Samstag, 27. April 2024

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Die Preisträger

Denis Scheck: Zum 22. Mal trafen sich Autoren und Literaturkritiker und Lektoren und die Adabeis, die Trittbrettfahrer des Literaturbetriebs, in Klagenfurt zum mittlerweile traditionsreichen Wettlesen am Wörthersee. Zu hören waren 16 Texte höchst unterschiedlicher Qualität, Texte, die in ganz unterschiedlichen Milieus und Lebenswelten spielen, von Streetball-Gangs war die Rede und von Bauarbeitern am Potsdamer Platz, von übenden Organisten, träumenden Endzeitapokalyptikern in Schützenpanzern oder von gelangweilten Aushilfskräften in chemischen Reinigungen. Man darf wohl beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 1998 von einem historischen Novum sprechen: es gab nämlich so gut wie kein Gemecker, weder an der Arbeit noch am Urteil der siebenköpfigen aus Autoren und Literaturkritikern bestehenden Jury. Die Voten dieser Bachmann-Jury, deren Sprecher Iso Camartin ist, fanden in diesem Jahr mehr oder minder einhelligen Beifall unter allen Beteiligten. Mit Sibylle Lewitscharoff, der in Berlin lebenden Stuttgarterin, ging der mit 35.000 Mark dotierte Ingeborg-Bachmann-Preis an einen sprachmächtigen experimentellen Prosatext, der virtuos die Weltsicht eines an Zwangsneurosen leidenden Ver-Rückten namens Pong schildert. Damit wurde ein echter Newcomer in der deutschen Gegenwartsliteratur ausgezeichnet, die 1954 geborene Stuttgarterin hat bisher lediglich ein Hörspiel veröffentlicht und ansonsten als Featureautorin für den Rundfunk gearbeitet. Sybille Lewitscharoffs Roman um den Herrn Pong wird übrigens im Berlin-Verlag erscheinen, davon gleich mehr. Der zweite Preis, der hier in Klagenfurt verliehen wird, der Preis des Landes Kärnten, dotiert mit etwa 15.000 Mark, ging an die 1958 in Gotha geborene Kathrin Schmidt. Sie hat bereits in der DDR Gedichte veröffentlicht und zählt als Lyrikerin durchaus schon zu den etablierteren Autoren. Kathrin Schmidt las hier in Klagenfurt aus Ihrem Roman "Die Gunnar-Lennefsen-Expedition", ein Roman, der im Herbst bei Kiepenheuer & Witsch erscheinen wird, ein Roman, der eine Zeitreise durch die jüngste deutsche Zeitgeschichte schildert, eine Zeitreise, erzählt von einem Frauenkollektiv, deren vielfach gebrochene Stimmen mit einem an Johannes Bobrowski, Günter Grass oder Uwe Johnson erinnernden Sprachfuror dargestellt wird. Ob Kathrin Schmidt es freilich vermag, die vielen verwirrten Erzählstränge zu einem kunstvoll geschnürten Knoten zu schürzen, wird erst der gesamte Roman erweisen. Es war wohl diese Überlegung, die die Jury bewog, den Bachmann-Preis dem als Romanauszug wesentlich geschlosseneren, leichter verständlichen Text von Sybille Lewitscharoff zuzusprechen. Über den dritten Klagenfurter Preis, den mit 100.000 Schilling dotierten Ernst-Willner-Preis, durfte sich John von Düffel freuen, ein Autor, der auch schon als Dramatiker hervorgetreten ist. John von Düffels Roman "Vom Wasser" erzählt die Geschichte einer deutschen Unternehmerdynastie, es ist eine über hundert Jahre sich ausspannende Familiensaga, sehr traditionell, was den Stoff angeht, sehr ungewöhnlich in ihrer manirierten, adjektivreichen Sprache. Auch wenn der Roman "Vom Wasser" nicht frei von Untiefen ist, meldet sich hier ein Erzähler zu Wort, von dem man gewiß noch einiges erwarten darf. Das 3Sat-Stipendium in Höhe von 6.000 Mark schließlich ging an Ralf Bönt, ebenfalls ein Berliner Autor, 34 Jahre alt. Ralf Bönt hat mit einem Auszug aus seinem im nächsten Jahr bei Piper erscheinenden Roman mit dem Titel "Gold" die Jury überzeugt. Soweit die Chronistenpflicht. Den heutigen Tag in Klagenfurt bestimmte jedoch weniger die Entscheidung der Jury, die so erwartet wurde mit diesen Preisträgern, als vielmehr eine Meldung aus dem Buchmarkt, die Nachricht nämlich, daß der Bertelsmann-Konzern weiter auf Expansionskurs ist und mit dem Berlin-Verlag einen der wichtigsten deutschen Verlage übernommen hat. Bei mir hier im Landesstudio Kärnten des ORF darf ich nun drei Gäste begrüßen: Rainer Moritz, Verleger von Hoffmann und Campe, Martin Hielscher, Lektor für deutsche Literatur bei Kiepenheuer & Witsch, sowie Mathias Gatza, früher selbständiger Verleger, nun Lektor beim Berlin Verlag. Herr Gatza, Sie arbeiten wie gesagt beim Berlin-Verlag, schildern Sie uns die Hintergründe dieses Verkaufs.

