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Die portugiesische Musikerin Carmen Souza
"Kreolische Musik lässt mich fliegen"

Scheuklappen oder Berührungsängste kennt Carmen Souza keine. Ob Jazz, Rock, Pop oder Folk - woher das musikalische Material kommt, ist für sie zweitrangig. Die Kapverden sind ihre innere Heimat, aber sie umschifft die gängigen Klischees und produziert Grooves, die vom kreolischen Boden abheben.

Von Karl Lippegaus | 01.06.2018
    Die Sängerin und Musikerin Carmen Souza bei einem Auftritt während des Womad Festivals im spanischen Caceres, aufgenommen am 10.5.2013.
    Carmen Souza bei einem Auftritt während des Womad Festivals im spanischen Caceres (picture-alliance / dpa / Esteban Martinena)
    Musik: "M'sta Li Ma Bo (I'm Here For You!)
    "Meine Eltern kommen von den Kapverden und emigrierten in den 1970er Jahren nach Lissabon, auf der Suche nach einem besseren Leben in Europa, und so kam ich in Lissabon zur Welt."
    Die heute 36-jährige Carmen Souza platziert sich mutig zwischen allen Stühlen. Ob Jazz, Rock, Pop oder Folk - aus allem entstehen bei ihren Songs immer neue Hybride, die sie temperamentvoll und mit hinreißendem Charme vorträgt. Für ihr Album "Protegid" gab es 2010 den Deutschen Schallplattenpreis.
    Carmen Souza, Sängerin und Jazz-Interpretin in Martires da Patria vor Konzerten in Lissabon und Viseu. 
    Carmen Souza, Sängerin und Jazz-Interpretin (imago / Global Imagens)
    Ihre aktuelle CD heißt "Creology". Einen entscheidenden Beitrag zum Gelingen des facettenreichen Repertoires trägt Carmens Partner bei, der Bassist und Komponist Theo Pas'cal. Gemeinsam mit Elias Kacomanolis, einem Drummer aus Mosambik, bilden sie ein außergewöhnliches Trio, dessen Musik sich jeder gängigen Klassifizierung in Jazz oder Pop entzieht.
    In dem Song "M'sta Li Ma Bo (I'm Here For You!)" singt Carmen:
    "Es gibt Tage, wo dein Glaube auf die Probe gestellt wird,
    Tage voller Schmerzen, steinige Pfade,
    scwer das alles auszuhalten.
    Lern' was draus:
    Deine Kraft ist nicht genug, allein kannst du's nicht schaffen,
    vertraue darauf, glaube daran,
    dein Leben liegt in Seinen Händen.
    Seine Liebe wird dir das Licht zeigen."
    Musik: "M'sta Li Ma Bo"
    "Ich wurde 1981 in Lissabon geboren, dort bin ich aufgewachsen und zur Schule gegangen. Die Stadt war immer ein großes Zentrum für Musik, die mit dem Portugiesischen zu tun hat, der lusophonischen Kultur. Musik aus den ehemaligen Kolonien in Lissabon hörend wuchs ich auf, mit brasilianischen, kapverdischen und angolanischen Klängen."
    Der Geschmack von Afrika
    Auf Gospel-Jazz mit Cello folgt ein Song für den Schwarzen Kontinent: Ein zentraler Moment in Carmen Souzas Konzerten, und der rückt an, wenn sie den Song "Afri ká" singt.
    "Der Geschmack von Afrika, rote Flüsse. In den Bergen verschmelzen die Farben mit der Natur. Die Hitze ist wie Feuer am Himmel. Heiß scheint mir die Sonne auf die Haut. Ich wünsche mir ein neues Leben für dieses Land. Für seine Menschen, die Hunger leiden und nicht mal das Nötigste haben."
    Musik: "Afri ká"
    "Die Erde wurde aus nichts geschaffen.
    Wenn du nicht an dieses Wunder glaubst,
    schließ die Augen, lass deine Ängste und kämpfe..."
    Songs wie "Afri ká" sollen Mut machen, nicht vom eigenen Pfad abzuweichen, die Suche nach dem Spirituellen nicht aufzugeben.
    "Geld und Ruhm nähren nur Frustrierte und Desillusionierte. Für das aktuelle Album "Creology" haben wir sozusagen fast nach Rezept gearbeitet. Wir vermischen immer dieses mit jenem, eine etwas altmodische mit einer neuen Musik, von klassischen kreolischen Sounds, Jazz-Einflüssen und kapverdischer Musik durchsetzt. Das ist fast wie ein Rezept. Man kocht etwas zusammen."
