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Die politische Zunge. Eine kurze Kritik der öffentlichen Rede

Im Elfenbeinturm der Wissenschaften hat es Uwe Pörksen nie ausgehalten. Von dort ist der mittlerweile emeritierte Freiburger Professor für Sprache und ältere Literatur immer wieder hinausgezogen zu tapfer geführten Feldzügen. Einmal ging es gegen die Seuche der "Plastikwörter", dann gegen die Unsitten auf dem "Weltmarkt der Bilder". Diesmal zielt Pörksen aufs Ganze: Die Attacke gilt der öffentlichen Rede. "Die politische Zunge" – so der Titel des Buches. Dass die "politische Zunge" oft schwer und unbeholfen ist, das hat der gerade zu Ende gegangene Wahlkampf immer wieder unfreiwillig zu Gehör gebracht. Um die Kunst der politischen Rede ist es hierzulande zur Zeit halt nicht besonders gut bestellt. Eine Rezension von Ulrich Rose:

Ulrich Rose |
    Im Elfenbeinturm der Wissenschaften hat es Uwe Pörksen nie ausgehalten. Von dort ist der mittlerweile emeritierte Freiburger Professor für Sprache und ältere Literatur immer wieder hinausgezogen zu tapfer geführten Feldzügen. Einmal ging es gegen die Seuche der "Plastikwörter", dann gegen die Unsitten auf dem "Weltmarkt der Bilder". Diesmal zielt Pörksen aufs Ganze: Die Attacke gilt der öffentlichen Rede. "Die politische Zunge" – so der Titel des Buches. Dass die "politische Zunge" oft schwer und unbeholfen ist, das hat der gerade zu Ende gegangene Wahlkampf immer wieder unfreiwillig zu Gehör gebracht. Um die Kunst der politischen Rede ist es hierzulande zur Zeit halt nicht besonders gut bestellt. Eine Rezension von Ulrich Rose:

    Was zeichnet eine gute Rede aus? Die Maßstäbe findet Uwe Pörksen bei der altehrwürdigen Rhetorik. Von der Antike bis ins 18. Jahrhundert wurde sie, neben Grammatik und Dialektik, gelehrt und gepflegt. Heute fristet sie, zumindest akademisch, ein Kümmerdasein, geschätzt dagegen wird sie von Verkäufern und Scharlatanen. Die Rhetorik, schreibt Pörksen, sei halt "doppelgesichtig":

    Auf der einen Seite ist die Rhetorik eben eine Überredungstechnik. Im negativen Fall ist sie Fassadentechnik und Trickkiste zur Herstellung eines wirklichkeitsfernen, falschen Scheins. In dieser negativen Bedeutung, als Schimpfwort, grassiert sie immer noch. Dem Gegner wird ,Rhetorik' vorgeworfen. Sie hat aber noch eine ganz andere Seite, die sie zum Grundlagenfach der Demokratie qualifiziert: Die Rhetorik ist eine Findetechnik, und zwar nicht nur in dem Sinne, dass sie lehrt, die Mittel der angemessenen wirksamen Darstellung zu finden, sondern auch in dem, dass sie sich eines technischen Instruments bedient, um in einem fraglichen Fall das Bessere, Vernünftigere herauszufinden.

    Da greift Uwe Pörksen hoch, denkt der Germanist groß von den Möglichkeiten des Wortes, der Rede. Belege biete Pörksen reichlich. Bismarck und Lassalle, Abraham Lincolns "Gettysburg Address", die Rede von Otto Wels gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz, Willy Brandts erste Regierungserklärung, Richard von Weizsäckers Gedenkrede zum 8. Mai 1945 und anderes mehr. Ein Gipfelgang über glänzende Höhen, den Niederungen des Geplappers entrückt. Es ist höchst anregend und auch vergnüglich zu verfolgen, wie Pörksen da jeweils Maß nimmt und begründet, warum etwas gut ist, etwas anderes schlecht. Nun weiß Uwe Pörksen nur zu genau, dass die Spielräume von politischen Reden durch vieles beschnitten werden: vor allem durch die Medien, die Demoskopen, durch die Parteien und das, was diese für Parteiräson halten. Etwas anderes kommt hinzu, Pörksen nennt es die "Übermacht der Bilder":

    Die Politik der Bildschirmgesellschaft hat daraus längst ihre Konsequenz gezogen. Medienkompetenz gilt ihr als Schlüssel zum Machterhalt, Mediencharisma als Voraussetzung zum Machtgewinn. Bild und Tonfall erhalten den Vorrang. Es wäre Donquichotterie, an dem Übergewicht der wortlosen Kommunikation, der visuellen wie der akustischen, rütteln zu wollen.

