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Die Pflege der leichten Muse

Beim Lehár-Festival in Bad Ischl stand erstmals ein Musical auf dem Programm. Braucht es das wirklich? Ja, sagt Jörn Florian Fuchs. "Hallo, Dolly!" ist eine bunte Revue im Stil der 60er-Jahre, aufgepeppt mit neueren Filmzitaten und einer Prise "Mad Men".

Von Jörn Florian Fuchs |
    Lange Zeit war Bad Ischl quasi das Synonym für gediegene Operettenpflege. Hier wurden Klassiker und Raritäten von Franz Lehár in unspektakulären Inszenierungen geboten - und zwar ohne Striche. Scharen von Sommerfrischlern pilgerten ins Salzkammergut, um sich von hübschen Melodien, netten Bebilderungen und der einen oder anderen Sahneschnitte aus den diversen Cafés verwöhnen zu lassen.

    Vor knapp zehn Jahren übernahm Michael Lakner die Geschicke des Festivals. Lakner ist ausgebildeter Pianist, war Schauspieler und kurzzeitig Opernchef in Graz und Basel. In Ischl sorgte er für eine gewisse ästhetische Entrümpelung und Repertoireerweiterung, hinzu kamen Jugendprojekte und halb-szenische Aufführungen, sozusagen als Bonustrack des jeweiligen Hauptangebotes. Gelegentlich murrte das Publikum aufgrund von leicht trashigen Regiehandschriften, doch immerhin blieben ja die guten alten Operettenklänge.

    Doch was ist das? Was tönt uns heuer aus dem Graben entgegen? Dies ist doch tatsächlich, ja, ein waschechtes Musical! Noch dazu ein amerikanisches! Und auch noch auf Deutsch gesungen! So etwas muss doch schief gehen, aber "Hallo, Dolly!" Michael Lakner hat es gewagt, erstmals ein Erfolgsstück aus Übersee anzubieten, es soll das erste einer ganzen Reihe von Musicals sein. Braucht es das wirklich? Klare Antwort: Ja! Und zwar aus mehreren Gründen.

    Zum einen ist die Musik von Jerry Herman einfach brillant, Ohrwürmer stehen neben gut temperierten Ensembles und starken Soli. Zum anderen stammt die Vorlage von Thornton Wilder und der wusste genau, was ein guter Plot ist. Heiratsvermittlerin Dolly will einen alten, geizigen Zausel verehelichen, drei turbulente Stunden lang geht das schief, bis sie ihn am Ende selbst heiratet und gleich drei weitere Paare in den Ehehafen einlaufen. Zu sehen ist eine bunte Revue im Stil der 60er-Jahre, aufgepeppt mit neueren Filmzitaten (Batman, Hulk) und einer Prise Mad Men.

    Michael Zehetner sorgt am Pult des Franz Lehár-Orchesters für Schwung und Dynamik, das Solistenensemble harmoniert wunderbar und nicht nur Ann Mandrella in der Titelpartie besitzt echte Broadway-Qualität. Ganz ausgezeichnet auch die wie Schampus perlenden Sprechtexte, die meisten Pointen sitzen, nichts wirkt zu flach, es stimmt einfach alles. Die Musiker und Regisseur Leonard Prinsloo haben ganze Arbeit geleistet.

    Der Ischler Hausgott Lehár wird diesmal nur halb-szenisch zu erleben sein, in der Operette "Wo die Lerche singt", Mitte August. Als zweite Premiere gab es Karl Millöckers Klassiker "Gasparone". Unter diesem Titel verbirgt sich ein Phantom, Gasparone existiert nämlich gar nicht, er ist die Erfindung eines dubiosen Verbrecherclans. Dessen Mitglieder geraten im Verlaufe des Stücks in immer turbulentere Situationen. Bevor sich schlussendlich auch hier die unbedingt notwendige Operettenseligkeit mit fröhlich frischem Finale einstellt, wird heftig geliebt und gelitten und es fallen sogar ein paar Schüsse.

    Dirigent Marius Burkert nebst exzellenten Sängern (wie Thomas Zisterer als Erminio, Miriam Portmann als Gräfin Carlotta sowie Gerhard Ernst als herrlich polterndem Bürgermeister) sorgen für Ohrenschmaus. Bemerkenswert ist beim "Gasparone" die enge Vernetzung von Musik und Text, wobei oft Leichtes - nicht Seichtes - mit einer Prise Tiefgrund Hand in Hand geht. Leider hat Regisseurin Dolores Schmidinger stark ins Libretto eingegriffen und etliche überflüssige Derbheiten eingefügt. Auch mit ihrer Fähigkeit zur Personenführung ist es nicht weit her. So wird ein nach wie vor interessantes Stück durch lahme Schenkelklopfereien im Banalen versenkt. Jammerschade!