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Die "Pille" als Herz-Retter?

Medizin. - Dass die Hormonersatztherapie für Frauen in den Wechseljahren aus der Mode gekommen ist, ist vor allem einer Studie der Women's Health Initiative der Nationalen Gesundheitsinstitute in den USA zu verdanken. Das Papier zeigte einen eindeutigen Zusammenhang zwischen vermehrten Herzkreislauferkrankungen und der Einnahme weiblicher Sexualhormone auf. Weil aber auch hormonelle Kontrazeptiva diese Hormone nutzen, liegt der Schluss nahe, dass sie ebensolche Gefahren bergen. US-Forscher kommen allerdings zu einem völlig anderen Ergebnis - und berufen sich dabei ebenfalls auf die WHI-Studie.

    Lange galt die Hormonsubstitutionstherapie als Königsweg bei der Behandlung von Wechseljahresbeschwerden und Osteoporose - bis eine Mega-Studie zu alarmierenden Schlüssen kam. Die Untersuchung der Women's Health Initiative befragte beachtliche 162.000 ältere Frauen unter anderem auch dazu, ob und wie lange sie hormonelle Anti-Baby-Pillen einnahmen sowie ob sie unter Herz-Kreislauferkrankungen leiden. Mit diesem Pfund eines gewaltigen Datenfundus konnten Rahi Victory und sein Team geradezu wuchern. Und die Biostatistiker von der School of Medicine der Wayne State University in Detroit kommen in ihrer Analyse zu verblüffenden Schlussfolgerungen. "Unsere Daten legen nahe, dass hormonelle Verhütungsmittel einen gesundheitlichen Nutzen haben und Herz-Kreislauf-Erkrankungen verhindern. Dies ist ein wichtiger Befund, der frühere Ergebnisse zum Zusammenhang zwischen Pille und Herzkrankheiten widerlegt", so der Victory.

    Zwar ist der ermittelte Effekt nicht überwältigend groß, aber immerhin statistisch signifikant. Offenbar blieben Frauen, die mit Hormonpräparaten verhütet hatten, immer ein wenig häufiger verschont, und zwar gleich, ob ganz allgemein nach Herz-Kreislauferkrankungen gefragt worden war oder spezieller nach etwa zu hohem Cholesterinspiegel, Bluthochdruck, Angina pectoris, Herzinfarkt, Herzstillstand oder Schlaganfall. Dabei spielt die Dauer der Einnahme der Pille offenbar eine wichtige Rolle: "Wir teilten die Einnahme in drei Kategorien ein: ein bis vier Jahre, vier bis acht und Einnahme über mehr als acht Jahre. Dabei zeigt sich, dass das Risiko für eine Herzkreislauferkrankung immer weiter zurückgeht um zunächst zehn, dann um zwölf und schließlich um 18 Prozent." Damit gelingt es Rahi Victory als erstem, einen Herz schützenden Effekt der Pille aufzuzeigen. Dass viele frühere Studien genau das Gegenteil zu beweisen glaubten, erklärt er so: "Die meisten Autoren, die diese Studien bewertet haben, sind der Meinung, dass diese sich auf zu kleine Studiengruppen stützen, auf Vergleichsstudien zwischen zwei unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen, bei denen Faktoren wie Rauchen, Gewicht und Alter nicht ausreichend berücksichtigt wurden und keine Information über Langzeiteffekte vorlag."

    Doch auch die große WHI-Untersuchung besitzt Unwägbarkeiten. Der deutsche Endokrinologe Alfred Mueck von der Universitäts-Frauenklinik Tübingen weist darauf hin, dass hier auch der so genannte "healthy user effekt" eine Rolle spielen könnte. Demnach könnten hormonell verhütende Frauen von vornherein gesünder gewesen sein. Überdies waren die Frauen zum Zeitpunkt der Befragung sämtlich 55 Jahre oder älter. Damit nahmen sie frühe Präparate ein, in denen das Hormon Östrogen deutlich stärker konzentriert war als heute. Östrogen wirkt gefäßerweiternd und schützt so das Herz. Andererseits erhöht es auch das Thrombose-Risiko. Allerdings sind die WHI-Daten zum Thrombose-Risiko noch nicht in die Auswertung Rahi Victorys eingegangen. Daher kann derzeit sicher nicht dazu geraten werden, die Pille als vorbeugendes Mittel gegen Herzkreislaufleiden anzusehen.

    [Quelle: Grit Kienzlen]