Denis Scheck | 27.06.1998
    Mathias Gatza: Die Hintergründe sind natürlich erst einmal eine Konsolidierung, eine Absicherung des Verlages, sicher auch Expansionswünsche. Ursprünglich war wichtig, es ist ja nicht nur Bertelsmann mit Anteilen in den Berlin-Verlag reingegangen, sondern der Siedler Verlag ist zum Berlin-Verlag gekommen, wird als eigenständiger Verlag weiterbestehen - oder eigenständiger, als er im Moment ist, wieder entstehen. Das ist auf der einen Seite sicher eine Absicherung im Markt, wir brauchten ein populäres Sachbuchprogramm, Herr Siedler hört auf und wünschte sich einen Nachfolger, das ist die Grundlage des Kontaktes zwischen Bertelsmann und dem Berlin-Verlag gewesen. Es ist jetzt ein Vertrag herausgekommen, wo die Anteilsmajorität beim Bertelsmann Verlag liegt, aber man sollte ja nicht nur über Anteile reden, gleichzeitig ein absolut autonomes Gebilde entstanden ist.

    Scheck: Martin Hielscher, Sie sind Lektor bei einem der wenigen unabhängigen noch verbleibenden deutschen Publikumsverlage. Welche Konsequenzen sehen Sie da für Ihre Arbeit durch diese Verlagskonzentration auf sich zukommen?

    Martin Hielscher: Ich habe diese Nachricht erst heute morgen gehört, und wenn es so ist, daß Bertelsmann sozusagen Hauptaktionär ist, dann ist das zunächst einmal doch eine schockierende Meldung für mich. Wir die Arbeit von Arnulf Conradi sehr bewundert haben, fanden es mutig, aus einem großen Konzern rauszugehen und einen unabhängigen Verlag zu gründen, und wenn sozusagen das Kapitaleigentum in der Mehrheit beim Bertelsmann Verlag liegt, dann kann ich mir schlechterdings eine Autonomie, wie sie vorher bestanden hat, nicht vorstellen. Gut, man muß sich zwar überlegen, wie sieht der Vertrag im einzelnen aus, trotzdem ist das eine veränderte Situation, das heißt für die konzernunabhängigen Verlage, die auch zusammengearbeitet haben, bricht wiederum etwas weg. Durch den Kauf von Random House ist der amerikanische Lizenzmarkt auch für Bertelsmann in einer anderen Form zugänglich geworden, und das heißt für uns wird die Luft wahrscheinlich dünner. Das im ersten Moment etwas deprimierend. Auf der anderen Seite ist die Frage, ob Autoren unbedingt gern zu einem Verlag gehören wollen, der irgendwie doch zum Bertelsmann-Konzern gehört, und ob dadurch nicht für uns auch etwas Neues entsteht.

    Scheck: Rainer Moritz, Martin Hielscher sprach es gerade an, mit der Übernahme von Random House hat Bertelsmann einen der Riesen des amerikanischen Marktes gerade geschluckt, nun trifft’s den Berlin Verlag in Deutschland. Nähert sich das deutsche Verlagswesen dem Zustand der Entropie?

