Die Shoah, so Bärsch, muß als Konsequenz dieses Denkens angesehen werden. Schon der junge Joseph Goebbels vertraute seinem Tagebuch an, daß das Böse seine Macht angetreten und Mephisto gesiegt habe. Zwangsläufig werden daraus apokalyptische Denkmuster gestrickt. Totale Zerstörung und Chaos erscheinen als notwendig, um die Erlösung herbeizuführen. Natürlich lassen sich derartige Vorstellungen nicht aus den herrschenden christlichen Lehrgebäuden herleiten. Und dennoch verehrte Rudolf Heß den späteren Führer als einen "guten Katholiken", und Hitler selbst glaubte allen Ernstes, die Judenvernichtung mit Berufung auf den "allmächtigen Schöpfer" rechtfertigen zu können. Die Mörder Gottes, die immer nur nach Macht strebten, müßten ein für alle Mal vernichtet werden.
Im Kampf der Nazis gegen die vermeintlichen jüdischen Zerstörer sieht Bärsch nicht nur christliche Einflüsse. Auch die mittelalterlichen Ketzerbewegungen und Joachim von Fiore übten eine starke Wirkung aus. Doch der wichtigste Einfluß lag woanders: "Es gibt noch eine zweite Ähnlichkeit: die Verehrung der deutschen Mystik. Sowohl Dietrich Eckart, der den Begriff ‘Drittes Reich’ eingeführt hat, als auch Alfred Rosenberg verehren die deutsche Mystik, insbesondere Meister Eckhart, nämlich in Hinblick auf die Überzeugung der Gleichheit von Gott und Mensch, der göttlichen und menschlichen Seele. Das ist eine Ähnlichkeit, eine Strukturähnlichkeit. Die Nazis sagen, die arische Rasse ist gottgleich, die Kommunisten sagen, in der gesamten menschlichen Gattung steckt eine göttliche Potenz."
Bärsch charakterisiert in diesem Zusammenhang Dietrich Eckart, den mystischen Vorturner der Nazi-Riege, als eine bislang unterschätzte Gestalt unter den Nationalsozialisten. War er doch immerhin bis zu seinem Tod Ende 1923 einer der wenigen Duzfreunde Hitlers. Eckart war der erste "Hauptschriftleiter" des "Völkischen Beobachter", er beeinflußte wesentlich die Programmgestaltung der NSDAP und vor allem war er für die mystischen Höhenflüge der NS-Ideologie verantwortlich. In dem Parteiprogramm von 1920 findet sich die Formulierung, die Partei vertrete "den Standpunkt eines positiven Christentums." Auch dieser Begriff ist offenbar von Eckart geprägt. "Unter positivem Christentum meinen sie das arische Christentum - also Jesus ist Arier, das ist ihre Überzeugung, das beweisen sie nicht -, und das vom Judentum gereinigte, das vom Alten Testament und vom Judentum gereinigte Christentum."
Eckarts "positives Christentum" ist die Speerspitze gegen den nihilistischen Zeitgeist, es steht für die Schaffung neuer religiöser Werte. Ähnlich verhält es sich mit Goebbels’ Traum vom "Urchristentum" und Rosenbergs Sehnsucht nach der "Volkskirche": Beide wandten sich gegen das angeblich entfremdete Verhältnis Kirche-Volk, beide suchen die unmittelbare Gemeinschaft mit dem Volk. Gerade aus den Reden Hitlers wird deutlich, daß nicht nur seine Weltanschauung, sondern auch seine religiöse Vorstellung das Attribut "völkisch" verdient. Auf den Nürnberger Parteitagen ist Hitler nicht nur oberster Feldherr, er ist gottgleicher Demiurg. Beispielsweise, wenn er sagt: "Ich bin einst im Glauben an das deutsche Volk ausgezogen, und habe diesen unermeßlichen Kampf begonnen, im Glauben an mich sind erst Tausende und dann Hunderttausende und endlich Millionen mir nachgefolgt."
Hitler war besessen von Eckarts Worten, nun sei endlich die "Entscheidungsstunde" im Kampf zwischen Deutschtum und Judentum gekommen, nun sei es Aufgabe des deutschen Volks, die Welt zu erlösen. Für Bärsch steht dieser Aspekt im Zentrum der Nazi-Ideologie: "Ich habe die These vertreten, daß das Ziel die Erlösung ist und die Vernichtung die Bedingung der Erlösung. Und daß die Juden die Erlösung verhindern. Sie verhindern sie, weil sie Kinder des Bösen, Kinder des Teufels sind. Und das ist das wirklich Spezifische am nationalsozialistischen Antisemitismus."
Die Weltanschauung der Nazis war nicht sozialdarwinistisch, sie war, wie Saul Friedländer einmal schrieb, geprägt von einem "Erlösungsantisemitismus". In einer Zeit, die bestimmt war von der Herrschaft der Apparate, von der Atomisierung der Gesellschaft, kurz, von der Entzauberung der Welt, entdeckten die Nazis die göttliche Substanz des Volkes. Dies war der Kern ihrer völkischen Ideologie. Bärsch deutet diese politisch-religiöse Strategie als das letzte Rückzugsgefecht der Moderne: Nämlich als Wiederverzauberung der Welt mit Hilfe der Resakralisierung des Volkes. Gerade dieses Ziel erscheint uns heute absolut fremd: "Für uns ist Volk etwas Vielheitliches, mit verschiedenen Menschen, verschiedenen Individuen, verschiedenen Gruppen", so Bärsch. "Aber sowohl die Marxisten als auch die Nationalsozialisten definieren Volk oder Gesellschaft mit der Kategorie der Identität, sie sind für die Einheit der Gesellschaft, für die Einheit des Volkes. Darüber hinaus sind die Nationalsozialisten schlauer, weil sie die Identität der Gesellschaft mit religiösen Kategorien beschreiben: Die Deutschen nehmen an einer Substanz teil, und diese Substanz ist eine religiös wahrgenommene Substanz, insofern das Kollektiv des deutschen Volkes teilnimmt an einer göttlichen Substanz."
Bärschs Studie über die politische Religion des Nationalsozialismus ist zweifellos ein wichtiges Buch. Doch es bleiben unübersehbare Schwachpunkte. So hat der Autor durch redundante Ausführungen die Untersuchung unnötig aufgebläht. Ärgerlich ist beispielsweise auch, daß der Untertitel von Alfred Rosenbergs "Der Mythus des 20. Jahrhunderts - Eine Wertung der seelisch-geistigen Gestaltenkämpfe unserer Zeit" dem Leser durch verschiedenartige Schreibweise unklar bleibt. Nicht nur bei einem derart wichtigen Werk sollte eine einheitliche Titelangabe selbstverständlich sein.