24. September 2023
Die Presseschau

Mit Kommentaren zur Offensive Aserbaidschans in Berg-Karabach, zum Umgang mit der AfD und zur Klimapolitik des britischen Premierministers Sunak.

Eine Frau sitzt auf einer Treppe in einem Wohngebäude, das bei einem aserbaidschanischen Angriff auf Stepanakert zerstört wurde. Um sie herum sind Trümmer.
Wie geht es weiter mit der armenischen Bevölkerung in Bergkarabach? (picture alliance / dpa / TASS / Oldhike)
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG beschäftigt sich mit der Lage in Berg-Karabach: "Es war eine Machtdemonstration. Innerhalb eines Tages überwand Aserbaidschans Armee jeden Widerstand der Armenier in Berg-Karabach und zwang sie zu einer faktischen Kapitulation. Die Armenier mussten mitansehen, wie auch die alte Schutzmacht Russland das kleine Bergland im Stich ließ, sei es, weil der Kreml den demokratischen Aufbruch in Eriwan missbilligt oder weil er seine militärische Macht in der Ukraine überdehnt hat. Emotional noch schwerer wiegt aber die Tatsache, dass Alijews Armee von seinen türkischen Waffenbrüdern hochgerüstet wurde. In Armenien registriert man mit großer Sorge die großtürkischen Träume Ankaras, die weit nach Osten reichen und denen das eigene kleine Land im Weg liegt. In Berg-Karabach sind die verbliebenen Armenier jetzt darauf angewiesen, dass die übermächtigen Sieger Großmut zeigen und beide Seiten ihren alten Hass vergessen können. Und Europa ist gefragt, endlich Einfluss auf Aserbaidschan auszuüben und den Armeniern eine schützende und helfende Hand zu reichen", schreibt die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG.
Die schweizerische NZZ AM SONNTAG analysiert: "Russlands Imperium zerbröckelt Schritt für Schritt. Man kann diesem Verfall zusehen. So ist die Kapitulation der Armenier in Berg-Karabach diese Woche nach 24 Stunden Krieg auch eine Kapitulation Russlands. Die angebliche Friedenstruppe der Russen ließ die Angreifer gewähren. Russland ist Europas letzte imperialistische Macht, antiliberal und antidemokratisch, mit faschistischen und stalinistischen Zügen – eine Anomalie auf dem Kontinent der Demokratien und der politischen Integration. Die Vorstellung vom 'gemeinsamen Haus Europa', in dem auch Russland Platz habe, nach jener alten, 1987 von Michail Gorbatschow geprägten Formel, ist heute undenkbar. Putins Wort gilt nichts mehr. So bleibt nur, auf die vollständige Niederlage des russischen Imperialismus zu warten. Putin wird diesen Kelch bis zur Neige leeren, von der Idee eines großrussischen Reiches rückt der bald 71-Jährige wohl nicht mehr ab", vermutet die NZZ AM SONNTAG.
Nachdem CDU und FDP gemeinsam mit der AfD im thüringischen Landtag eine Steuersenkung durchgesetzt haben, wird innerhalb der Union über den Umgang mit der AfD debattiert. Die WELT AM SONNTAG meint dazu: "Die Lage ist schwierig, und sie wird bald noch schwieriger. Denn die Thüringer Besonderheit - Linkspartei und AfD haben gemeinsam eine Mehrheit im Parlament - könnte im kommenden Jahr nach Landtagswahlen zur ostdeutschen Regel werden. Dadurch wird der antitotalitäre Grundsatz der CDU herausgefordert: keine Zusammenarbeit mit Rechts- und Linksaußen. Dabei war dieser Grundsatz schon lange nicht mehr so evident richtig wie heute. Aber wahr ist auch: Irgendwie muss ja regiert werden. Die CDU sollte nicht ihre Grundsätze aufgeben, sondern auf deren Basis in die Offensive kommen. Ihr Ziel muss sein, als stärkste Kraft gemeinsam mit den anderen Parteien der Mitte zu regieren. Wenn die Mehrheit dazu nicht reicht, könnte der Ball ins Spiel der Parteien am Rand getragen werden. Dort - und nicht bei der CDU - müssen die entscheidenden Fragen beantwortet werden: Wie halten sie es mit der Nato, wie mit Europa, wie mit dem Rechtsstaat und der deutschen Vergangenheitsbewältigung?", bemerkt die WELT AM SONNTAG.
