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Die Post-Punk-Band Savages
Melancholisch, laut und schnell

"We can play loud and fast": Sobald die britische Band Savages die Bühne betritt, wird klar, dass es stimmt. Drummerin Fay Milton und Bassistin Ayse Hassan sorgen für Vortrieb, Gitarristin Gemma Thompson schickt verzerrte Gitarren und Frontfrau Jehnny Beth garniert düstere Texte mit wilder Performance.

Von Jan-Martin Altgeld | 07.08.2016
    Die britische Band Savages während eines Auftritts in Mailand
    Die britische Band Savages während eines Auftritts in Mailand (Foto: imago stock&people)
    Musik "Shut up"
    Das Konzertläuft seit einer guten halben Stunde. Jehnny Beth kniet auf den hochgestreckten Händen der Besucher, die eng an eng im Kölner "Luxor" stehen, singt wild und gestikuliert ebenso. Wie meistens, trägt die "Savages"-Frontfrau schwarz, genau wie die drei anderen Bandmitglieder: Gitarristin Gemma Thompson, Ayse Hassan am Bass und – räumlich ganz hinten, aber mit ihrem Spiel eine treibende Kraft – Drummerin Fay Milton. Die ist gerade aufgestanden und bearbeitet mit ihrer Rechten brachial eines der Schlagzeug-Becken.
    "Wenn Du auf Tour bist, musst Du Dich mit sehr unterschiedlichen Geschwindigkeiten arrangieren – bezogen auf die eigene Aktivität. Denn 22 Stunden des Tags machst du fast nichts, wartest und wartest und füllst deine Zeit damit, irgendwo ein kostenfreies WLAN zu finden. Der Großteil des Tages verläuft also sehr, sehr langsam und bequem und wenn abends die Show ansteht, musst du ganz plötzlich in den 100-Prozent-Modus switchen. Das ist das wirklich Verrückte auf Tour."
    Einige Stunden früher: Der Soundcheck ist beendet, nun haben die Musikerinnen Hunger. Also geht's in ein Restaurant in der Nähe – vegan soll es sein. Zum Gespräch darf ich mit. Als auch die letzten Verständigungsschwierigkeiten mit dem Koch darüber ausgeräumt sind, welche der indischen Speisen auf der Karte Gluten-frei sind, und das Menü zusammengestellt ist, beginnen Frontfrau Jehnny und Drummerin Fay zu erzählen – bei Tofu, gebratenem Gemüse und einem Glas Wasser.
    Einen Moment hält Schlagzeugerin Fay Milton inne, sackt leicht verträumt in ihren Stuhl legt die Gabel beiseite und blickt zurück auf ein Jahr voller Arbeit.
    "Im letzten Jahr haben wir viel geschrieben, waren im Studio – manchmal drei Tage pro Woche. Dann haben wir noch Videos und Foto-Shootings gemacht. Also das ist schon ein Fulltime-Job, bei Savages zu spielen."
    "…war die Vorstellung, dass diese Band unser Leben verändern sollte"
    Als vor drei Jahren das Debüt-Album "Silence Yourself" erschien, war die Fachpresse begeistert von dem Londoner Quartett. Besonders Sängerin Jehnny Beth zog die Aufmerksamkeit des Publikums regelrecht an. Dunkler Kurzhaarschnitt, heller Teint, feine Gesichtszüge. Ihr gesangliches Spektrum ist breit. Manchmal säuselt sie zart und eher hoch ins Mikrofon – die nachdenklichen Passagen. Dann ist da aber noch die brachiale, wütende Jehnny, ein Wirbelwind.
    Musik "No Face"
    Eigentlich heißt Jehnny Beth Camille Berthomier und stammt aus Frankreich, was man ihrem Englisch hin und wieder anhört. 2011 hat die 31-Jährige die Band gegründet.