    Carmen Souza mit Theo Pas'cal und Elias Kacomanolis
    Sie brechen gerne Regeln: Carmen Souza, Theo Pas'cal und Elias Kacomanolis (Karl Lippegaus)
    Für "Creology", es ist ihre achte CD, wollten sie die Rauheit und das Spontane, Ursprünglichkeit, auch ein paar Regeln des Jazz brechen: Carmen Souza, Theo Pas'cal, Kontrabass, und Elias Kacomanolis, Drums, aus Mosambik.
    Musik: "Homem Musica"
    2012 stellte das in Lissabon und London entstandene Album "Kachupada" sieben neue Songs von Souza & Pascal vor, daneben zwei Jazzklassiker: John Coltranes Version von "My Favorite Things" und Charlie Parkers "Donna Lee".
    Die flüchtige Schönheit der Jugend
    "Das erste Mal hörte ich ‚Donna Lee‘ nicht von Charlie Parker, sondern von Jaco Pastorius. Ich kannte es schon von Parker, hatte aber noch nicht ein derartiges Hörerlebnis wie mit Jaco gehabt. Es war, als hätte er diese Musik erfunden, so gut passte es. Er hatte eine wichtige Rolle, weil er die Musik in eine andere Dimension überführte, nicht nur bei "Donna Lee", mit anderen Texturen und Tonalitäten."
    Musik: "Donna Lee"
    Bei Carmen Souza ist Donna Lee eine Lady, die über die flüchtige Schönheit der Jugend nachsinnt. Und darüber, dass man die Kontrolle über das eigene Leben behalten sollte.
    "So wie jemand viele Gewürze mischt, ist der Musiker in der heutigen Welt so vielen Klängen ausgesetzt, dass all das sich widerspiegelt in seinem Tun. Es ist praktisch unmöglich, heute noch einen "puristischen" Sound zu erzeugen, angesichts einer Realität mit derart starken Kontrasten."
    Portraitbild der Musikerin Carmen Souza
    Charismatisch und energiegeladen: Die Musikerin Carmen Souza (Karl Lippegaus)
    "Meine Eltern nahmen mich jeden Sonntag mit in die Kirche. Was ich dort besonders genoss, war die Musik; so entdeckte ich für mich das Klavier. Bei uns zuhause ging es immer viel um Musik, obwohl niemand ein "richtiger" Musiker war. Meine Mutter hat immer sehr gern gesungen und Gitarre gespielt. Ich war immer sehr neugierig auf Musik. Dann entdeckte ich Gospel. Zu der Zeit begegnete ich Theo Pas'cal."
    Carmen Souza und Theo Pas'cal sitzen nebeneinander
    Ein eingespieltes Team: Carmen Souza und Theo Pas'cal (Karl Lippegaus)
    "Auch ich stamme aus Lissabon, mein Vater war Baptistenprediger. Mein älterer Bruder machte schon vor mir Musik und hat mich eingeführt. Später absolvierte ich am Konservatorium in Lissabon ein klassisches Studium. Und begann mit afrikanischen und portugiesischen Musikern zu arbeiten, als free-lancer. Zu der Zeit traf ich Carmen und bald fingen wir an mit einer Arbeit, die darum kreist, auf neue Art Musik zu begreifen."
    Musik: "Kem Ka tem Cabeca"
    1999 begann die musikalische Partnerschaft von Carmen Souza und Theo Pas'cal. Schon auf ihrem zweiten gemeinsamen Album "Protegid" zeigt sich eine eigene Songpoesie, eine nie ausufernde, den Song nicht verwässernde Verspieltheit, eine Bereitschaft, sich den Herausforderungen komplexer musikalischer Abläufe zu stellen, von Theo Pas'cal wie maßgeschneidert präsentiert. Nie verliert die Musik ihre Leichtigkeit. Auch die bisweilen religiösen Themen gehen hier oft eine Symbiose ein mit der beschwingten, lebensfrohen Musik.
    Nie fehlt die Leichtigkeit
    Jeder trage eine Bestimmung in sich, heißt es auf dem Album "Verdade" (Wahrheit) von 2008. Aber wenn du nicht fokussiert bist, wirst du dein Ziel verfehlen. Hier wird sie hörbar, die Leichtigkeit, von der Carmen spricht, wenn sie sagt: "Kreolische Musik lässt mich fliegen" - wie in dem Titel: "Vaidade e Levaiandade" (Eitelkeit ist leicht zu haben).
