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Die Polizei im NS-Staat

Nicht nur die berüchtigten schwarzen Ledermäntel der Geheimen Staatspolizei, Gestapo, verkörperten den Terror der Nationalsozialisten in Deutschland - auch die Kriminalpolizei, die Luftschutzpolizei, ja sogar der einfache Schupo waren tragende Elemente der Nazidiktatur. An der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster arbeitet das Projekt "Die Polizei im NS-Staat" diese Geschichte nun auf. Sein Ziel ist eine große Ausstellung über die Verstrickung, analog zur Wehrmachtsausstellung, aber sachlich von Beginn an wasserdicht. Um den aktuellen Forschungsstand zu betrachten und um neue Ansätze vorzustellen, trafen sich Ende vergangener Woche Historiker und Polizeiführungskräfte an der Münsteraner Polizeihochschule zu einem mehrtägigen Symposium mit dreißig Vorträgen und Podiumsrunden.

Von Michael Kuhlmann |
    In der Nacht zum 5. April 1933 erlebt das Berliner Scheunenviertel zum ersten Mal nationalsozialistischen Terror. Über 600 Polizisten und SS-Männer durchkämmen jedes Haus nach Gegnern des Regime. Die Berliner "Funk-Stunde" ist live dabei.

    "Eine irrsinnige Angst bei den Kommunisten, bei den sozialdemokratischen Funktionären! Bevor sie überhaupt zur Besinnung kommen, sind die einzelnen Suchkommandos in die Häuser eingedrungen. Die Beamten stürmen die Treppen hinauf - Achtung, Polizei, aufmachen! Und dann, nach wenigen Minuten, kommen dann die ersten politischen Gefangenen."

    Abgeführt von den blau uniformierten Berliner Schupos, die ein paar Monate zuvor noch freundlich gegrüßt hatten. Aber der Chef der deutschen Polizei, Heinrich Himmler, stellte klar:

    "Wir würden es niemals vergessen, und wir haben die Kraft - gerade wir als deutsche Polizei und als SS - , gnadenlos jeden Deutschen an die Wand zu stellen, der uns geistig oder sonst in den Rücken fiele!"

    Wie sich das vollzog, das erforscht nun das Projekt "Die Polizei im NS-Staat" unter Federführung der Polizeihochschule in Münster. Vergangene Woche trafen sich dazu in der westfälischen Stadt Experten.

    "Wir wissen heute bedeutend mehr als noch vor zehn, fünfzehn Jahren!", "

    sagt Professor Klaus-Michael Mallmann von der Universität Stuttgart.

    " "Die Literatur wächst - auch seit Öffnung der Archive im ehemaligen Ostblock, Generationswechsel hat stattgefunden bei den Historikern, die Fragen haben sich geändert. Wir schauen heute weniger nach Berlin. Wir schauen heute an die Tatorte im Osten. Wir verfügen über einige beachtliche Regionalstudien auch - aber da ist noch viel zu tun, wir haben noch Lücken!"

    Unklar ist besonders, was viele Polizisten tatsächlich zur Gewalt trieb. Etwa zu den Massakern an Gefängnishäftlingen in den letzten Kriegswochen: Ging es darum, Spuren zu verwischen, oder war es der blanke Sadismus? Sicher ist immerhin eines: Ihrer Aufgabe, den "Volkskörper" zu schützen, kamen die meisten Polizisten loyal nach. Der Hamburger Polizeichef Wilhelm Boltz bilanzierte:

    "Der nationale und soziale Geist des Nationalsozialismus, der das deutsche Volk immer stärker geistig durchdrang, berührte im besonderen Maße die Polizei."

    Es war nicht die Gestapo - es war die Kripo, die unliebsame Leute, denen man aber nichts nachweisen konnte, kurzerhand in ein KZ brachte. Dabei hatten gerade auf der unteren Ebene viele Beamte ihre Ausbildung in der Weimarer Republik absolviert und hatten die Regeln der Demokratie durchaus befolgt, wie Thomas Roth vom NS-Dokumentationszentrum Köln erläutert.

    "Bloß: Im Nachhinein stellt sich das dann sozusagen als Formal-Demokratisierung heraus. Sobald die Leute gesehen haben, dass ihr Dienstherr nicht mehr in der SPD war, haben sie dann auch sozusagen diese politische Zugehörigkeit fallen gelassen."

    Originalton Wochenschau:
    "In Minsk. Polizeibataillone führen eine Razzia auf feindliche Agenten und Saboteure durch."

    Besonders während des Krieges im Osten fielen sämtliche Hemmungen. Paramilitärische Polizeieinheiten verbreiteten hinter der Front Angst und Schrecken: Der Mord an Zehntausenden Juden und politischen Gegnern ging auf ihr Konto. Sie beteiligten sich an der Bewachung der Konzentrationslager und der Ghettos.