    "Gemma und Ayse – also die Gitarristin und die Bassistin – waren schon länger befreundet und hatten auch einige Projekte zusammen, also Bands. Und ich war in einer Band namens "John & Jehn" – zusammen mit unserem heutigen Produzenten Johnny Hostile. Und wir suchten gerade nach Gitarristen. Ein Freund hat uns dann auf Gemma aufmerksam gemacht – also haben wir sie kontaktiert. Und zu diesem Zeitpunkt war sie sehr interessiert in Noise-Gitarren. Sie hatte sich das Gitarrespielen selbst beigebracht und klang dadurch auf erfrischende Weise "anders". Dann kam sie zwei Jahre mit uns auf Tour. Und nach dieser Zeit sagte sie, dass sie immer noch ein anderes Projekt mit Ayse machen wollte – und wusste auch schon den Namen dafür: "Savages". Ich habe vorgeschlagen, dass ich versuchen könnte, zu singen. Schließlich begannen wir, Songs zu schreiben und aufzunehmen – aber noch in unseren Schlafzimmern. Die Ergebnisse haben einen starken "Demo"-Charakter."
    "Ich erinnere mich noch an das erste Mal, als wir zusammen geprobt haben. Da habe ich gedacht 'hey, das funktioniert ja!'. Und das hat sich bis heute nicht geändert. Das ist etwas, was man nicht richtig erklären kann. Was wir zu diesem Zeitpunkt gemeinsam hatten, war die Vorstellung, dass diese Band unser Leben verändern sollte."
    Savages sind eine Band, die auf der Bühne für ordentlich Vortrieb [Sch4] sorgen. Zum einen liegt das an der manchmal fast theatralischen Inszenierung von Jehnny Beth, nicht zuletzt aber auch am kraftvollen Spiel von Drummerin Fay. Obwohl sehr viel Punk-Attitüde in ihrem Spiel steckt, spielt sich doch sehr genau und akkurat. Das Stilmittel des Shuffles nutzt sie nur äußerst selten, bricht die Takte also bewusst nicht auf, sondern bleibt auf den geraden Zählzeiten. In dieser Hinsicht kommen auch die Wave-Einflüsse von Savages durch. Das "Maschinelle" in Fay Miltons Spiel kommt nicht von Ungefähr, wie sie selbst erklärt:
    "Als Drummerin bin ich ganz natürlicher Weise ja immer von menschlichen Emotionen inspiriert, von Action und Physikalität. Irgendwie witzig ist aber, dass mich jene Drumparts am meisten inspirieren, die aus Drum-Computern stammen. Ich höre viel elektronische Musik und ziehe viel Inspiration aus programmierten Drum-Patterns – tatsächlich mehr als von anderen echten Schlagzeugern. Bereits auf "Silence Yourself" merkt man, dass dieser Kick irgendwie immer da ist. Schon dieses Album hatte diesen Spirit im Rhythmus. Natürlich hat der Rhythmus seine Wurzeln in der Dance-Music."
    Obwohl "Silence Yourself", das Debütalbum, musikalisch rauer daherkommt als der Nachfolger "Adore Life" ist das straighte Drumspiel von Fay auch hier bereits zu merken. Zum Beispiel im Song "Strife".
    Musik "Strife"
    Die britische Band "Savages". Sie hören Rock et cetera im Deutschlandfunk.
    Wie zu hören, versteht sich Gitarristin Gemma Thompson, eine Autodidaktin, darauf, Rückkopplungen zwischen E-Gitarre und Verstärker nach ihren Vorstellungen zu formen und musikalisch zu nutzen – die sogenannten Feedbacks. Ayse Hassan zeichnet sich vor allem durch ihre schnellen, zugleich runden, straighten Basslinien aus.
    Aysa Hassan, Bassistin der britischen Band Savages, während eines Auftritts.
    Aysa Hassan, Bassistin der britischen Band Savages, während eines Auftritts. (imago stock&people)
    Auf ihrer Debüt-Platte sprechen Savages über die Hürden und den Schmerz der unangepassten jungen Wilden in einer Welt voller angepasster Junger und Alter. Klar, dass eine gehörige Portion Wut da immer mitschwingt. Für Sängerin Beth sind Auftritte auch ein Stück weit Therapie.
