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Die Pioneer-Anomalie ist offenbar gelöst

30 Jahre lang haben sich Astrophysiker über leichte Abweichungen in der Flugbahn der baugleichen Sonden Pioneer 10 und 11 den Kopf zerbrochen, nun ist das Rätsel gelöst. Die Erklärung für die Pioneer-Anomalie kommt ohne exotische Gründe wie Dunkle Materie und die Ausdehnung des Weltalls aus - die gute alte Thermodynamik reicht.

Von Helga Rietz | 01.06.2011
    Die beiden Raumsonden Pioneer 10 und Pioneer 11 waren Anfang der 70er-Jahre gestartet, um die äußeren Planeten unseres Sonnensystems zu erforschen. In den Messdaten der Sonden zeigten sich allerdings bald winzige Abweichungen von den berechneten Flugbahnen. Eine unbekannte Kraft schien die Weltraumsonden zur Sonne hin zu ziehen, Pioneer 10 und 11 wurden immer langsamer. Weder Astrophysiker noch Raumfahrtingenieure wussten den Grund dafür. Die "Pioneer-Anomalie", so schien es, war mit den bekannten Naturgesetzen nicht zu erklären.

    Jetzt haben zwei Forschergruppen - eine aus Bremen, eine aus Lissabon und Porto - das Rätsel gelöst. Ihren Untersuchungen zufolge verursachen die Sonden selbst die bislang ungeklärte Bremskraft: Die Plutonium-Batterien, die Pioneer 10 und 11 mit Strom versorgen, strahlen Wärme ab.

    "Und diese Strahlung wird eben in den Weltraum ausgestrahlt und von daher gibt es einen Rückstoß in Richtung auf die Sonne. Und das ist eben dann der Grund warum die Pioneer-Sonden abgebremst werden","

    erklärt Claus Lämmerzahl vom Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation in Bremen. Zu dem Rückstoß kommt es, weil Photonen - die Elementarteilchen, die die Wärmestrahlung transportieren - auch einen mechanischen Impuls tragen. Das erzeugt winzige Kräfte, die einen Flugkörper im Weltraum ablenken oder abbremsen können.

    Das ist keine wirklich neue Idee. Schon als man vor 30 Jahren zum ersten Mal auf die Ungereimtheiten der Pioneer-Bahnen aufmerksam wurde, hatte man die Plutonium-Batterien in Verdacht. Früheren Berechnungen zufolge hätte dies die Sonden aber höchstens halb so stark abbremsen dürfen, wie die Beobachtungen zeigten.

    ""Jetzt haben wir aber zusätzlich angenommen, dass auch dieses Experimentiergehäuse natürlich Wärme erzeugt, dass da zum Beispiel elektrische Widerstände drin sind, wo der elektrische Strom in Wärme umgewandelt wird, und diese dort entstandene Wärme, die wird eben an der Rückseite der Parabolantenne, die das Hauptmerkmal der Pioneer-Sonden ist, reflektiert."

    Eine weitere Ungereimtheit konnten die Bremer Forscher ausräumen: Die Pioneer-Sonden werden von zwei Plutonium-Batterien mit Strom versorgt, deren Wärmestrahlung mit der Zeit immer weiter abnimmt. Deshalb sollte auch der Rückstoß auf die Sonde immer kleiner werden; wohingegen die Pioneer-Anomalie in all den Jahren gleich blieb, in denen die NASA die Flugbahn der Sonden verfolgte. Claus Lämmerzahl und sein Mitarbeiter Benny Rievers fanden aber einen zweiten Effekt, der die nachlassende Kraft der Plutonium-Batterien ausgleicht:

    "Die Geräte da in dem Experimentierabteil die bestehen ja aus Kabeln und anderen elektrischen Komponenten, diese Teile, die altern mit der Zeit. Altern heißt, dass der elektrische Widerstand zum Beispiel zunimmt. Wenn der elektrische Widerstand zunimmt, heißt das, dass mehr elektrische Energie in Wärme umgewandelt wird, und zwar gerade an solchen Stellen, die optimal dann so einen Rückstoß erzeugen."

    Dass hinter der Pioneer-Anomalie jetzt doch keine neuen physikalischen Erkenntnisse, sondern nur altbekannte Thermodynamik steckt, findet Claus Lämmerzahl nicht enttäuschend - auch wenn auf der langen Suche nach dem Ursprung der Pioneer-Anomalie gleich reihenweise exotische Theorien untersucht und verworfen wurden:

    "Die Beschäftigung mit diesem Effekt hat trotzdem einen großen Impact auf die Wissenschaft gehabt. Da wurden Fragen gestellt, die nicht so ins Bewusstsein gebracht worden wären, wenn es die Pioneer-Anomalie nicht gegeben hätte. Zum Beispiel wurde deswegen noch mal genauer analysiert, ob es einen Einfluss der Expansion des Weltraums auf die Physik im Sonnensystem gibt oder auf die Physik in Galaxien und Galaxienhaufen."

    Die Wärmestrahlung an Bord spielt natürlich auch bei allen anderen Satelliten und Sonden eine Rolle. Sie fällt jedoch nur selten ins Gewicht - der Rückstoß der Photonen ist nur ein winzig kleiner Effekt. Bei den Weltraumsonden Galileo und Rosetta allerdings hat man eine der Pioneer-Anomalie ähnliche Veränderung der Geschwindigkeit beobachtet, und zwar bei sogenannten Fly-by-Manövern. Das ist ein Vorbeiflug an einem Planeten, bei dem die Sonde Schwung holt für den Weiterflug ins All. Erklärt die Thermodynamik am Ende auch die Bahnabweichung dieser Sonden?

    "Wir haben auch die Fly-by-Anomalie thermisch analysiert und haben herausgefunden dass ein Teil des Fly-bys auf thermische Effekte zurückzuführen ist, aber die Anomalie kann dadurch nicht erklärt werden."

    Der Grund dafür liege darin, dass Flugmanöver in der Nähe eines Planeten sehr viel komplizierter sind, sagt Claus Lämmerzahl. Zum Beispiel beeinflussen dann auch die Atmosphäre, das Magnetfeld und die Strahlung des Planeten die Flugbahn der Sonde.