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Die Polizei als Spiegelbild der Gesellschaft

Durch die weltweite Terrorismusgefahr haben auch die Niederländer ihre Terrorgesetze verschärft: So können Polizisten viel schneller einen Tatverdächtigen abhören. Ausgewertet werden die Aufnahmen in den Niederlanden immer öfter von blinden Polizeibeamten, denn sie hören mehr und überhören weniger als ihre nichtblinden Kollegen. Kerstin Schweighöfer hat eine Beamtin getroffen.

    Vera van den Brug steckt einen speziellen Braille-Stick für die Blindensprache in den USB-Ausgang ihres Computers. Er sorgt dafür, dass eine Stimme den Text, den sie eingibt, wiederholt.

    Dadurch kann sie sich alles, was sie getippt hat, nochmals anhören. Denn die 36jährige Niederländerin ist blind.

    Vera van den Brug ist nicht ihr richtiger Name. Den verschweigt sie aus Sicherheitsgründen. Denn die gelernte Dolmetscherin ist eine von rund 20 sehbehinderten Beamten, die von der niederländischen Polizei bei der Telefonüberwachung eingesetzt werden:

    Egal, ob Drogenhandel, Menschenschmuggler oder Terrorismus: Vera hört jeden Tag acht Stunden lang abgelauschte Gespräche von Tatverdächtigen ab:

    "Ein Sinnesorgan fällt weg, dadurch werden die anderen umso effektiver. Ich sehe nicht mehr, aber dafür rieche, fühle und höre ich intensiver und effektiver, als Menschen, die noch sehen können."

    Initiator des Projekts ist das Nationale Expertenzentrum für Diversität an der Polizeiakademie in Apeldoorn. Die Polizei, so das Ziel, soll ein Spiegelbild der Gesellschaft werden, erklärt Mitarbeiterin Helma Rodenburg:

    "Wir setzen uns dafür ein, dass bei der Polizei mehr Immigranten arbeiten, mehr Frauen, Lesben und Schwule und auch mehr Behinderte. Bei den Blinden hat sich dann in der Praxis gezeigt, dass sie bei der Telefonüberwachung weitaus mehr Informationen heraushören können als ihre nichtblinden Kollegen."

    Vera kann in mehreren Sprachen die verschiedensten Dialekte unterscheiden, sie erkennt, ob das Gespräch in einem Raum mit oder ohne Gardinen, mit oder ohne Teppiche stattfindet. Wenn sich jemand an der Tankstelle etwas zu trinken gekauft hat und die Flaschen auf den Autositz fallen lässt, hört sie sogar, ob Kohlensäure drin ist oder nicht. Es fällt ihr auch auf, wenn jemand lügt:

    "Dann wird der Mund trockener und die Leute ein bisschen aufgeregter. Witzig ist das."

    Mehrmals konnte sie überraschend zur Lösung eines Falles beitragen, indem sie eine Stimme in einem völlig anderen Fall wieder erkannte:

    "Eine Stimme vergisst man nicht mehr, wenn man sie tagein, tagaus in den verschiedensten Lebenslagen gehört hat: vor dem Einschlafen, beim Wachwerden, vor dem Fernseher, wenn er böse ist, wenn er sich langweilt - es ist wie der eigene Ehepartner, so gut lernt man die Stimme kennen. Auch nach zehn Jahren noch weiß ich sofort: He, diese Stimme kennst du!"

    Natürlich kommt sie sich manchmal vor wie ein Voyeur, wie ein Bespitzler. Aber, so betont sie: "Ich bin integer, ich mache keinen Missbrauch von dem, was ich höre - und ich kann dazu beitragen, dass Verbrechern das Handwerk gelegt wird!"

    Oft verwenden die Abgehörten Codenamen. Autoteile stehen dabei besonders hoch im Kurs. Wenn einer dauernd eine neue Ladung Auspuffe bestellt, wird Vera wachsam. Andersherum ist es ihr aber auch schon passiert, dass Waschpulver wirklich nur Waschpulver war und kein Kokain.

    Manchmal sind sich die Abgehörten darüber bewusst, das jemand mitlauscht. Viele würden sich dann erstaunlich dumm anstellen:

    "Dann sagen sie: Wir werden abgehört, aber wir müssen trotzdem Telefonnummern austauschen. Weißt du was - ich gebe dir die Zahlen sicherheitshalber von hinten nach vorne!"
    Veras Kollegen mussten sich erst daran gewöhnen, eine blinde Mitarbeiterin bekommen zu haben. Auf einmal mussten sie auf achtlos herumliegende Kabel achten - und auf Worte wie "Auf Wiedersehen". Es gab bissige Kommentare: "Wir sind die Polizei und kein Wohltätigkeitsverein." Auch wurde geringschätzig über Veras Tätigkeit gesprochen, denn ein richtiger Polizei, der setzt sich keinen Kopfhörer auf, der geht raus auf die Straße. Vera musste erst beweisen, wie wichtig gutes Zuhören ist. Umso größer ist jedes Mal ihr Stolz, wenn sie beim Lösen eines Falles mithelfen konnte:

    "Ich höre das, was andere überhören, ich kann keine Handschellen anlegen und niemanden verhaften. Was ich mache, ist gut Hinhören - aber auch das ist immer wieder eine Herausforderung und unglaublich spannend."