kleiner werden Zahl von Menschen, die die NS-Zeit am eigenen Leibe erlebt haben, ist der Band von Almut Greiser von immensem Wert für die Gegenwart. Vor diesem Hintergrund sei jedermann die Beschäftigung mit diesem Puzzle empfohlen, das sich gerade auch für den Schulunterricht in höheren Klassen hervorragend eignet.

    Almut Greiser: Der Kommandant. Ein NS-Täter in der Erinnerung von Überlebenden.
    Aufbau Verlag, 320 Seiten, 24,95 Euro
    ISBN: 978-3-351-02731-5