    "Das ging zum Teil wohl über das hinaus, was sich die Polizeiführung, was sich Heinrich Himmler gewünscht hat", "

    sagt Dr. Stefan Klemp vom Simon-Wiesenthal-Center in Jerusalem.

    " "Und das hat es bei fast allen dieser Polizeieinheiten gegeben, die in Warschau waren - dass man zum Teil regelrechte Schießwettbewerbe kompanie- oder bataillonsintern veranstaltet hat und sich dann die Leute, die daran beteiligt waren, noch als Schützenkönige gerühmt haben; also praktisch wirklich nicht nur dahinterstanden, sondern daraus sich einen Spaß gemacht haben."

    Gegenüber den osteuropäischen Völkern sollten sie als "Herrenmenschen" auftreten, hatte Himmler seinen Bataillonen eingeschärft. Unter diesen Bedingungen entwickelten sich neue Loyalitäten. Professor Patrick Wagner, Universität Halle.

    "Es gibt natürlich weiterhin Truppen und Dienststellen, die funktionieren ganz schlicht nach der bürokratischen Hierarchie - der eine ist der Vorgesetzte, der andere der Untergebene - , aber gerade in den besetzten Ländern hat man häufig sehr zusammengewürfelte Dienststellen, also die Beamten kommen aus allen möglichen Richtungen, und da ist es dann häufig so, dass in Wirklichkeit informell die Führung der Dienststelle von den Radikalsten und Härtesten übernommen wird, und nicht unbedingt von denen, die den höchsten Dienstrang besitzen."

    Kameradschaftsgeist wurde zum Schmieröl der Vernichtungsmaschinerie. Etwa beim Polizei-Gebirgsjägerregiment 18, einer Elitetruppe für den Kampf gegen Partisanen. Ihre Brutalität war ähnlich gefürchtet wie die der SS. Beim Blick auf das Regiment 18 zeigen sich allerdings auch die Probleme, vor denen heute die Historiker stehen: Zu vielen Einheiten gibt es kaum schriftliche Quellen. Der Pädagoge Ralf Klein von der Universität Dortmund.

    "Die noch lebenden Mitglieder, die ja oft in den Traditionsgemeinschaften organisiert sind - wenn man an die rankommen könnte, wären sie vielleicht bereit, auch noch mal was zu sagen. Ich hatte die Gelegenheit, mit dem 95-jährigen letzten Adjutanten des Regiments zu sprechen, der hat gesprochen, aber - er ist sich schon bewusst, dass er sich auf gefährlichem Terrain bewegte, weil Mord ja nicht verjährt, und das Gespräch hat auch dazu geführt, dass er sich ein Ermittlungsverfahren eingefangen hat - der Mann ist inzwischen dement, deswegen ist das Verfahren eingestellt."

    Immerhin gibt es Feldpost, und es sind auch einige Kriegstagebücher erhalten. Es gibt auch - als Quellen zur Polizeiarbeit im Reich selbst - zehntausende Akten aus dem Bereich der höheren Berliner Strafjustiz; es gibt Verbrecheralben mit Fotos, auf denen man noch die Blutergüsse der Misshandlungen in den Gesichtern sieht. Genug Anschauungsmaterial für die geplante Ausstellung. Ihre Aussagen sollen allerdings hieb- und stichfest sein, anders als bei der Erstauflage der Wehrmachtsausstellung. Und wie Projektleiter Dr. Wolfgang Schulte erläutert, geht der Ansatz noch über die Schau hinaus.

    "Auf der anderen Seite hat er natürlich auch den internen Aspekt innerhalb der Polizei selber - und da schon auch in der Ausbildung - , deutlich zu machen, was damals passiert ist, welchen Gefährdungen aber auch der Polizeiberuf allgemein unterliegt hierbei. Und dass es manchmal nur einiger Kleinigkeiten bedarf oder schleichender Prozesse, die dazu führen, dass also hier dann schließlich und endlich doch dramatische Veränderungen auch in der Qualität polizeilicher Arbeit erfolgen."

    Ein Punkt, der spätestens dann ins Gewicht fällt, wenn die Versuchung aufkommt, beim Verhör doch mal ein bisschen nachzuhelfen. In der bundesdeutschen Demokratie sehen Leute wie Wolfgang Schulte zum streng rechtsstaatlichen Verhalten der Polizei keine Alternative.


    Die geplante Ausstellung soll im März 2011 eröffnet werden, und zwar im Deutschen Historischen Museum in Berlin. Nicht mehr so lange warten muss man auf einen zweiteiligen Sammelband, in dem die Ergebnisse des Münsteraner Symposiums dokumentiert werden - der soll schon in der zweiten Jahreshälfte 2009 erscheinen, in der Publikationsreihe der Deutschen Gesellschaft für Polizeigeschichte.