    Rainer Moritz: Ich glaube, man kann sich nicht freuen über diesen Tatbestand. Es ist ja so, daß der Berlin Verlag, als er vor drei Jahren begonnen hat, hochgelobt wurde, das Lieblingskind des Feuilletons war - zu Recht, er hat ein sehr schönes Programm gemacht. Auf der anderen Seite sieht man an dieser Entscheidung jetzt auch die Schwierigkeit, überhaupt ein Programm zu machen, das sich trägt. Ein Mischkalkül, das so ein bißchen funktioniert, das ist ein schweiriges Unterfangen, und selbst die Erfolge, die der Berlin Verlag gehabt hat, Ingo Schulze als frischestes Beispiel vielleicht, haben offensichtlich nicht ausgereicht, um die notwendige Ruhe hineinzubringen. Und die Übernahme durch Bertelsmann ist natürlich, vor allem im Lizenzbereich, sicherlich mit weiteren Auswirkungen behaftet. Man muß das genau ansehen. Ich selbst habe immer noch die Hoffnung, daß die Verlage, die selbstständig bleiben, die in der mittleren Größe sind, durch Programmarbeit überzeugen müssen, sich eben aus diesem Gebuhle um bestimmte Großlizenzen raushalten müssen und die Augen viel genauer aufhalten müssen auf anderen Märkten.

    Scheck: Der Bertelsmann-Konzern ist ja der einzige Sponsor des Ingeborg-Bachmann-Preises. Er führt zusammen mit dem ORF, mit der Stadt Klagenfurt den sogenannten Klagenfurter Literaturkurs durch. Eine im Vorfeld des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs angesiedelte Veranstaltung, die ganz jungen Autoren helfen soll, erste Kontakte zu Verlegern, zu Journalisten, zum Rundfunk zu stiften. Nun frage ich mich, werden wir in fünf Jahren hier sitzen und noch über den Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb sprechen? Dieses Jahr hat zum ersten Mal mit Sybille Lewitscharoff nun eine Autorin den Hauptpreis erhalten, die eine Bertelsmann-Autorin ist, wie man im Vorfeld erfahren durfte, oder werden wir in fünf Jahren über den Ingeborg-Bertelsmann-Preis sprechen?

    Gatza: Ich finde es nicht besonders sinnvoll, zu sagen, sie ist eine Bertelsmann-Autorin, das ist faktisch nicht so. Dann müßte Bertelsmann einen anderen Zugriff auf diese Autorin haben als er qua Vertrag hat. Ich kenne den Vertrag so weit, daß ich weiß, es gibt kein Schlupfloch, diese Autonomie zu beschränken. Das kann ich so den Autoren garantieren, das wäre für mich sonst schwieriger, diese Nachricht zu vertreten. Sie ist keine Bertelsmann-Autorin, sie ist eine Berlin Verlag-Autorin. Mit ihr wird genauso gearbeitet, mit den gleichen Leuten, die die gleiche Autonomie haben, wie alle anderen.

    Scheck: Rainer Moritz, Sie schütteln den Kopf...

    Moritz: Ich schüttele ihn sanft. Ich verstehe Mathias Gatza natürlich, daß er das so sieht. Es ist trotzdem so, daß sie natürlich jetzt eingebunden ist in den Konzern, und sie ist damit auch eine Bertelsmann-Autorin. Die Frage, die Denis Scheck gestellt hat auf den Wettbewerb bezogen, ich glaube, die Verquickung wird allmählich unangenehm. Es war schon immer ein Problem, in den letzten zwei Jahren durch die sogenannte Häschenschule, durch den Literaturkurs vorangestellt, der von Bertelsmann gesponsert, der von einer Agentin organisiert wird, die gleichzeitig Kulturreferentin des Bertelsmann-Hauses ist. Das ist, glaube ich, eine Verquickung, die nicht sehr günstig ist. Ich habe gerade mit einer Kollegin gesprochen, deren erste spontane Reaktion war, daß sich ihr Verlag am besten aus dem Ernst-Willner-Preis zurückzieht. Man soll das im Moment nicht überbewerten, aber es ist doch sehr schwierig.

    Scheck: Das Nachbeben dieser Meldung, daß der Berlin Verlag an den Bertelsmann-Konzern verkauft wurde oder zumindest eine Übernahme der Anteilsmehrheit stattfand wird uns sicher noch die nächsten Wochen begleiten. Herzlichen Dank, Mathias Gatza, Martin Hielscher und Rainer Moritz.

    Link: Kommentar zur Übernahme des Berlin Verlags durch Bertelsmann