    "Auf der Bühne zu sein und mit dem Publikum zu interagieren ist einfach[Sch5] unglaublich. Das ist wahrscheinlich eine der wenigen Situationen, in denen du dich komplett frei fühlst. Du kannst sozusagen dein Gehirn ausschalten und komplett den Moment genießen. Kein Nachdenken (stop thinking) – wonach wir alle streben. Alle wollen irgendwie diesen Strom aus Schwachsinns-Gedanken stoppen."
    Musik "I am here"
    Zurück ins Kölner Luxor: Zum Ende des Songs "Evil" gibt die Band richtig Gas, das Publikum geht frenetisch mit. Eine Art Antritts-Mission des Quartetts dürfte sich an diesem Abend also erfüllt haben. Jehnny Beth:
    "Zu der Zeit, als wir Savages gründeten, hatten viele Rock- und Gitarrenbands den eigentlichen Grund des Musikmachens aus den Augen verloren. Wenn man also in London einen Gig besuchte, sah man meistens eine Band, die nur deshalb die Bühne betrat, weil ihre Manager es ihnen gesagt hatten, weil vielleicht ein Agent oder ein Label-Vertreter im Publikum sein würde. Aber es war egal, dass auch echte Menschen zu dem Auftritt kommen würden, um die Musik zu hören. Das wurde quasi ignoriert. Und leider gab es dann bei den Auftritten auch keine Interaktion zwischen Band und Publikum. Das wirkte alles irgendwie nicht echt. Dass Musik auch Inhalte vermitteln kann, wurde dabei völlig außer acht gelassen – und natürlich auch der eigentliche Sinn von Musik: uns glücklich zu machen. Das fehlte alles. Also war es unsere Intention, den Auftritt wieder über alles zu stellen."
    Musik "She Will"
    Im vergangenen Jahr gab's dann schließlich "Adore Life". Auch auf Savages zweitem Album ist noch eine Menge Punk und Energie enthalten, gleichzeitig merkt man schnell, dass die Band viel intensiver am musikalischen Feinschliff gearbeitet hat als auf dem Debüt "Silence Yourself". Schlagzeugerin Fay Milton:
    "Ein mehr präzisierter Sound war definitiv unsere Intention, als wir an "Adore life" gearbeitet haben. Wir wollten all das nehmen, was wir musikalisch bereits hatten und es ein bisschen weiterentwickeln und gleichzeitig den Sound ein bisschen verfeinern. "Silence Yourself" ist ja bezogen auf den Sound sehr roh und gewissermaßen fängt das Album auch einen bestimmten Moment ein. Obwohl es ein Studio-Album ist, hat es einen großen Live-Eindruck vermittelt. Aber beim zweiten Album hatten wir mehr Zeit, um auch mal durch die musikalische Lupe zu schauen und unseren Sound mal separat zu betrachten."
    Jene musikalische Verfeinerung ist zum Beispiel im Stück "Sad Person" zu hören:
    Musik "Sad Person"
    An der neuen musikalischen[Sch6] Aufgeräumtheit in den Stücken auf "Adore Life" hat auch ein Mann Anteil, der sonst eher für andere Klänge bekannt ist: Anders Trentemoller. Der erfolgreiche dänische Elektro- und Techno-Produzent hat das zweite Savages-Album gemischt.
    "Es war unser Produzent Johnny Hostile, der den Kontakt zu Anders Trentemoller hergestellt hat. Johnny macht selbst Musik und war auch mit Anders auf Tour. Die beiden haben einiges gemeinsam und sind gut befreundet. Johnny schlug uns also vor, möglicherweise mit Anders zusammenzuarbeiten. Also haben wir uns seine Stücke angehört und stellten schnell fest, dass die klangliche Weite darin und zugleich auch die Detailliertheit uns sehr gefallen. In seinen Tracks gibt es auch diese großen, schwer pumpenden Low Ends. Und genau das ist auch in unserer Musik ein wichtiger Bestandteil."
