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Die Politdebatte um Migration und Bildung

Zwar sind in Deutschland mehr als drei Millionen Menschen arbeitslos - dennoch klagen Wirtschaft und Wissenschaft über einen Fachkräftemangel. Die Analyse klingt bestechend einfach: ohne Zuwanderung kein Wachstum.

Von Mario Dobovisek | 21.08.2010
    Der Volkswirt und Migrationsforscher Herbert Brücker:

    "Deutschland verliert Arbeitskräfte. Die Wirtschaft wird sich auf ein sinkendes Arbeitsangebot einstellen, wenn wir keine weitere Zuwanderung bekommen werden. Das heißt: Sie wird weniger investieren, und weil sie weniger investieren wird, wird die Volkswirtschaft insgesamt schrumpfen."

    Das politische Gegenmittel: Ausländische Fachkräfte ins Land holen, zum Beispiel mit einer "Lockprämie", einem Begrüßungsgeld. So schlägt es der liberale Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle vor und regt eine Fachkräfte-Initiative an.

    "Das gab es ja schon einmal in der Vergangenheit, als man Gastarbeiter brauchte. Aber das müssen Unternehmen selbst entscheiden. Das kann nicht Aufgabe des Staates sein, dies zu bezahlen. Und wer die Fachkräfte braucht und meint, mit einer Prämie sie leichter erreichen zu können, kann diesen Weg gehen."

    Ein Aufschrei beim Koalitionspartner in Bayern. CSU-Chef Horst Seehofer setzt andere Prioritäten.

    "Erstens, dass wir das hier lebende Arbeitskräftepotenzial ausnutzen, zweitens: Ab nächstes Frühjahr haben wir die Freizügigkeit in Europa und erst dann an dritter Stelle Fachkräfte ins Land zu holen, können wir heute auch schon. Nicht mit einem Begrüßungsgeld, das halte ich nicht für gut."

    Bundesbildungsministerin Annette Schavan wünscht sich eine Willkommens-Kultur für Fachkräfte in Deutschland. Die Einreise müsse erleichtert und dafür die Bestimmungen gelockert werden.

    "Wenn ich etwa an die Visa-Vergabe denke. Das muss schneller gehen, das muss einfacher werden. Die Leute dürfen nicht den Eindruck haben, dass wir sie vielleicht doch nicht wollen. Es geht auch um neue Regeln, Stichwort Einkommensgrenze."

    Die liegt derzeit bei mindestens 64.000 Euro im Jahr. Nur wer in Deutschland so viel verdienen wird, darf uneingeschränkt einreisen und arbeiten. Hier ließe Bayerns Ministerpräsident Seehofer mit sich reden.

    Bundeskanzlerin Angela Merkel, CDU, lässt dagegen die Diskussion über ihren Sprecher beenden. Erst 2009 sei das Gesetz zur Steuerung der Zuwanderung eingeführt worden, so Christoph Steegmans:

    "Dieses Gesetz entfaltet durchaus positive Wirkung, weshalb eine Novellierung nach so kurzer Zeit nicht angezeigt erscheint."

    Doch sehr erfolgreich scheint das Anwerben ausländischer Fachkräfte seit dem nicht zu sein: 142 Menschen fielen 2009 nach Angaben des Bundesamtes für Migration unter die neue Regelung und erhielten ohne Genehmigung der Arbeitsagentur eine dauerhafte Niederlassungserlaubnis.

    Die Sozialdemokraten fordern, mehr Augenmerk auf die Bildung in Deutschland zu richten. SPD-Chef Siegmar Gabriel:

    "Das ist doch Unsinn, zu glauben, dass wir das mit der Anwerbung von Spitzenkräften lösen. Da müssen wir mal über unser Bildungssystem reden und die Frage stellen, warum machen eigentlich 40 Prozent der ausländischen Jugendlichen in Deutschland keinen berufsqualifizierenden Abschluss."

    Auch sollte man Studierenden aus dem Ausland ermöglichen, nach dem Studium in Deutschland zu bleiben.

    "Man muss denen auch das Angebot machen, die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen. Die Besten von euch können hier bleiben!"

    Eines steht fest: Die weltweite Konkurrenz um die besten Köpfe ist groß. Wollen wir mehr hoch qualifizierte Zuwanderer aus dem Ausland gewinnen, dann muss Deutschland attraktiver werden. Der Grünen-Politiker Mehmet Kilic:

    "Wir müssen gegenüber Migranten eine Herzlich-willkommen-Kultur entwickeln und das wäre dann unsere Lockprämie."