    Musik: "Vaidade e Levaiandade"
    "Vielleicht muss ich's meiner Jugend danken, dass ich so viel Optimismus in mir trage. Ich versuche stets bewusst das Positive anzusteuern, von Natur aus bereit, das Leben zu nehmen wie es kommt. Da gibt es Tage, wo es viel regnet, dann andere mit wunderschöner Sonne, und schon wird's wieder dunkel. Aber man denkt einfach: Immerhin bist du am Leben, dass du das alles so wahrnehmen kannst. Du bist zudem noch gesund, für mich schon ein Grund, um von Natur aus optimistisch zu bleiben."
    Carmen Souza auf dem Internationalen Jazz Festival in Granada
    Carmen Souza im Trio auf dem Internationalen Jazz Festival in Granada (EFE)
    2012 kam das Album "Kapuchada" heraus. "Terra Sab" sei ein experimentelles Lied über Frieden und Freiheit und über das Gelobte Land, wo bekanntlich Milch und Honig fließen.
    Musik: "Terra Sab"
    Bei einigen Songs von Carmen Souza klingt jener melancholische Ton an, der die kapverdische Musik einer Cesaria Evora weltberühmt machte und in dem die Sehnsucht, die "Sodade" mitschwingt.
    "Das Meer, die Inseln, die Kapverden – all das spricht immer sehr die große melancholische Ader der Leute an. Die Inselbewohner sind gleichsam umzingelt von dieser ungeheuren Masse, dem Ozean. Oft haben sie diese Gegenden verlassen müssen, um anderswo zu leben. Und das erzeugt eben diese Melancholie.
    Vielfalt ist Reichtum
    Die Kapverden waren anfangs wenig einladende Gegenden, sehr menschenleer. Bis sich durch die Kolonisierung neue Mischungen wie der 'criollo' ergaben. Leute, in deren Adern europäisches Blut und das von autochthonen Völkern fließt. Mit ihren unterschiedlichen Kulturen liefern sie auch Aspekte dessen, was wir uns da so musikalisch zusammenmischen. Diese 'cuisine' - sie ist für uns charakteristisch. Anders gesagt, es wird immer viel in Schubladen gedacht, eigentlich aber sind es gerade die vielen Unterschiede, die uns alle zu etwas anderem und den eigentlichen Reichtum des Ganzen ausmachen."
    Musik: "Sodade"
    Ein Lied für den Vater
    Der Jazzpianist Horace Silver komponierte 1965 den "Song for my Father". Nicht nur für seinen Erzeuger, sondern für all seine Vorfahren von den Kapverdischen Inseln, wie Silver einmal sagte. Es wurde einer der wenigen echten Jazz-Hits.
    Keine der vielen Jazz-Versionen aber schmiegt sich der Melodie so gut an wie das Kreolische von Carmen Souza.
    "Dies ist ein Lied für meinen Vater, der sein ganzes Leben auf See verbrachte, an Bord dieser Schiffe. Er schuftete, um für mein Leben zu kämpfen. Aber heimgekommen ist er noch immer, nach so langer Zeit auf dem Meer."
    Musik: "Song For My Father"
    "Wir sind nur auf der Durchreise"
    Der Musik - wie dem Leben - muss ständig etwas zugeführt werden, wie einer Pflanze, die täglich begossen wird. Daran glaube sie, sagt die Musikerin. Wir seien nur auf der Durchreise, suchten im Grunde doch alle das Gleiche. Aber diese Welt sei bedroht. Wir verlieren unsere Sinne, lassen andere über uns bestimmen und die Zeit verstreicht. Das eigene Schicksal in die Hand nehmen und sich der Welt mit ihren falschen Versprechungen zu verweigern, darum gehe es.
    "Ich liebe sehr brasilianische Musik mit ihrem Reichtum an Harmonien, Rhythmen und Melodien. Sie ist enorm komplex, mehr als man mit Worten beschreiben kann. Es gibt bei mir brasilianische Einflüsse, vor allem auf "Creology" und "Cupola Scada". Auf den Kapverden gab es einen Musiker namens Luis Morais, der sehr von brasilianischer Musik geprägt war und der mich wiederum sehr beeinflusste."
    Musik: "Upa Neguinho"
    Musik: "Creology"