Der Berliner TAGESSPIEGEL meint: "Angesichts des steigenden Einflusses der AfD in Kommunen und Ländern bleibt eine Zusammenarbeit mit der AfD kein Tabu mehr. Gestritten wird nur noch, was 'Zusammenarbeit' konkret bedeutet. Selbst Grüne stimmten in Backnang einem AfD-Antrag zu. In Thüringen änderten FDP und CDU mit Stimmen der AfD ein Landesgesetz. Und der ehemalige Chef der CDU-Grundwertekomission denkt laut über Minderheitsregierungen seiner Partei nach, für die sie auch ab und an auf die AfD angewiesen wäre. Das Argument ist immer das gleiche. Schließlich gehe es um Inhalte. Und wenn die AfD zufällig auch dafür sei, lasse man sich davon eben nicht abhalten. Was pragmatisch klingen soll, ist in Wahrheit ein weiterer Dammbruch. Es ist das durch spitzfindige und akademische Debatten nicht zu überdeckende Signal an alle, die für die Demokratie noch nicht gänzlich verloren sind, dass auch die politische Mitte bereit ist, dieses Land mit Stimmen der AfD zu gestalten. Taumelt die politische Mitte endgültig in diese Richtung, kippt das Land hinterher. Dieser Selbstbetrug wäre dann der letzte. Und entzaubert wäre: die Demokratie." Das war der TAGESSPIEGEL.
Die Zeitung DIE PRESSE AM SONNTAG aus Wien kommentiert die Entscheidung des britischen Premierministers Sunak, das Tempo beim Erreichen der Klimaziele zu drosseln: "Mit Sunak hat bisher der wirkmächtigste europäische Politiker das Bekenntnis seiner eigenen Partei, eine führende Rolle im Klimaschutz zu spielen, gegen Stimmen verkauft. Die kritische Reaktion der Industrie zeigt, dass jene, deren Währung nicht Stimmen, sondern das britische Pfund ist, längst weiter sind. Unternehmen brauchen langfristige Pläne; sie haben die Hebel bereits umgelegt: Die Autoindustrie kann die Verlängerung der Verbrennermotoren nach allen Investitionen in eine E-Zukunft nicht mehr brauchen. Neben Großbritannien mehrt sich auch in der EU der Widerstand gegen Umweltmaßnahmen: Dass diese zu teuer seien, zu drastisch, hört man vor allem in Staaten mit grüner Regierungsbeteiligung. Vielleicht liefern Investitionen in Klimaschutz noch nicht so viele Jobs wie erhofft, aber gravierende Richtungswechsel ohne vorübergehende Turbulenzen sind selten. Das Grüne vom Himmel zu versprechen, ohne darauf hinzuweisen, ist ebenso wenig zielführend wie vorzugaukeln, Wohlstand lasse sich nur ohne Klimaschutz halten", betont DIE PRESSE AM SONNTAG.
Der SUNDAY TELEGRAPH meint zur britischen Debatte um die Klimapolitik: "Es war das britische Innovationsgenie, das das moderne Zeitalter des technischen Fortschritts hervorbrachte. Und ein großer Teil dieses Fortschritts hing von kohlenstoffhaltigen Brennstoffen ab. Daraus folgern grüne Prediger, dass unsere Nation nun ihre Vergangenheit wiedergutmachen müsse, indem sie sich selbst geißelt. Wir müssen eine Vorreiterrolle übernehmen und ein Beispiel für Tugendhaftigkeit sein. Wie beim Kolonialismus und der Sklaverei wird uns wieder einmal eine Doktrin der Erbsünde angeboten, in der die heutige Bevölkerung Großbritanniens aufgefordert wird, Strafe und Opfer für die Taten früherer Generationen zu akzeptieren. Zu dieser Absurdität kommt noch hinzu, dass diese Opfer das Leben derjenigen am härtesten treffen würden, die am wenigsten wohlhabend und privilegiert sind. Das ist nichts anderes als eine Form von neurotischer Selbstverliebtheit einflussreicher Leute, die keine Ahnung von der Lebensrealität in einfachen Haushalten haben", erklärt der SUNDAY TELEGRAPH.
Im GUARDIAN, ebenfalls aus Großbritannien, ist zu lesen: "Rishi Sunak scheint bereit zu sein, den politischen Konsens aufzugeben, um sich bei der nächsten Wahl Stimmen zu sichern. Er behauptet zwar, dass er an der Verpflichtung auf null Emissionen bis 2050 festhält. Aber alles, was er sagt, deutet darauf hin, dass er die Stabilität und Sicherheit der britischen Klimapolitik als Freiwild betrachtet. Er konstruiert einen falschen Gegensatz zwischen dem Schutz der Umwelt einerseits und den Lebenshaltungskosten andererseits. Denn Sunak glaubt, das Bremsen in der Klimapolitik zu seinem politischen Vorteil nutzen zu können. Dies wurde in den irreführenden Implikationen seiner Rede deutlich - dass die Verbraucher nun nicht mehr gezwungen wären, perfekt funktionierende Gaskessel bis zu einem willkürlichen Termin auszutauschen, und dass sie nach 2035 gebrauchte Benzinautos kaufen könnten, obwohl beides schon immer Regierungspolitik war", erklärt der GUARDIAN aus London.