    Solche Grenzen, an die eine politische Rede ständig stößt, stellt Pörksen ausführlich vor, erläutert sie, bedenkt sie – und schiebt sie beiseite. Da hält sich der kluge Rhetoriker an den Rat für gute Redner, alle Einwände auszubreiten, um das eigene Anliegen zu stärken. Wie überhaupt Pörksens "kurze Kritik der öffentlichen Rede" gewitzt den Bauplänen einer guten Rede folgt. Und so begeht Uwe Pörksen elegant eben doch jene Donquichotterie, dem Wort den Vorrang zu geben. In höherer Absicht. Schließlich beschäftigt Pörksen die Rhetorik nicht als Kunst des wohl gesetzten Wortes, der geschliffenen Rede. Ihm geht es um das, was er "Findekunst" nennt oder "Magnetnadel", ihm geht es um die Rede als "Sonde" – und um das, was angezeigt, gefunden werden soll: das Politische. Uwe Pörksen beharrt darauf, dass Politik sich nicht erschöpfen darf im Machterhalt. Und dass Politik mehr ist als das, was im Windkanal der Umfragen entsteht. Sondern dass es um öffentliche Verantwortung geht, um das, so Pörksen, "Finden des Vernünftigen, Besseren". Aus dieser Warte ist die Lage der Dinge freilich trübe. Schuld daran sind für Pörksen Politiker und Öffentlichkeit gleichermaßen:

    Warum verlangt die Politik nicht, wo die Situation dramatisch ist, die Handlungsfreiheit für ein dramatisches Umsteuern? Wieso lässt sie sich den Medien vorgeben, wie sie in ihnen auftritt, und lässt sich zum Beispiel ein auf den alltäglichen 20-Sekundensatz, das politische Kurzgebell? (...) Warum fordert nicht unsere Öffentlichkeit lauthals eine politische Politik und buht den anpasserischen Kleinmut aus?

    Das "Finden des Vernünftigen, Besseren" – zumindest das Bestreben ist Politikern nicht fremd. Zweifel aber sind angebracht, ob auch die Strategen in den Staatskanzleien und Parteizentralen nichts anderes im Sinn haben als das Vernünftige. Die fahnden eher nach dem, was Pörksen für ein Übel hält, nämlich nach der "Diagonalen im Kräfteparallelogramm der Interessen". Wie überhaupt die Wirklichkeit ihre eigenen Wege geht. Helmut Kohl, länger Kanzler als jeder andere, konnte eine rednerische Ödnis verbreiten, die unweigerlich einschläfernd wirkte. Oder Willy Brandt. Der vermittelte wie kein Zweiter den Eindruck, im Moment des Redens arbeite er sich voran auf dem ungesicherten Terrain der Gedanken und Worte – dabei hielt Brandt sich doch nur penibel ans Manuskript. Aber wer will Uwe Pörksen anlasten, dass das politische Geschäft nicht so ist, wie es sein sollte? Er hat sich hinausgewagt in Gefilde, die Professoren sonst meiden. Und das immer mit dem aufklärerischen Impetus, der daran festhält, dass "oratio" und "ratio", Rede und Vernunft zusammenfallen.

    Ach, wäre es doch nur so, die Welt wäre weniger schlecht. Uwe Pörksen begnügt sich nicht damit, in vermeintlich feiner akademischer Enthaltsamkeit nachzuzeichnen, wie es ist. Sondern er hat den Mut zu werten, zu beurteilen, was gut ist und was schlecht. Das ist lehrreich. Und es erinnert daran, dass es anders sein könnte, anders sein müsste. In der Rede – also in der Politik.

    Ulrich Rose stellte das neue Buch von Uwe Pörksen vor: Die politische Zunge. Eine kurze Kritik der öffentlichen Rede. Erschienen ist es bei Klett-Cotta in Stuttgart, hat 199 Seiten und kostet 16,00 €