    Einflüsse von Michael Gira
    Wie bereits auf dem ersten Album, setzt sich Texterin Beth wieder mit der normativen Kraft der kleinbürgerlichen Gesellschaft auseinander, mit der Andersdenkende scheinbar selbst im 21. Jahrhundert noch zu kämpfen haben.
    Forderungen wie: Hinterfrage nicht die Dinge, weiche nicht vom Lebensweg deiner Eltern ab, bleibe katholisch.
    "Dieser Einfluss der gesellschaftlichen Normalität ist jetzt – verglichen mit anderen Dingen auf der Welt – nicht wirklich schlimm. Aber er stört mich. Letztendlich sind ein paar wirtschaftliche, ökologische und politische Prozesse, die sich gerade in der Welt abspielen, viel gefährlicher. Aber auch diese gesellschaftlichen Dinge stören mich. Denn das ist etwas, was mich direkt betrifft, etwas, das ich sehen kann und sehr nah bei mir geschieht. Insofern ist es schon sinnvoll, darüber zu singen, eben weil es etwas ist, das in meinem täglichen Leben passiert. Höchstwahrscheinlich schreibe ich aus diesem Grund mehr über sozialen Druck als über andere Dinge."
    Insgesamt sind die Texte weniger fragmentarisch als noch auf dem Debüt, sondern ausgereifter und klarer. Es geht um Selbstzweifel und auch um die Liebe oder vielmehr darüber, dass es manchmal vielleicht besser sei, angesichts ihrer mitunter brachialen Folgen vielleicht ganz die Finger davon zu lassen.
    Auf dem Titelstück "Adore" bekennt sich ausgerechnet Frontfrau Beth, die an einen düsteren Engel erinnert, als Lebensbejaherin und fragt philosophisch: Ist es überhaupt menschlich, das Leben zu verehren?
    In Savages' Songs finden sich unterschiedliche Einflüsse. Für Jehnny Beth ist der US-Musiker Michael Gira ein wesentlicher davon. Dessen Band "Swans" beschreibt die Frontrau in ihrem Blog gar als "die Essenz aller Musik". Parallelen gibt es durchaus – nicht zuletzt dass musikalisch allenfalls wenig dem Zufall überlassen wird. Auch Savages sind Freundinnen des durchdachten, konzeptionellen Arbeitens.
    Jehnny Beth:
    "Generell mögen wir es, Musik zu schreiben, die einer vorherigen Intention folgt. Das ist etwas, das wir gemeinsam haben und weswegen wir von Anfang an zusammen Musik machen wollten. Bevor überhaupt irgendein Sound da war, gab es beispielsweise den Namen "Savages". Ich erinnere mich daran, wie ich mit Gemma darüber sprach, dass zum Beispiel der Name die spätere Musik irgendwie inspirieren könnte.
    Uns gefällt die Idee, dass die Musik und die Message Hand in Hand gehen. Sie arbeiten zusammen und informieren sich auch gegenseitig. Wir jammen nicht einfach ein bisschen, trinken Bier und schreiben dabei Songs. Wir mögen es, mit einer bestimmten Intention und einem Ziel vor Augen zu arbeiten."
    Dass Savages aber nicht nur laut und schnell können, sondern auch un-punkig, melancholisch, beweist "Mechanics" - das letzt Stück auf "Adore Life". Besonders interessant darin: der breite und zugleich unaufdringliche Flächensound in Kombination mit Beth' gefühlvollen, punktgenauen Gesangs-Passagen.
    Musik "Mechanics"
    Manch einer mag die Texte von Jehnny Beth für kryptisch halten, für andere aber dürfte genau darin der Reiz liegen. [Sch7] Auch die Urheberin selbst lässt sich nicht auf die eine, auf eine Art General-Bedeutung festlegen. Sie weiß ganz genau um die Interpretations-Spielräume die ihre Lyrics den Hörern bieten – und das ist letzten Endes auch gewollt.
    "Wenn ein Song erst einmal veröffentlicht ist, gehört er dir in gewisser Weise nicht mehr. Die Leute nutzen ihn auf ihre Weise und für ihr Leben und natürlich kann sich so auch die ursprüngliche Bedeutung verändern."