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"Die Pollensaison wird immer früher beginnen"

Ein internationales Forscherteam hat jüngst die Pollenmenge in der Luft Europas untersucht. Professorin Annette Menzel von der TU München war an der Studie beteiligt und erläutert, warum der Klimawandel den Pollenflug fördert und damit Allergikern das Leben noch schwerer macht.

Annette Menzel im Gespräch mit Jochen Steiner | 16.04.2012
    Jochen Steiner: In den letzten Wochen wurde es draußen plötzlich grün. Bäume und Sträucher blühen. Was die einen freut, ist für die anderen mit triefender Nase und tränenden Augen verbunden: Heuschnupfen, ausgelöst durch Blütenpollen. Ein internationales Forscherteam hat nun die Pollenmenge in der Luft europaweit untersucht. Eine der beteiligten Wissenschaftlerinnen ist Professorin Annette Menzel von der Technischen Universität München und mit ihr bin ich jetzt am Telefon verbunden. Frau Menzel, Sie haben Langzeitstudien aus 13 europäischen Ländern ausgewertet. Was ist denn das Hauptergebnis?

    Annette Menzel: Das Hauptergebnis ist, dass europaweit die Pollenmengen ansteigen, und zwar von Island bis Griechenland bis Spanien. In unserem Forscherteam waren 28 Kollegen und Kolleginnen vereint. Wir haben 1221 Zeitreihen ausgewertet von 97 Stationen. Und es kommt raus, dass wir durchschnittlich einen Anstieg dieser jährlichen Pollenmengen haben - das war ein ganz erstaunliches Ergebnis - und zwar um 1,5 Prozent. In den Städten ist der Anstieg sogar noch ein bisschen höher mit drei Prozent.

    Steiner: Sie haben die Städte angesprochen. Wie sieht es denn da auf dem Land aus. Das Landleben: ist man da sozusagen vor den Pollen geschützt?

    Menzel: Auf dem Land war der Anstieg der Pollenmenge geringer - nur circa 1,1 Prozent. Wir haben da ländliche und halbstädtische Stationen zusammengefasst. Das bedeutet aber nicht, dass die Gesamtmenge, an der ein Allergiker dort leiden müsste, geringer wäre. Es geht ja nur um den Anstieg, um die Veränderung mit der Zeit. Die aktuelle Menge draußen an einer Pollenstation oder für eine Person hängt nämlich davon ab, in welcher Umgebung er sich aufhält, in welcher Nähe wie viele Pflanzen zu finden sind.

    Steiner: Merken die Allergiker denn diesen Anstieg von drei oder einem Prozent. Läuft da die Nase häufiger?

    Menzel: Diese ein bis drei Prozent klingen recht wenig. Aber das sind ja Prozent pro Jahr. Das heißt, in 20 Jahren haben wir schon einen Anstieg um ein Drittel. Der Allergiker selbst nach einem Erstkontakt - erst beim Zweitkontakt würde er dann allergische Symptome entwickeln. Von Heuschnupfen bis zu Asthma. Es ist so: Wenn mehr Pollen in der Luft ist, ist natürlich die Wahrscheinlichkeit auch größer, dass er von nennenswerten Pollenmengen getroffen wird. Dann ist aber nicht die Menge an Pollen alleinentscheidend, sondern die Menge an Allergenen auf diesen Pollen. Und da spielt eben viel eine Rolle, inwieweit diese Pollen dann selbst mit Luftverschmutzung beispielsweise in Kontakt gekommen sind.

    Steiner: Können Sie sich denn die Gründe für diesen Pollenanstieg erklären?

    Menzel: Wir haben das sehr lange drüber nachgedacht, was die Gründe sein könnten. Wir haben analysiert, ob es Landnutzungsänderungen sein könnten. Das glauben wir nur bei den Zypressen, die ja doch im Mittelmeerraum sehr für Zierzwecke angebaut werden. Für all die anderen Baumarten, die wir haben - von Esche, Eiche über Buche - glauben wir nicht, dass es Aufforstungen sind. Die müssten ja europaweit zu diesem Effekt geführt haben. Und man braucht erst eine gewisse Zeit, bis so ein Baum wirklich erwachsen ist und blüht und Pollen emittiert. Wir haben auch untersucht, ob es ein Einfluss der Lufttemperatur ist. Wir wissen ja, dass bei höheren Temperaturen die Pflanzen eher beginnen zu blühen und die Pollensaison sich insgesamt verlängert. Das gilt aber nicht für die Menge der Pollen. Die scheint von der Temperatur unabhängig zu sein. Aus Laborversuchen und Freilandstudien weiß man allerdings, dass die höheren CO2-Konzentrationen dagegen schon eine Auswirkung haben. Diese Pflanzen blühen mehr und emittieren auch mehr Pollen. Und wir denken, dass wir hier einen Effekt dieser ansteigenden CO2-Konzentrationen sehen, die ja Jahr für Jahr um zwei PPM (Part per Million) ansteigt.

    Steiner: Das heißt, der Klimawandel macht auch den Allergikern zu schaffen. Wird sich denn dieser Trend in Zukunft weiter nach oben entwickeln, also mehr Pollenbelastung für vor allem die Allergiker in der Stadt?

    Menzel: Was ganz sicher ist: Die Pollensaison wird immer früher beginnen, mit den wärmeren Frühjahrstemperaturen. Sie wird sich insgesamt verlängern, weil sich auch die Blüh-Zeiträume einer einzelnen Art verlängern. Durch invasive Arten wird die Lücke vom Sommer bis zum Frühherbst geschlossen, wie zum Beispiel durch Ambrosie. Nur der November ist im Augenblick pollenfrei. Und wenn es tatsächlich ein Effekt der Kohlendioxidkonzentration in der Luft wäre, würde das auch bedeuten, dass die Pollensaison auch in Zukunft intensiver werden würde.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.